Das Erbe der Habsburgermonarchie

Ein Königreich für eine Kapriole

Die Habsburger hinterließen ein Erbe, das als Kaiserfolklore kommerziell verwertet wird. Doch manche Österreicher wollen wieder an die monarchische Ordnung des »Vielvölkerstaats« anknüpfen.

Verglichen mit den weitläufigen und pompösen Anlagen der Hofburg, in denen ein Habsburger früher den größten Teil seines Lebens verbrachte, ist die nahegelegene Kapuzinerkirche, unter der die Angehörigen der Dynastie bestattet wurden, ein schlichtes Gebäude. Schließlich sind die »Minderen Brüder« eigentlich ein Bettelorden, doch beherbergt ihr Kloster seit dem 17. Jahrhundert die Gruft eines der reichsten Herrscherhäuser der Welt. Sie ist mittlerweile zu einem Ziel für Touristen geworden, die Attraktion ist der gewaltige und reich verzierte Doppelsarkophag von Maria Theresia und Franz I., deren Gruft im Rokokostil gehalten ist.
Zuletzt wurde hier im Jahr 2011 Otto von Habsburg, in amtlicher österreichischer Schreibweise Otto Habsburg-Lothringen, bestattet. Der Zeremonienmeister klopfte dreimal an die Tür. »Wer begehrt Einlass?« fragte der Pater. »Otto von Österreich, einst Kronprinz von Österreich-Ungarn, königlicher Prinz von Ungarn und Böhmen …« Die lange Aufzählung der Titel wurde beantwortet mit: »Wir kennen ihn nicht.« Nochmaliges Klopfen, gefolgt von der Aufzählung weltlicher Verdienste: »Dr. Otto von Habsburg, Präsident und Ehrenpräsident der Paneuropa-Union (…), Träger hoher und höchster staatlicher und kirchlicher Auszeichnungen …« Dennoch: »Wir kennen ihn nicht.« Beim dritten Anlauf hieß es dann: »Otto – ein sterblicher, sündiger Mensch.« Nun erst wurde die Tür geöffnet.
Die Bestattung war eine Inszenierung der Familie Habsburg, deren politischer Ehrgeiz noch nicht erloschen ist. Einen »von« darf es in Österreich, das mit dem Adelsaufhebungsgesetz weitaus strenger mit den Hochwohlgeborenen verfuhr als Deutschland, eigentlich nicht geben. Aber wer will schon bei einer Bestattung Strafanzeige stellen? Die Teilnahme eines jüdischen und eines muslimischen Geistlichen demonstrierte multikulturelle Toleranz, aber auch den Anspruch, etwas zu repräsentieren, das über die eigene sündige und sterbliche Person weit hinausgreift.
Das Anklopfritual bezieht sich auf traditionelle christliche Vorstellungen. Der Monarch soll bedenken, dass seine weltliche Macht vergänglich ist. Das symbolisieren gekrönte Schädel, die in Variationen als Sargschmuck in der Kapuziner­gruft zu finden sind. Auch Dynastien sind vergänglich, wenngleich bisweilen sehr langlebig. Die Habsburger waren von 1438 bis 1806 fast ununterbrochen Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und bis 1918 Herrscher einer Großmacht. Der Nachruhm überdauert die Herrschaft, und wie die meisten Monarchen bemühten sich die Habsburger, zu bestimmen, wie man sich ihrer erinnern soll. Doch die Sichtweise späterer Generationen folgt eigenen Regeln und Bedürfnissen, auch die Geschichtwissenschaft kann da nur sehr begrenzt Einfluss gewinnen.
Wer nicht Historiker oder Österreicher ist, wird mit den Habsburgern wenig Politisches verbinden. Der Dynastie fehlt ein Leitmotiv. Die französische Monarchie verbindet man mit dem Absolutismus und dem Beginn der Aufklärung, die englische Krone mit der Seefahrt und den Anfängen der Globalisierung, Spanien steht wenigstens noch für die Inquisition und die Konquistadoren. Die Habsburger hingegen scheinen jahrhundertelang eine Operette aufgeführt zu haben, nach deren Ende man sich vornehmlich an die schönen Kostüme und an ein paar rührende Momente erinnert.
So werden sie auch den Touristen präsentiert. Der Star ist eine Angeheiratete: Sisi, Kaiserin Elisa­beth, die 1854 Kaiser Franz-Joseph I. ehelichte und 1898 ermordet wurde. Die hochgebildete Elisa­beth, die Heinrich Heine schätzte und Dramen ins Neugriechische übersetzte, tat alles, was ohne einen Bruch mit der Familie möglich war, um der ihr vorgeschriebenen Rolle am Hof zu entkommen. Ermordet wurde sie in Genf von dem Anarchisten Luigi Lucheni, der eigentlich einen französischen Adligen töten wollte, aber durch Sisileak, die Enthüllung der Anwesenheit der inkognito reisenden Kaiserin in einer örtlichen Zeitung, über die Präsenz eines prominenteren Opfers informiert wurde.
Die Naivität, mit der sich die Kaiserin eines bei vielen Untertanen verhassten Herrscherhauses ohne Personenschutz in der Öffentlichkeit bewegte, und zahlreiche andere interessante Aspekte ihrer Biographie wurden und werden leider im Kitsch ertränkt. Das eigens Sisi gewidmete Museum in der Hofburg gewährt »Einblick in Elisa­beths Garderobenschrank«, ihre persönlichen Gegenstände werden wie Reliquien ausgestellt. Nach Angaben der Geschäftsführung wird das Museum von einem zu zwei Dritteln jungen und weiblichen Publikum besucht, offenbar wird der Sisi-Kult nicht mit der Generation Kaffeefahrt aussterben.

Ein bisschen indiskret ist es ja eigentlich, fremden Leuten ins Schlafzimmer zu schauen, wie es bei der Besichtigung der Kaiserappartements nun möglich ist. Vor 1918 konnte man sich schon glücklich schätzen, wenn man ins Vorzimmer, das Antichambre, vorgelassen wurde und dort antichambrieren konnte. Die Politik hat sich mittlerweile in Hinterzimmer verzogen, aus dem Schmeicheln und Scharwenzeln ist ordinäres Arschkriechen geworden. Die Faszination von Monarchie und Aristokratie beruht nicht zuletzt darauf, dass damals selbst die schmutzigsten Dinge mit Stil und Eleganz getan wurden, dass also, wie man in Anlehnung an Napoleons Urteil über seinen Außenminister Talleyrand sagen könnte, die Scheiße noch in Seidenstrümpfen steckte. Sie dort zu halten, erforderte eine Zeremonialisierung des politischen Lebens, und für einen Monarchen war auch das Private politisch. Repräsentation durch Kleidung, Schmuck, Bauten und Inneneinrichtungsgegenstände, die in exakt festgelegten Ritualen vorgeführt wurden, war ein unentbehrliches Herrschaftsinstrument, nicht nur, um die Untertanen zu beeindrucken. So konnten Adlige und ausländische Gesandte bei einem Empfang erkennen, wie reich ein Monarch und wie entwickelt das Handwerk war, und somit abschätzen, wie riskant ein Krieg sein würde. Die Repräsentation entwickelte aber auch ein Eigenleben. Man spielte nicht mehr nur Theater, um andere zu beeindrucken, sondern konnte die Maske nicht mehr ablegen, weil man ohne sie nicht mehr wusste, wer man ist.
Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im Barock, und obwohl die Habsburger schon vor und noch nach dieser vom Ende des 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts andauernden Epoche regierten, können sie als barocke Dynastie gelten. Nicht selten waren sie die mächtigsten Herrscher Europas, dennoch erwecken sie den Eindruck, Rollen in einem Stück zu spielen, das sie nicht geschrieben haben und für dessen Inhalt sie sich nicht sonderlich interessieren. Mit umso größerem Eifer widmeten sie sich der Gestaltung der Kulisse und dem eleganten Auftritt.
Eine Einrichtung wie die Spanische Hofreitschule konnte daher nur unter den Habsburgern entstehen und jahrhundertelang gepflegt werden. Die Lipizzanerdressur in Wien wird den Touristen als Angelegenheit der Renaissance präsentiert. Dass damals das Werk »Peri hippikés« des antiken Pferdetheoretikers Xenophon wieder gelesen wurde, ist jedoch ein zu dürftiger Grund für diese Zuschreibung. Bei den Habsburgern gab es eigentlich keine Renaissance, jedenfalls nicht im Sinn eines geistigen Aufbruchs mit Rückbesinnung auf die Antike. Die damit einhergehenden republikanischen und humanistischen Ideen galten als viel zu gefährlich.
Der Ursprung dieser speziellen Form der Dressur ist spanisch, was in der frühen Neuzeit hieß: steif wie eine gestärkte Halskrause. Der Barockmensch stutzt auch die Natur so zurecht, dass sie eine schöne Kulisse hergibt. Zur Barockkultur gehört aber auch ein spielerisches Element. So wird aus der an sich kriegerischen Reitkunst ein Theaterstück, man bringt den eigens für diesen Zweck gezüchteten Lipizzanern eine Art Ballett bei. Natürlich tanzen die Pferde nicht, ihre Teilnahme am Hofzeremoniell mit Sprüngen wie der Kapriole ist das Ergebnis langjähriger, für Pferd wie Bereiter harter Arbeit. Am Ende aber wirken die Bewegungen der eher stämmigen Pferde ausgesprochen elegant.

Als »Tribute to Vienna« werden die Lipizzaner gemeinsam mit den Wiener Sängerknaben präsentiert. Eigentlich ist es ein absurdes Arrangement, einen traditionell der Kirchenmusik verpflichteten Knabenchor in einer Reithalle singen zu lassen, und sei es in einer imposant barocken. Aber zwei Attraktionen auf einmal sind ein Schnäppchen, und die Hofreitschule, seit 2001 eine Gesellschaft öffentlichen Rechts, soll Geld einbringen. Freunde der Lipizzanerdressur kritisieren den Qualitätsverlust durch die Kommerzialisierung, die Leitung der Hofreitschule beharrt darauf, dass sich nichts geändert habe. Ein weiterer Grund für die Faszination der Monarchie ist wohl, dass schöne Dinge damals noch etwas kosten durften und nicht alles unter dem Diktat der Profitabilität stand. Andererseits verhält sich auch die Leitung der Hofreitschule ein wenig barock, indem sie mit dem Verweis auf die schöne Kulisse bestreitet, dass heutzutage ein ganz anderes Stück läuft.
Die Habsburger sind mit dieser Methode erstaunlich lange durchgekommen. Wenn ihnen eine Mission zugeschrieben werden kann, dann die, das Althergebrachte zu verteidigen. Sie spielten eine führende Rolle in der Gegenreformation, dem bis zum 18. Jahrhundert andauernden Versuch, den Protestantismus auch mit Gewalt zurückzudrängen, und bei der monarchischen Restauration nach 1814. Sie verstanden sich als Regenten eines christlichen Universalreichs und hielten diese Fiktion aufrecht, bis Napoleon 1806 die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs erzwang.

Die Habsburger können nicht mit einer Nation im modernen Sinn identifiziert werden. Deutsch war die Sprache der Bürokratie, des Handels und der Wissenschaft, wurde aber erst sehr spät Merkmal nationalistischer Identifizierung. Die »Nationalität« bezeichnete noch im 19. Jahrhundert eher eine Klassen- und Standeszugehörigkeit. Ein Deutscher war ein Stadtbürger, der ein Handwerk oder Handel betrieb und Deutsch sprach, unabhängig von der ethnischen Herkunft. Ebenso galt jeder adlige Landbesitzer, der von der Steuerzahlung ausgenommen war, als Magyare, mochte er auch aus einer rumänischen Familie stammen.
Die Dynastie zeigte nie ein Interesse daran, sich mit Bürgern und Freibauern gegen den Adel zu verbünden, und blieb bis weit ins 19. Jahrhundert stark genug, die Herausforderung durch das in ihrem Herrschaftsgebiet schwach entwickelte Bürgertum abzuwehren. So erhielt sich eine prekäre Balance zwischen Aristokratie, Bauern und Kapitalisten. Der Dynastie kam die territoriale und politische Zersplitterung des Reichs zugute, auch der aufkeimende Nationalismus behinderte ein gemeinsames Vorgehen gegen die Monarchie. Das Ergebnis war eine für die Dynastie immer gefährlicher werdende Rückständigkeit, und in den letzten Jahrzehnten ihrer Herrschaft mussten die Habsburger Zugeständnisse machen, doch konnten sie lange die Fiktion der absoluten Monarchie aufrechterhalten, obwohl auf der europäischen Bühne längst ein anderes Stück gespielt wurde.
Die Nationalitätenpolitik war pragmatisch und improvisiert, ein »Völkergefängnis« war das Reich nur im Hinblick auf den Zwang, sich der Herrschaft der Habsburger nicht zu entziehen. An einer Zwangsassimilierung zeigten die Kaiser wenig Interesse, weil die institutionellen Grundlagen fehlten und unklar war, welcher Reichsidee die Minderheiten unterworfen werden sollten. An­gesichts des in den vergangenen Jahrzehnten immens gestiegenen nationalistischen Wahns kann auch unter diesem Gesichtspunkt die träge Verwaltung durch einen Monarchen wieder attraktiv erscheinen. In der Kapuzinergruft liegt neben dem Sarg Zitas von Bourbon-Parma, der letzten Kaiserin, ein Kranz von »Monarchisten in Mähren« der Koruna česká, einer Partei, die bei den tschechischen Parlamentswahlen im vorigen Jahr 0,17 Prozent der Stimmen gewann. Ähnliche Gruppen gibt es in anderen ehemals habsburgischen Gebieten, natürlich auch in Österreich.

Die Habsburger-Nostalgie ist oftmals folkloristische Spielerei. Doch gibt es knapp 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie noch immer den Titel des Hofrats, den höhere Beamte gegen Ende ihrer Laufbahn erreichen können, der aber auch ver­liehen werden kann und offenbar weiterhin prestigeträchtig ist. Echte Monarchisten gibt es auch. Wer sich darunter hochnäsige Adlige mit Zwirbelbart und Monokel vorstellt, wird allerdings enttäuscht. Alexander Šimec, der 47jährige Obmann der Schwarz-Gelben Allianz, kleidet sich leger und legt Wert auf die Feststellung, dass die Monarchisten »keine Adoranten des Adels« seien. Da eine Monarchie »alle Teile der Bevölkerung umfassen« müsse, vereinige seine Bewegung Anhänger verschiedener politischer Richtungen. Auch Wähler der Kommunistischen Partei seien unter den Mitgliedern, deren Zahl er mit mehreren Hundert angibt.
Die Schwarz-Gelbe Allianz verbindet den Monarchismus mit der Forderung, politische Fragen durch Referenden entscheiden zu lassen. Der König soll das Recht haben, unter bestimmten ­Bedingungen, etwa beim eindeutigen Bruch von Wahlversprechen, das Parlament zu umgehen und die Bevölkerung zu befragen oder Neuwahlen anzuordnen. Dass Stadtbürger und Freibauern sich mit dem König gegen den Adel verbündeten, war eine in der Geschichte häufige Konstellation. Die Monarchisten betrachten das von den großen Parteien dominierte politische System – der Korporativismus ist in Österreich noch deutlich stärker ausgeprägt als in Deutschland – als eine Art neuer Adelsoligarchie, die sie durch ein Bündnis von König und »Volk« schwächen wollen.
Damit verbunden ist die Idee der Wiedererrichtung einer mitteleuropäischen Donaumonarchie als Staatenbund. Im Gegensatz zu ethnonationalistischen Parteien fordern die Monarchisten Vielsprachigkeit, die Sprachen des Habsburgerreichs sollen gefördert werden. Der staatliche Zusammenschluss auf der Grundlage einer einheitlichen Sprache sei eine »Schnapsidee«, sagt Šimec. Die »Überwindung des nationalstaatlichen Prinzips« solle nicht auf religiöser Grundlage erfolgen, der Monarch könne, wie Karl Habsburg, das derzeitige Familienoberhaupt, gesagt habe, auch muslimischen Glaubens sein. Worin eine gemeinsame »kulturelle Identität« der Donaumonarchie bestehen soll, bleibt allerdings unklar.
Eine ethnonationalistische Definition österreichischer Identität mündet zwangsläufig in unausgesprochene Deutschtümelei. Der tatsächlichen Tradition kommen die Monarchisten näher, aber natürlich wird sie auch von ihnen neu erfunden. Ob der Schwarz-Gelben Allianz größerer Erfolg beschieden sein wird, mag Šimec nicht prophezeien. Aber vielleicht ist das selbst für ihn gar nicht das Entscheidende. Österreich ist wohl noch immer ein wenig barock. Recht viele Menschen hier scheinen gerne ihr persönliches Theaterstück aufzuführen. Wenn der Vorhang fällt, hat man immerhin stolz auf der Bühne gestanden und eine schöne Vorstellung geboten. Wer braucht schon die Wirklichkeit?