»They would rock. 59 Tage im Iran« von Helena Henneken ist reflexionslos

Reisen ohne Ahnung

Die Autorin Helena Henneken hat zwei Monate im Iran verbracht, um einen Reisebericht zu verfassen. »They Would Rock. 59 Tage Iran« ist so infantil wie reflexionslos.

Helena Henneken, 36, geboren in Paderborn, wohnhaft in Hamburg, ist »sehr neugierig«. Darum ist sie im Frühjahr 2013 auf die Idee gekommen, zwei Monate lang Ahmadinejads und Khameneis Iran zu bereisen. Im normalen Leben ist sie »Creative Coach und Kommunikationsberaterin«. So klingt auch ihr Reisebericht, in dem sie ihre Begegnungen im Iran aneinanderreiht und der in der deutschen Medienlandschaft auf ebenso große wie positive Resonanz gestoßen ist.
Ob die Autorin sich schon einmal Gedanken darüber gemacht hat, dass all jene Exiliraner, die sofort verhaftet und vermutlich ermordet würden, wenn sie heute den Iran besuchten, es als zumindest unsolidarisch empfinden könnten, wenn ihre Naivität zur Schau stellende Deutsche das Land bereisen, anstatt sich für den Sturz des Regimes einzusetzen, der dies auch endlich wieder Millionen Exilierten ermöglichen würde? Wohl kaum. Immerhin bekennt Henneken freimütig, vor ihrer Reise nicht einmal den Unterschied zwischen Iran und Irak gekannt zu haben, vom »Streit« des Iran »mit Israel« aber habe sie immerhin schon einmal etwas gehört. Die permanenten Vernichtungsdrohungen gegen den jüdischen Staat oder die Leugnung des Holocaust seitens des iranischen Regimes kommen bei ihr auf 300 Seiten dennoch mit keinem Wort vor.
Das Buch beruht auf der banalen Erkenntnis, dass die iranische Bevölkerung nicht mit dem Regime identisch ist und die iranische Jugend ganz schön nett und cool daherkommt. Wenn man liest, was Henneken alles bemerkenswert findet, könnte man meinen, die Frau, die sich mit ihren ausgedehnten Reisen von Feuerland bis Bhutan brüstet, sei noch nie aus Mitteleuropa herausgekommen: Die trinken dort doch tatsächlich ganz schön viel Tee im Orient und Touristen »zahlen wesentlich höhere Eintrittspreise«.
Den permanenten Zwang, ein Kopftuch zu tragen, beschreibt sie am Beginn ihrer Reise noch als »sehr komisches Gefühl«. Aber hey, was soll’s: »Ich hätte nicht in dieses Land reisen sollen, wenn ich mich darüber aufregen wollen würde.« Das Ganze ist geschrieben wie der Reisebericht einer 15jährigen. Die Menschen waren sehr nett zu ihr, sie wurde ganz oft eingeladen und kurzzeitig hat sie aus Höflichkeit sogar ihren Vegetarismus aufgegeben. Die Landschaft ist sehr schön, das Wetter war okay, es hat aber auch mal geregnet. Irgendwann war mal jemand nicht so nett zu ihr. Aber alles in allem hat es ihr doch gut gefallen – schließlich gibt es mittlerweile auch ein veganes Restaurant in Mashad. Die politische Si­tuation in dem Land wird zwar an einigen Stellen thematisiert, doch Hennekens an Oberflächlichkeit kaum zu überbietenden Beschreibungen versuchen erst gar nicht zu vermitteln, was das Leben in solch einem System bedeutet. Nie haben ihre Schilderungen etwas Erhellendes oder auch nur Überraschendes. Es sind durchgängig reflexionslose Nacherzählungen von reichlich vorhersehbaren Situationen.
Henneken bedauert, dass ihr das »Detailwissen« fehle, um den aberwitzigen Erzählungen eines Mullahs, wie gut das Leben der Frauen im heutigen Iran doch sei, etwas zu entgegnen – und das, obwohl sie doch »zwei Sachbücher« und auch noch »zwei Reiseführer« gelesen habe, bevor sie in das Reich der Ayatollahs aufgebrochen war. »Detailwissen« fehlt ihr offenbar auch in so gut wie jedem anderen Bereich, weshalb sie ausführlich die geopolitischen Ausführungen des Mullahs zitiert und diese lediglich mit der Bemerkung kommentiert, der Mann habe ihr »durchaus neue Denkanstöße und Fragen mitgegeben«.
Henneken meint, der westlichen Öffentlichkeit das wirkliche Leben im Iran näherbringen zu müssen, und ignoriert dabei die zahlreichen Reportagen über die Alltagskultur in der Diktatur der Ayatollahs, die seit Jahren in deutschsprachigen Medien publiziert werden. Sie hat einen Reisebericht vorgelegt, dessen ganze Originalität darin besteht, dass er »in persischer Leserichtung« am »anderen Anfang beginnt – wie Bücher im Iran«, und dessen aufwendige Gestaltung den mageren Inhalt an keiner Stelle ausgleichen kann. Henneken gefällt sich dermaßen in ihrer Rolle als mutige, allein reisende Frau, dass sie sich ihres Beitrages zur Infantilisierung der Diskussion über den Charakter des misogynen Antisemiten-Regimes im Iran und die von ihm geschaffenen Lebensbedingungen vermutlich gar nicht bewusst ist. Aber immerhin dürfte sie nun den Unterschied zwischen Irak und Iran kennen.

Helena Henneken: They Would Rock. 59 Tage Iran. ­Gudberg-Verlag, Hamburg 2014, 304 Seiten, 24,90 Euro