In vielen neuen Romanen geht es um kleine Buchläden

Amazon war gestern

Der kleine Buchladen erfährt sein Comeback als Schauplatz vieler neuer Romane.

Alles wird gut. Diesen Eindruck zu erwecken, war wohl das Bestreben von Alexander Skipis. Als der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels im Sommer dieses Jahres die Branchenumsätze des Jahres 2013 vorstellte, interpretierte er den zarten Zuwachs von 0,9 Prozent für den Sortimentsbuchhandel als Trendwende zugunsten der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Der gefühlt seit Jahrzehnten anhaltende »Strukturwandel«, die Konkurrenz von Filialisten großer Ketten, E-Book und Amazon – alles glimpflich überstanden? Eines ist nicht zu übersehen: Von rührigen Idealisten geführte und von gebildeten Lesern und vor allem Leserinnen durch regelmäßige Käufe ökonomisch getragene Buchhandlungen feiern so rätselhafte wie fröhliche Urständ. Zumindest in den Erzählungen und Romanen, die deutschsprachige Verlage in diesem Herbst herausgeben. Zufall, Trend? Es ist zumindest frappierend, dass in den Herbstvorschauen erstaunlich viele auf erstaunlich austauschbare Weise angepriesene Romane vertreten sind, die erstaunlich ähnliche Geschichten erzählen; nämlich davon, wie ein mutiger (in der Regel weiblicher) Mensch einen »Buchladen zum Verlieben« gründet.
So ist der Roman von Katarina Bivald betitelt, die nach Verlagsangaben in der Nähe von Stockholm lebt, mit »so vielen Bücherregalen, wie gerade reinpassen in ihre Wohnung. Sie weiß bis heute nicht genau, was sie bevorzugt: Menschen oder Bücher«. Ihre Heldinnen, die eine Brieffreundschaft unterhalten, haben diese Frage bereits beantwortet: »Die 65jährige Amy aus Iowa und die 28jährige Sara aus Schweden verbindet eines: Sie lieben Bücher – mehr noch als Menschen.« Doch dann schlägt das Schicksal zu: »Begeistert beschließt die arbeitslose Sara, ihre Seelenverwandte zu besuchen. Als sie jedoch in Broken Wheel ankommt, ist Amy tot. Und Sara plötzlich mutterseelenallein. Mitten in der Einöde. Irgendwo in Iowa. Doch Sara lässt sich nicht unterkriegen. Mit Amys Büchersammlung als Grundstock eröffnet sie einen Buchladen. Ihre Empfehlungen sind so skurril und liebenswert wie die Einwohner selbst. Und allmählich beginnen die Menschen aus Broken Wheel tatsächlich zu lesen.« Wie schön.
Ähnlich bibliophil geht es in Penelope Fitzgeralds Roman »Die Buchhandlung« zu. Darin erwirbt eine Florence Greene in »einem verschlafenen Dorf an der Küste Ostenglands das Old House als zukünftiges Domizil für ihre Buchhandlung«. Und hat es auch nicht leicht. Dass das alte Haus »von einem Poltergeist besessen und bis auf die Grundmauern feucht ist, bringt sie von ihrem Vorhaben ebenso wenig ab wie die Tatsache, dass sie von finanziellen Dingen keine Ahnung hat. Voller Schwung stürzt sie sich in die Vorbereitungen und stattet ihre Buchhandlung liebevoll aus.«
Wer über genügend Schwung verfügt, muss dann auch nicht viel von Betriebswirtschaft verstehen, um mit seinem Retro-Start-up erfolgreich zu sein. Vor allem aber geht es ums große Ganze: um das Glück. »Ein Laden, der Glück verkauft« ist Schauplatz von Beth Hoffmans gleichnamigem Roman. Darin geht es um einen Antiquitätenladen: »Von Kindesbeinen an hat Teddi davon geträumt und dann wird dieser Traum eines Tages Wirklichkeit: ihr eigener Laden. Ein Roman über eine Frau, die ihr Glück mit eigenen Händen zu greifen weiß«, indem sie sich eines Tages »mit ihrem klapprigen Wagen und wenig Geld gegen den Willen ihrer Familie auf nach Charleston, South Carolina« macht. Ein Eskapismus, demzufolge Geld keine Rolle spielt, waltet auch hier. In Charleston arbeitet Teddi »viele Jahre in Mr. Palmers Antiquitätenhandel, immer in der Hoffnung, den Laden zu übernehmen, wenn Mr. Palmer in Rente geht. Doch es kommt alles anders: Der alte Mann stirbt plötzlich und der schöne Laden soll an Fremde verkauft werden. Aber Teddi gibt keine Ruhe, bis sie einen Weg findet, Mr. Palmers Laden selbst zu kaufen. Das liebenswerte Personal wird wieder eingestellt und ›Teddis Laden‹ wird einer der schönsten Antiquitätenläden in ganz Charleston.«
Gut endet auch, was bedrohlich beginnt: »Als die junge Literaturprofessorin Bluma Lennon die Straße überquert, wird sie, in einen Gedichtband Emily Dickinsons vertieft, von einem Auto erfasst und ist auf der Stelle tot.« Doch auch in Carlos María Domínguez’ Roman »Das Papierhaus« naht Rettung. Lennons »Lehrstuhl in Cambridge übernimmt ein junger Kollege, den mit Bluma nicht nur die Liebe zur Literatur verband, sondern ebenfalls eine turbulente Liaison. Eines Tages erhält er ein ramponiertes Buch mit einer Widmung seiner ehemaligen Geliebten, und verstört bricht er auf, einer Spur zu folgen, die ihn um die halbe Welt führt. Dabei wird er unversehens in eine Welt geheimer Bibliotheken und mysteriöser Leser hineingezogen. ›Das Papierhaus‹ ist eine hintersinnige Liebeserklärung an das Lesen und die Bücher, eine virtuose Hommage an eine der seltsamsten und beglückendsten menschlichen Leidenschaften.«
Um Leidenschaften geht es auch in Sophie Harts Roman »Unanständige Frauen lesen und trinken Kaffee«. Eigentlich wollte Estelle »nur eine Lesegruppe gründen, um mehr Kunden in ihr kleines Café zu schleusen. Und mit ihrem Vorschlag, gemeinsam den erotischen Bestseller ›Ten Sweet Lessons‹ zu lesen, wollte sie lediglich ein bisschen Leben in ihre kleinstädtische Leserunde bringen. Doch inspiriert von Estelles erotischer Lektüreliste lässt die nette, schüchterne Gruppe nach und nach ihre Hemmungen fallen und entdeckt, dass ihre eigenen Lebensgeschichten mindestens genauso skandalös sein können wie die ihrer Romanhelden.«
»Das Glück der Worte« lautet der Titel des Debütromans der Spanierin Sonia Laredo. Die »liebt, ganz wie ihre Heldin Brianda, die Literatur über alles«. Die Protagonistin Brianda »lebt für die Bücher. Doch dem Verlag, für den sie arbeitet, geht es nicht gut, und eines Tages wird ihr überraschend die Kündigung ausgesprochen. Am Boden zerstört, beschließt sie zu verreisen. Irgendwo in den spanischen Bergen, auf dem Weg nach Santiago de Compostela, fällt ihr ein Schild ins Auge: ›Nachfolger für Antiquariat gesucht‹. Brianda glaubt an einen Wink des Schicksals, denn die Bücher haben sie noch nie enttäuscht!«
Machte sich jemand die Mühe und verfasste eine Soziologie des Buchhändlerberufs, die literarische Gründerzeit im Herbst 2014 lieferte ihm merkwürdige Einsichten: Buchhändler sind Leute, die nicht wissen, ob sie Bücher oder Menschen mögen, keine Ahnung von Finanzen haben und folgerichtig bevorzugt irgendwo in ländlichen Einöden, verschlafenen Dörfern oder ebensolchen Kleinstädten schöne, aber gern mal feuchte Läden eröffnen, in denen sie ihren skurrilen Stammkunden Glück verkaufen (am Ende sogar gegen Geld?).
Weniger romantisch geht es bei Petra Hartlieb zu, die in ihrem Erfahrungsbericht »Meine wundervolle Buchhandlung« aus dem wahren Leben erzählt und schildert, wie sie mit ihrem Ehemann »im Urlaub aus einer Schnapsidee heraus eine Buchhandlung in Wien gekauft« hat. »Und natürlich«, schreibt sie in der Vorschau, »handelt meine Geschichte auch vom Kampf gegen den Onlinebuchhandel oder dem nervenaufreibenden Weihnachtsgeschäft.«
Weihnachtsgeschäft? Onlinebuchhandel? Wo sind wir denn hier? Offensichtlich nicht in der anheimelnden Märchenwelt geheimer Bibliotheken, mysteriöser Leser und schüchterner Lesezirkel, sondern in der Branchenwirklichkeit des Jahres 2014. Wer aber will die wirklich kennenlernen? Am Ende nicht einmal Herr Skipis vom Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.