Deutsche sollten Österreich verlassen, bevor sie Schaden anrichten

Wenn die Piefkes Anschluss suchen

Schnitzel, Falco, Apfelstrudel. Die deutsche Auswandererin bildet sich ein, genug von Österreich zu kennen. Doch so einfach ist das nicht.

Von mir aus können alle dahin übersiedeln, wo sie wohnen möchten, und dort auch uneingeschränkt bleiben. Lampedusa, Melilla, eh scho wissen …
Aber für privilegierte Menschen mit einem EU-Pass ist nicht jeder Umzug ins Ausland eine gute Idee. In Österreich sind Deutsche momentan die größte Zuwanderungsgruppe. Sie packen fröhlich ihre Koffer, hören dabei laut »Vienna Calling« von Falco, freuen sich auf Schnitzel, Apfelstrudel und die Kaffeehauskultur. Sie schätzen Elfriede Jelinek, Valie Export, Georg Kreisler und Ulrich Seidl. Den Wiener Schmäh finden sie urcharmant, weil sie ihn nicht kapieren. Irgendwo haben sie gelesen, dass die Stadt Graz Arnold Schwarzenegger die Ehrenbürgerschaft wieder aberkannt hat. Und gegen Jörg Haider haben sie als Jugendliche demonstriert. Sie meinen, sie müssten für diesen Umzug ins Ausland nicht einmal eine Fremdsprache lernen. Vielleicht hatten sie eine Knödel-Oma, die in Wien auf der Kosmetikschul gewesen ist, kennen deshalb Fisolen, Paradeiser, Marillen, Serviettenknödel und wissen sogar, was eine Topfengolatsche ist. Deshalb bilden sie sich ein, sie wüssten genug über Österreich, um dahin auszuwandern.
Im neuen Wohnort angekommen, läuft zunächst alles prima. Die meisten Leute sind nett und hilfsbereit. Es gibt alle möglichen Dinge zu entdecken, die viel besser und interessanter sind als Mozartkugeln. Aber dann kommt irgendwann der erste Fön und nach der anfänglichen Freude über die sommerlichen Temperaturen im November die große Übelkeit vor der Billa-Theke mit den Extrawurst-Semmeln. Die Strukturen am alternativen Arbeitsplatz sind paternalistisch und die finanzielle Förderung durch die Stadt hat ihren Preis.

An die Würstel-Fixierung sollte sich die Zugezogene gewöhnen, schließlich befindet sie sich in der Stadt Freuds. Erste Verständigungsschwierigkeiten treten auf. Die sprachliche Assimilation misslingt. Es klingt einfach immer deppert, wenn Deutsche »Häferl« sagen. Am Südbahnhof eine Fahrkarte nach Marburg zu kaufen, ist eine ungeahnte Herausforderung. Nicht, weil der ÖBB-Beamte antwortet: »Aber das heißt doch Maribor!« Und dann folgt: »Nein, das an der Lahn.« No na, dieser Beamte sagt einfach auf die deutliche Bitte nach einer Fahrkarte mit einem bestimmten Ziel zum Begleiter: »Wos wü die Piefke?!« Spätestens dann wird klar, dass es für alle Beteiligten schwierig ist, wenn Deutsche in Österreich Anschluss suchen. Wäre da nicht die Sache mit dem »ersten Opfer«, hätte sich diese Piefke darüber amüsiert, dass sie nicht jubelnd empfangen wurde.
Inzwischen existiert der Südbahnhof längst nicht mehr. Heute wünscht die Trafikantin mir am Samstag ganz selbstverständlich ein schönes Wochenende. Vielleicht hat sie ein Kind, das wie viele andere nach Deutschland ausgewandert ist. Vermutlich liegt der veränderte Umgang auch an den zahlreichen Ostdeutschen, die an der Billa-Kassa sitzen oder in den Skigebieten arbeiten statt sich mit dem ALG-Amt herumzuärgern – bis Menschen aus Osteuropa den Job noch billiger machen. Einige österreichische Medien behaupten, dass diese deutschen »Arbeitsmigranten« den Ösis die Arbeitsplätze wegnehmen. Tatsächlich erschwert dieser Zuzug die Bedingungen für Menschen aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien, die in geringerer Zahl einwandern. Wo soll das hinführen, fragt sich da jeder vernünftige Mensch, der das mit der gemeinsamen »Volkszugehörigkeit« kritisch sieht.

Mit den »Numerus-Klausus-Flüchtlingen« aus Deutschland verhält es sich etwas anders. Es sind inzwischen so viele, dass sie in Wien angeblich lieber unter sich bleiben. Aber dann ist ein Umzug völlig überflüssig und beschleunigt nur die Gentrifizierung. Außerdem ist die Rolle schon vergeben an die Cliquen aus Vorarlberg, deren Geheimsprache auch Menschen mit einem österreichischen Pass nicht verstehen.
Es kann den selbstgerechten Deutschen nicht schaden, wenn sie ein Weilchen in Österreich leben anstatt auf die niedlich sprechenden Menschen in dem kleinen Land da unten hinabzuschauen, die alle FPÖ wählen. Und es ist gut, dass die Österreicherinnen und Österreicher mit ihren unnötigen Komplexen seit dem Untergang der k.u.k.-Monarchie Deutsche kennen gelernt haben, die nicht nur zur Sommerfrische oder zum Ski-Saufen vorbeikommen. 24 Jahre »Piefke-Saga« sind schließlich genug. Aber wenn Deutsche in ein anderes Land marschieren, sollten sie besser gehen, bevor sie wieder irgendwelchen Schaden anrichten. Ich wohne inzwischen schon lange in Berlin. Aber ich komme oft und gerne wieder, manchmal als »Maut-Flüchtling« auf der B190. Mein Freund ist Österreicher.