Das Buch »Pornland« von Gail Dines verurteilt die Marktstrategien der Pornoindustrie

Sex, Objekte und Videos

Gail Dines untersucht in ihrem Buch »Pornland« die Marktstrategien der Pornoindustrie.

Pornographie als profitorientiertes Business – Gail Dines, Professorin für Soziologie und Frauenstudien am Wheelock College in Massachusetts, betrachtet die Pornoindustrie als Ausdruck kapitalistischen Gewinnstrebens. Ihre Grundannahme ist, dass das Streben nach ständig wachsenden Gewinnen zwangsläufig eine Brutalisierung und Radikalisierung pornographischer Bilder zur Folge habe. So sei die Veränderung medialer Bilder keineswegs ein Ergebnis gesellschaftlicher Liberalisierung, sondern lediglich ein Erfolg der Lobbygruppen des Porno-Business. Denn die Leitfrage der Konzerne sei: »Wie maximieren wir unsere Profite in einem bereits übersättigten Markt, auf dem Konsumenten immer weniger empfänglich für unsere Produkte sind?«
Um diese These zu belegen, geht Dines in einem spannenden Einstiegskapitel der Geschichte der US-amerikanischen Pornoindustrie nach und beschreibt die Konkurrenz zwischen den Magazinen Playboy, Penthouse und Hustler, die zu einer Verschiebung der Grenzen des gesellschaftlich Akzeptierten geführt habe. Den Kampf um Milliardenerlöse führten sie auch mittels Organisationen wie der Free Speech Coalition, die bereits erfolgreich Gesetzesänderungen durchgesetzt hat: Der pressure group ist es zu verdanken, dass in den USA sexuelle Darstellungen von Personen, die wie Kinder aussehen, aber nicht minderjährig sind, seit 2002 nicht mehr strafbar sind.
Die zweite Hauptthese des Buches ist weniger neu. Die wichtigste Erzähllinie von Pornos sei die Entwürdigung und Demütigung von Frauen – nicht Sex, sondern Machtausübung von Männern über Frauen sei der zentrale Inhalt. Somit verändere die Pornographie das Selbstbild von Frauen und das Frauenbild von Männern. Wie junge Frauen als Sexualobjekte sozialisiert werden, erläutert Dines nicht nur anhand von Material aus Gesprächen mit ihren Studentinnen und durch die Analyse pornographischer Internetforen, sondern auch anhand soziologischer und psychologischer Studien. Besonders überraschend sind diese Ergebnisse nicht, im Unterschied zu den Schlüssen, die die Autorin daraus zieht:
Pornokonsum führe zu einer sexuellen Überreizung und zu dem Wunsch, ständig neue Grenzen zu überschreiten. Aus Interviews mit verurteilten Sexualstraftätern folgert sie, dass das sexuelle Verlangen nach Minderjährigen durch den Konsum von Kinderpornographie, der oft auf den Gebrauch »normaler« Pornographie folge, ausgelöst werden kann. Und dies sei häufig der Einstieg in den Kindesmissbrauch. Für falsch hält sie die Darstellung, die »dazu tendiert, Männer, die sexuell von Kindern erregt werden, für Pädophile zu halten, die durch ihre abartigen sexuellen Interessen und Verhaltensweisen eine eindeutige und von anderen Männern getrennte Gruppe formen«. Wie auch die feministischen Soziologinnen Diana Russell und Natalie J. Purcell argumentiert sie, »dass die Forschung zu Pädophilen kein Modell von zwei klar definierten Gruppen (Pädophile und Nichtpädophile) zeigt, sondern dass es ein Kontinuum gibt: Manche Männer sind klar an einem der Enden positioniert, andere jedoch sind an verschiedenen Punkten verteilt«. In jedem Mann steckt ein Pädophiler, hieße das im Umkehrschluss – auch wenn Dines sich gleich im Eingangskapitel gegen den Vorwurf der Sex- und Männerfeindlichkeit verwahrt.
Die Autorin ist Gegnerin jeglicher Form von Pornographie und Mitgründerin der Organisation »Stop Porn Culture«. So zieht sie die Möglichkeit einer nichtausbeuterischen Form des Pornos nicht in Betracht, mehr noch: Bei Dines sind Pornonutzer prinzipiell männlich. Und diese Männer sind der Macht der Pornobilder hilflos ausgeliefert.
»Männer mögen vielleicht denken, dass die Pornobilder, die in dem Teil des Hirns weggesperrt sind, der als ›Phantasie‹ markiert ist, nie in die echte Welt einfließen werden, aber ich höre von Studentinnen immer und immer wieder, wie ihre Freunde zunehmend Pornosex von ihnen verlangen. Sei es das Ejakulieren auf das Gesicht des Partners oder harter Analsex, diese Männer wollen Pornos in der echten Welt nachspielen.«
Dass mediale Darstellungen Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung haben, ist eine Binsenweisheit. Dines verkürzt und vereinfacht. Das ist schade, denn ihre Kritik an den ausbeuterischen Mechanismen der Pornoindustrie ist wichtig und zutreffend, die einseitige Darstellung ruft dagegen eher Abwehrreaktionen hervor. Dines hat recht, wenn sie Fernsehformate wie »Girls Gone Wild« als Beispiel für das Verschmelzen von Porno und Mainstream-Popkultur nennt oder wenn sie auf die Verachtung hinweist, die Frauen in Pornoforen erfahren und mit der sie in Filmdialogen bedacht werden. Und sicherlich würde niemand bestreiten, dass Porno heute weitaus leichter verfügbar ist als noch vor zehn Jahren – kostenlose Pornoseiten und -kanäle haben die Heftchen ersetzt, die Ende des 20. Jahrhunderts den Pornomarkt dominierten. Dines’ detaillierte Schilderungen von Szenen aus dem Genre der »Inzestpornographie« oder aus Foren von Sexpuppennutzern, abwertende Zuschauerkommentare zu Darstellerinnen, aber auch ihre Analyse rassistischer Rollenzuschreibungen entsprechen sicherlich der Realität. Dass ein anderes Körperbild für junge Frauen sinnvoll wäre und dass die Ausbeutung ökonomisch abhängiger Frauen und Kinder für die sexuelle Erregung zahlender Kunden ein Skandal ist, ist keine Frage, aber kaum eine überraschende Erkenntnis.
Trotzdem kann ihre Absage an den Porno nicht überzeugen. Was fehlt, ist ein Blick auf die Möglichkeit von Pornographie jenseits der Frauenverachtung. Einvernehmliche Pornographie ist für Dines gar nicht erst vorstellbar – so wenig wie sie sich vorstellen kann, dass Frauen ein Bedürfnis nach Sex ohne weiterreichende Verpflichtungen haben könnten. So interpretiert sie die US-amerikanische Dating-Kultur mit ihren One-Night-Stands ausschließlich als Beleg dafür, dass Frauen sich dem männlichen Verlangen beugten. »Wieso stimmen (…) Mädchen und Frauen überhaupt zu, Sex unter emotional flachen und manchmal auch physisch riskanten Umständen zu haben? (…) In dieser hypersexualisierten Kultur sozialisieren wir Mädchen dazu, sich selbst als legitime Sexobjekte zu sehen, die für sexuelle Benutzung und sogar sexuellen Missbrauch vorhanden sind.«
Ganz problematisch wird es, wenn die Übersetzerin Begriffe wie »rassisch« oder »farbig« verwendet, deren Fragwürdigkeit ihr anscheinend nicht bewusst ist.
So nachvollziehbar Dines’ Wut auf ausbeuterische Verhältnisse und so ehrenhaft ihr Einsatz für die Selbstbestimmung junger Mädchen auch ist, worauf sie mit diesem Buch im Jahr 2014 hinauswill, bleibt letztlich unklar.

Gail Dines: Pornland. Wie die Pornoindustrie uns unserer Sexualität beraubt. Übersetzung aus dem Englischen von Aimée M. Ziegler. Verlag André Thiele, Mainz 2014, 260 Seiten, 19,90 Euro

Geändert am 08.10.2014