Die jüngste Verschärfung des Asylrechts

Der Balkan ist sicher

Die jüngste Änderung des Asylrechts ist vor allem eine Verschärfung angesichts der zunehmenden Zahl an Flüchtlingen.

Lange ist über die Änderung des Asylrechts gestritten worden, nun hat der Bundesrat zugestimmt. Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien gelten nun als sichere Herkunftsstaaten. Bereits im Juli hatte der Bundestag mit den Stimmen von Union und SPD das Gesetz verabschiedet, die Grünen und die Linkspartei hatten dagegen gestimmt. Auch dem Bundesrat musste es noch zur Abstimmung vorgelegt werden. Hier war die Regierung auf mindestens ein Bundesland angewiesen, in dem die Grünen mitregieren.
Die Grünen, die an sieben Landesregierungen beteiligt sind und damit über die Möglichkeit verfügen, Gesetzesvorhaben im Bundesrat zu vereiteln, hatten das Gesetz vorab mehrheitlich abgelehnt. Wegen der Diskriminierung insbesondere von Roma in den drei zur Diskussion stehenden Ländern habe die grüne Bundestagsfraktion das Gesetz für falsch erachtet, sagt Luise Amtsberg, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, im Gespräch mit der Jungle World. Zudem kämpfe ihre Partei seit jeher gegen die Regelung nach dem Kriterium sicherer Herkunftsstaaten.

Um die Zustimmung der Grünen dennoch zu sichern, bot die Union Erleichterungen in anderen Bereichen des Asylrechts an. Während führende Mitglieder der Grünen das Kompromissangebot noch am Morgen der Abstimmung für unzureichend erklärten, votierte Baden-Württemberg, das einzige Bundesland mit grünem Ministerpräsidenten, für das Gesetz und sorgte damit für die erforderliche absolute Mehrheit im Bundesrat. Winfried Kretschmann wird für diese Entscheidung in seiner Partei scharf kritisiert. »Ich bedauere die Entscheidung des Bundesrates und bin natürlich enttäuscht darüber, dass dieses Gesetz mit einer grünen Stimme ermöglicht wurde«, sagt Amtsberg. Kretschmann verteidigte seine Zustimmung mit »substantiellen Verbesserungen für Flüchtlinge«, die in den Verhandlungen mit der Bundesregierung erreicht worden seien.
Diese Verbesserungen für Flüchtlinge betreffen unter anderem die sogenannte Residenzpflicht, also die Auflage, nach der Flüchtlinge sich nur in einem behördlich festgelegten Gebiet aufhalten dürfen. Die Residenzpflicht soll nun ab dem vierten Monat des Aufenthalts in der Bundesrepublik entfallen, so dass sich Flüchtlinge drei Monate nach ihrer Ankunft frei im Bundesgebiet bewegen dürfen. Für Straftäter oder Flüchtlinge, denen die Abschiebung bevorsteht, soll die Residenzpflicht jedoch wieder angeordnet werden können. Zusätzlich sollen die Zugangsbedingungen zum Arbeitsmarkt ge­lockert werden. Dazu wird das absolute Beschäftigungsverbot auf drei Monate beschränkt und die Vorrangprüfung aufgehoben, nach der ein Asylbewerber nur dann beschäftigt werden darf, wenn kein Deutscher oder EU-Bürger zur Verfügung steht. Auch das Sachleistungsprinzip soll außerhalb der Erstaufnahmelager abgeschafft werden, so dass die Leistungen für Flüchtlinge in anderen Einrichtungen in Geld ausgezahlt werden.
Amnesty International und Pro Asyl kritisieren die Zugeständnisse als unzureichend. Längst ­erhielten die meisten Asylsuchenden außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen Bargeld. Andere Benachteiligungen wie die sogenannte Wohnsitzverpflichtung – eine Auflage, mit der Ausländerbehörden Personen mit einem Duldungsstatus untersagen können, einen Wohnsitz außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs anzunehmen – würden nicht einmal angetastet.
Dass eine Änderung im Asylrecht Verbesserungen mit sich bringt, die ihren Namen nicht verdienen, ist wenig überraschend. Beachtlich ist hingegen, dass die Erweiterung um drei vermeintlich sichere Herkunftsstaaten für die Behörden eigentlich unnötig ist. Denn bereits jetzt wird die überwältigende Mehrheit aller Asylanträge aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien abgelehnt. Die Quote der anerkannten Anträge liegt bei Flüchtlingen aus diesen Ländern bei weniger als einem Prozent, trotzdem stellen Menschen aus den drei Staaten insgesamt 20 Prozent aller Anträge.

Was bringt also die neue Regelung? Die Bundesregierung behauptet, dass sich dank des neuen Gesetzes Asylverfahren abkürzen ließen, da Anträge von Bewerbern aus diesen Ländern nicht mehr wie üblich geprüft würden, sondern die Personen selbst nachweisen müssten, dass sie in ihrem Herkunftsland politisch verfolgt würden. Dadurch könnten sich die Behörden auf die Flüchtlinge konzentrieren, die eine Anerkennungsquote von nahezu 100 Prozent haben, wie etwa Menschen aus Syrien, so die Bundesregierung. Die kürzeren Bearbeitungszeiten in den Behörden schüfen die Möglichkeit, stärker »denen zu helfen, die dringend Hilfe brauchen«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Dass die Gesetzesänderung tatsächlich dazu führt, dass sich die Verfahren verkürzen, ist jedoch keineswegs sicher. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geht davon aus, dass die Bearbeitungszeit pro Antrag lediglich um zehn Minuten verringert wird. Offensichtlich wurden also Flüchtlinge aus dem Westbalkan gegen Bürgerkriegsflüchtlinge ausgespielt, um das Asylrecht weiter zu verschärfen. Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl, sieht darin eine gefährliche Entwicklung. Erst würden die Anerkennungsquoten gesenkt und dann würde das Land zum sicheren Herkunftsstaat erklärt. »Hunderte von Menschenrechtsquellen belegen, dass es in allen drei Staaten erhebliche menschenrechtliche Defizite gibt, nicht nur für Roma, sondern auch beim Umgang mit Homosexuellen, beim Thema Pressefreiheit, im Justizsystem und so weiter«, sagt er der Jungle World.
Der Anlass für die Neuregelung des Asylrechts dürfte also weniger die vermeintlich sichere Lage in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien gewesen sein als die zunehmende Zahl an Asylanträgen. Beinahe 116 000 Flüchtlinge haben bis Ende August Asyl in Deutschland beantragt, das sind über 60 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das Innenministerium rechnet damit, dass in diesem Jahr die Zahl von 200 000 Anträgen überschritten wird. Die Behörden erwarten für die kommenden Monate sogar weit mehr Asylanträge als bisher geschätzt. Das Bundesamt für Migra­tion und Flüchtlinge korrigierte kürzlich erneut seine Prognose. Mit 25 000 Asylsuchenden monatlich müsse zukünftig gerechnet werden, das wären 300 000 im Jahr. Was bei all dem Alarmismus meist nicht erwähnt wird: 1992 wurden 438 000 Asylanträge gestellt, diese Zahl ist noch lange nicht erreicht.
Die Kommunen sind angesichts der jüngsten Zuwächse dennoch hoffnungslos überfordert. In den Massenunterkünften etlicher Erstaufnahmestellen reicht der Platz nicht mehr aus. Erst vor ­einigen Wochen schloss Nordrhein-Westfalen vorübergehend einige seiner Erstaufnahmeeinrichtungen und schickte die Bewohner ohne Vorankündigung in benachbarte Bundesländer – ins hessische Gießen etwa, das über Nacht etwa 450 Flüchtlinge zusätzlich aufnehmen musste. Auch in anderen Bundesländern ist die Lage desaströs: Anfang September wurde die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Berlin wegen Überlastung für einige Tage geschlossen. Kein einziger neuer Antrag wurde bearbeitet, für die Flüchtlinge gab es weder eine Unterkunft noch Verpflegung oder medizinische Versorgung. An etlichen Orten werden derweil eilig Notunterkünfte errichtet, um die Flüchtlinge unterbringen zu können. Doch selbst wer nicht in Zeltlagern, Kasernen und Turnhallen campieren muss, lebt häufig unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Für Luise Amtsberg besteht das Problem jedoch nicht darin, dass zu viele Menschen einen Asylantrag stellen würden, die keinen Anspruch darauf haben. Ursache des derzeitigen Notstands seien vielmehr strukturelle Probleme wie bürokratische Hürden und die ungleichmäßige Verteilung der Ausgaben. Obwohl es absehbar gewesen sei, dass es Zeiten geben wird, in denen wieder mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen, seien in den vergangenen Jahren Erstaufnahme­einrichtungen geschlossen und Häuser, die als Unterkünfte dienen konnten, verkauft worden. Die Neuregelung sei ein »populistisches Gesetz«, das von den eigentlichen Problemen ablenke.