Das zwiespältige Verhältnis der serbischen Regierung zur Gay-Pride-Parade

Menschenrechte im Kessel

Am Sonntag hat nach vier Jahren endlich wieder eine Gay-Pride-Parade in Belgrad stattgefunden. Die serbische Regierung wollte damit die EU-Tauglichkeit des Landes unter Beweis stellen.

Regenbogenfahnen, fröhliche Menschen und eine ausgelassene Stimmung – so stellt man sich eine Gay-Pride-Parade meist vor. Bis es in Belgrad so weit ist, könnten aber noch einige Jahre vergehen. Vor dem Beginn der diesjährigen Parade durfte niemand die Hauptstraßen der Innenstadt betreten. Das Zentrum Belgrads war menschenleer, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Parade wurden von der Polizei eingekesselt. Etwa 6 000 Beamte in Schutzkleidung begleiteten die weit weniger als 1 000 Demonstrierende.
Die niederländische Journalistin Mitra Nazar twitterte kurz vor dem Ende der Demonstration: »Die Atmosphäre hier ist friedlich. Keine Ahnung, was außerhalb der Polizeiblase geschieht.« Der Umzug sollte um jeden Preis geschützt werden, damit die serbische Regierung die EU-Tauglichkeit des Landes unter Beweis stellen kann. Goran Miletić, einer der Organisatoren, kommentierte das Polizeiaufgebot sarkastisch mit den Worten: »Das ist die serbische Version des Rechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit.«

Die erste Belgrader Gay-Pride-Parade fand 2001 statt, kurz nach dem Sturz von Slobodan Milo­sević. Nachdem die Nationalisten den Machtkampf vorläufig verloren hatten, kamen in der LGBT-Community Hoffnungen auf, die Gesellschaft werde sich liberalisieren. Diese Hoffnungen wurden enttäuscht, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer angegriffen. Auch 2010 bekamen die Demons­trierenden innerhalb des Polizeigürtels nichts von den Reaktionen der Außenwelt mit. Trauriger Höhepunkt waren Ausschreitungen, an denen sich bis zu 6 000 Gegendemonstranten beteiligten, hauptsächlich Neonazis und Hooligans. Es gab über 150 Verletzte und Sachschäden in Mil­lionenhöhe. Filmisch wurde dieses Ereignis im Film »Parada« von Srđan Dragojević verarbeitet, einem der erfolgreichsten serbischen Filme aller Zeiten.
Die Parade wurde in Serbien hauptsächlich als Frage der Sicherheit diskutiert. Dabei lief das Spektakel nach 2010 immer nach demselben Muster ab: Die Regierung betont, die Veranstaltung schützen zu wollen, sagt sie aber kurz zuvor aus »Sicherheitsgründen« ab. Trotz des Verbots wurden bereits mehrere kleinere und unerlaubte CSD-Paraden in Belgrad abgehalten. Bei diesen kam es nicht zu gewalttätigen Ausschreitungen, Passantinnen und Passanten störten sich kaum an ihnen. Auch in diesem Jahr war bis zum Morgen der Demonstration nicht sicher, ob sie stattfinden kann.
Noch am Abend vor dem Gay Pride kam es zu homophoben Protesten gegen die Veranstaltung. Organisiert wurden diese von der rechtsextremen und religiös-fundamentalistischen Partei Dveri. Als Serbien im Mai dieses Jahres von der schlimmsten Flutkatastrophe seit Beginn der Wetteraufzeichnungen heimgesucht wurde und Dutzende Menschen starben, war die Schuldige schnell gefunden: Der serbisch-orthodoxe Metropolit Amfilohije Radović gab Conchita Wurst die Schuld und sagte: »Gott schickte den Regen, um uns daran zu erinnern, dass wir nicht die wilde Seite wählen dürfen.«

Vielleicht ist die wilde Conchita Wurst auch der Grund dafür, dass es in Wien zu einer Attacke auf die »Rosa Lila Villa« kam. Am Freitag voriger Woche wurde das Haus mit den Worten »Tötet Schwule« auf Deutsch und Serbisch beschmiert. Es ist davon auszugehen, dass die Tat in Zusammenhang mit dem Belgrader Gay Pride steht. Eingeschüchtert wirkten die Aktivisten in der »Rosa Lila Villa« jedoch nicht. Sie brachten ein Plakat mit den Worten »Schatzi, denk mal über die Konsequenzen von Mord nach« sowie ein Banner mit der Aufforderung »Solidarität mit der Beograd Prajdu« an. Dies auch zweisprachig.
Am CSD teilgenommen haben der serbische Kultusminister Ivan Tasovac und der Belgrader Bürgermeister Siniša Mali. Tanja Miščević, die Verhandlungsführerin bei den Beitrittsgesprächen mit der EU, war vor Ort und sagte: »Diese Veranstaltung zeigt, dass Serbien bereit ist, für dieselben Werte einzutreten wie die Staaten der EU.«
Rein rechtlich befindet sich Serbien beim Schutz von Minderheiten weitgehend auf EU-Niveau, doch die Diskrepanz zwischen Verfassungsnorm und Verfassungsrealität ist enorm. Es ist ein offenes Geheimnis, dass es ohne den Druck der EU keinen CSD in Belgrad geben würde. Mit der neuen Asylrechtsregelung in Deutschland wird in Zukunft auch nicht mehr geprüft werden, ob LGBT-Personen aus Serbien von Verfolgung bedroht sind und Asyl beantragen können. Serbien gilt nun als »sicherer Drittstaat«.
Für die serbische Regierung stellt die Gay-Pride-Parade eine Herausforderung dar. Am 21. Januar dieses Jahres begannen die offiziellen Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU. ­Einerseits gilt es, der EU zu zeigen, dass man die Menschenrechte achtet, andererseits will man die eigene homophobe Wählerschaft nicht vergraulen. Ministerpräsident Aleksandar Vučić ­erklärte auf einer Pressekonferenz am Dienstag voriger Woche: »Es ist meine Aufgabe, für die ­Sicherheit der Bürger zu sorgen. Dennoch ist es meine demokratische Entscheidung, nicht an der Parade teilzunehmen, und es fällt mir nicht ein, dort hinzugehen.« Nach der Demonstration sagte Vučić: »Wir haben das nicht getan, weil uns die EU dazu gezwungen hat, und auch nicht, weil wir die homosexuelle Bevölkerung mehr respektieren als die Kirche. Wir haben es getan, weil unsere Verfassung, unser Gesetz und unser Respekt vor den Menschenrechten es fordern. Dies gilt auch, wenn die Veranstaltung nicht im Einklang mit unseren persönlichen Überzeugungen steht.« Der jüngere Bruder des Ministerpräsidenten und zwei Begleiter wurden am Rande der Veranstaltung von der Sonderpolizei verprügelt und ins Belgrader Militärkrankenhaus gebracht. Die genauen Umstände waren bei Redaktionsschluss nicht geklärt. Das Video von der Polizeiaktion wurde allerdings schnell zum Youtube-Hit.

Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Belgrader CSD handelte es sich überwiegend um Aktivisten, NGO-Mitarbeiter, Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens. Die meisten LGBT-Personen in Serbien halten nicht viel von der Demonstration. Dennoch stellt sie einen Test dafür dar, ob die serbische Regierung bereit ist, grundlegende Menschenrechte zu schützen. Homophobie ist in Serbien weit verbreitet, im Gegensatz zu anderen Regionen des westlichen Balkans gibt es in Belgrad und Novi Sad aber LGBT-Organisationen, homo-freundliche Cafés und Clubs sowie eine lebhafte Szene.
Ein paar Dutzend Menschen, die gegen die Parade demonstrieren wollten, wurden von der Polizei aufgehalten. Verglichen mit den Ausschreitungen von 2010 haben es die Homophoben dieses Jahr allerdings nicht geschafft, eine große Anzahl gewalttätiger Gegendemonstranten auf die Straße zu bekommen. Dies ist im Grunde der größte Fortschritt der vergangenen vier Jahre.
Noch vor einigen Jahren stellte sich in Serbien die Frage, ob es sich an Russland oder der EU orientieren wird. Dank der Außenhandelsbilanz fiel die Wahl eindeutig auf die EU, und nur deswegen fand dieses Jahr in Belgrad der CSD statt. Wie sich die Lage von LGBT-Personen in Serbien entwickelt, werden erst die kommenden Jahre zeigen. »Ohne Angst verschieden sein zu können«, davon ist man in Serbien noch sehr weit entfernt.