So gehn die Deutschen: In Norwegen wollen sie sich anpassen

Höflich in Schlangen und auf Fähren

Fast hatte man in Norwegen schon vergessen, dass die Deutschen neben Dichten und Denken noch ganz andere Disziplinen beherrschen.

Die Deutschen in Norwegen? Es gab eine Zeit, da marschierten sie hocherhobenen Hauptes durch die Straßen, und diese Zeit ist noch längst nicht vergessen. Weder auf norwegischer noch auf deutscher Seite, deshalb ziehen die Deutschen den Kopf ein, wenn sie durch Norwegen gehen. Sie geben sich alle Mühe, sich anzupassen, nicht aufzufallen und alles gut zu finden, was in Norwegen passiert. Oder was Norweger sagen.
Was nun nicht immer leicht ist. Einerseits sind die marschierenden Deutschen durchaus nicht vergessen, die Erinnerung an die fünf Jahre der Besatzung, 1940 bis 1945, wird sogar unermüdlich am Leben erhalten, aber es gibt auch ein Davor und Danach. Vorher genoss Deutschland hohes Ansehen, als Land der Dichter und Denker. Deutsch war erste Fremdsprache in der Schule, und noch heute trifft man alte Leute, die »Die Bürgschaft« auswendig aufsagen und noch immer nicht fassen können, dass diese Kulturnation, das Vorbild für sie alle, sich dermaßen daneben benehmen konnte. Die Enttäuschung wirkt nach und scheint erblich zu sein. Doch dazu kommen wir noch.
Dann gibt es die jungen Leute. Die kommen gern zum Einkaufen nach Deutschland, weil im Vergleich zu Norwegen alles so schön billig ist, vom Bier in der Kneipe bis zur Wohnung in Berlin. Und diese Sorte Norweger hat viel zu loben: Deutsche Züge sind pünktlich (klingt unglaublich, ist aber so im Vergleich mit der norwegischen Staatsbahn NSB), die Deutschen sind höflich, lassen beim Schlangestehen alten und gebrechlichen Leuten den Vortritt, ohne dass die restliche Schlange verlangt, dass die Vortrittlassenden sich jetzt aber schön brav hinten anstellen, weil sie durch die Vortrittlasserei die hintere Schlange zu längerem Warten zwingen, Deutsche grüßen, wenn sie ein Restaurant betreten oder verlassen, und Autos halten auch, wenn gar keine Ampel da ist, bloß, weil irgendwer über die Straße will. Ein weiteres, oft genanntes Beispiel für deutsche Tugenden klingt unglaublich, wird aber von zuverlässigen Gewährsleuten bestätigt: Auf der Fähre Kiel-Oslo-Kiel gibt es Arrestzellen, in die Reisende gesperrt werden, wenn sie dem zollfreien Alkohol zu sehr zugesprochen haben und randalieren. Eingesperrt werden ausschließlich Norweger! In den vergangenen 20 Jahren, so ein für die Zellen zuständiger Fährmann, sei kein einziger Deutscher ausfällig geworden. Und dann ist da noch die Sache mit dem Land der Dichter und Denker, die wirkt nach. Dass es in Deutschland immer noch fast normal ist, dass jemand in der Schule Fächer wie Latein oder Philosophie belegt, klingt nach dem puren Bildungsparadies.
Deutsche in Norwegen ziehen bei so viel Lob klugerweise den Kopf ein und murmeln: »Jetzt übertreibt ihr aber«, und wenn sie schon länger dort sind, wissen sie auch, dass viele Norweger nichts mehr lieben, als über Norwegen herzuziehen. »Så unorsk!«, »Wie unnorwegisch!«, ist so ungefähr das höchste Lob, das sie zollen können. Über Norwegen herziehen dürfen aber nur ihre Landsleute, kommt die Kritik von außen, speien sie sofort Feuer und Schwefel. Im Sommer äußerte die schwedische Regisseurin Sofia Jupither sich über den in Norwegen sehr beliebten Kinderbuchautor Torbjørn Egner (1912–1990). Ihr skandalöses Urteil: Das beliebte, auf einem seiner Bücher beruhende Kindertheaterstück »Die Räuber von Kardemomme« enthalte sexistische Stereotype. Sofort brach ein Sturm der Entrüstung los – wie kann diese hergelaufene Person es wagen, unseren Egner zu kritisieren. Die wenigen Stimmen, die zaghaft darauf hinwiesen, dass die Frau ja Recht habe, wurden energisch niedergebrüllt. Aber immerhin war es eine Schwedin, die sich so weit vorwagte, und da hielt sich der Protest noch in Grenzen. Deutsche in Norwegen ziehen den Kopf ein und trauen sich nicht – wohl wissend, dass ihnen sofort Hitler um die Ohren gehauen würde.
Wer doch ein seltenes Mal eine Bemerkung wagt, sind Deutsche, die aus Liebe zur Natur nach Norwegen gegangen sind, die verlassene Einödhöfe wieder in Betrieb nehmen, ökologisch einwandfreie Lebensmittel anbauen und irgendwann den zaghaften Versuch unternehmen, ihren neuen Nachbarn etwas von Ökologie und Tierschutz zu erzählen. Der norwe­gische Schriftsteller Odd Klippenvåg beschreibt in seiner Geschichte »Energier« (»Energien«, wie so viele richtig gute Bücher nicht ins Deutsche übersetzt) eine Deutsche, die in Norwegen zurück zur Natur und zum natürlichen Leben finden will und den norwegischen Nachbarn zum Tee einlädt. Er möchte lieber Kaffee, aber den gibt es nicht, ist schließlich ungesund, chinesischer grüner Tee dagegen … »Jaja«, sagt der Nachbar, »wie interessant«, leert ganz schnell seine Teetasse und macht, dass er in den Dorfladen kommt, wo die Einheimischen beim dynamitstarken Kaffee sitzen und sich über diese Verrückte wundern.
Aber das sind nur seltene Entgleisungen, Deutsche in Norwegen, wie gesagt, ziehen den Kopf ein und passen sich an. So ging das bis zum Sommer und zur Fußball-WM. Norwegen hielt zu Deutschland, fieberte für Deutschland, die wenigen, die aus alterhergebrachtem Hass gegen Deutschland den Sieg lieber anderen gegönnt hätten, musste man mit der Lupe suchen, und von der Mehrzahl ihrer Landsleute wurden sie ausgelacht, als Ewiggestrige. Deutschland siegte, Norwegen jubelte. Und so hätte alles ein gutes Ende nehmen können, aber dann kamen die Sieger nach Hause und führten ihre Gaucho-Nummer auf. Und das war’s. Norwegen fühlte sich an die Deutschen erinnert, die hocherhobenen Hauptes durch Oslo marschierten und sich über geschlagene Gegner lustig machten, und wähnte sich ver­raten. Hochnotpeinliche Verhöre wurden angestellt, wenn ihnen Deutsche in die Hände fielen: »Warum haben die das gemacht?« Die naheliegende Antwort: »Weil das alles Idioten sind« half leider nichts, sofort kam die nächste Frage: »Warum hat Löw das zugelassen?« Weder »Weil auch Löw ein Idiot ist« noch »Woher soll ich denn wissen, wessen wirre Idee das war« half, die neu erwachte heiße Liebe zu Deutschland war bitter enttäuscht worden, und enttäuschte Liebende kennen nun mal kein Pardon. Und doch war die andere, ebenfalls häufig zu beo­bachtende norwegische Reaktion noch tausend Mal schlimmer: »Die Deutschen ändern sich eben nie.« Weshalb die Deutschen in Norwegen auch weiterhin den Kopf einziehen und geduckt durch die Gegend schleichen werden.