Die Gewerkschaften kritisieren die Freihandelsabkommen nicht ausreichend

Das Chlorhuhn der Gewerkschaften

In der Debatte über die Freihandelsabkommen sind private Schiedsgerichte die Zielscheibe der Gewerkschaften, weil diese offenbar eine grundsätzliche Auseinandersetzung scheuen.

Die Bildsprache der Gegner des Transatlantischen Freihandelsabkommens ist so allgegenwärtig und ermüdend propagandistisch wie durchsichtig: Beim Umweltinstitut München fahren Tanker mit Totenkopf- und Biohazard-Zeichen von links nach rechts, über den Atlantik, nach Europa. Eine Karikatur von Verdi zeigt den brüchigen Damm der »Arbeitnehmerrechte«, das bedrohlich gefüllte Staubecken wird gespeist von Wasserfällen aus Kanada und den USA. Eine treffende und internationalistische Analyse sieht anders aus. Immerhin, mag man sich trösten, befeuert das die Debatte. Und die wird derzeit über mehrere Abkommen geführt. Am Tag vor dem offiziellen Abschluss der Verhandlungen zum europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen (Ceta) erklärte der scheidende EU-Handelskommissar Karel De Gucht gegenüber der Frankfurter Allgemeinen, dieses sei »geradezu eine Blaupause für die Gespräche mit den Vereinigten Staaten«.
Salbungsvolle Worte finden sich im Ceta-Abkommen wie in jeder Sonntagsrede. So heißt es im Kapitel 24 (»Handel und Arbeit«), der internationale Handel könne zu »produktiver Vollbeschäftigung und fairer Arbeit für alle« beitragen, und Arbeitnehmerrechte wolle man »weiter verbessern«. Ebenfalls am Vortag des Abschlusses am 26. September beriet der Bundestag über die Freihandelsabkommen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Nachverhandlungen gefordert, weil die privaten Schiedsgerichte – eine Paralleljustiz für Unternehmen – in diesem Falle »nicht erforderlich« seien, sprach sich aber mit Verweis auf die Schaffung von Arbeitsplätzen grundsätzlich für Freihandel aus: »Insofern sind die Dinge, die wir mit dem DGB verabredet haben, für mich in der Tat verbindliche Leitlinien für die Gespräche mit der Kommission.« Dem entgegnete Hans-Peter Friedrich (CSU): »Wir können nicht erwarten, dass die Amerikaner akzeptieren werden, dass das Betriebsverfassungsgesetz morgen auch in den USA gilt.« Dieser Illusion geben sich auch die Gewerkschaften nicht hin.

»Es hat keinen erkennbaren Nutzen, würde aber viel Schaden anrichten«, erklärte der Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel, bereits im März in der Frankfurter Rundschau mit Blick auf die TTIP: »Die Verhandlungen müssen gestoppt werden.« Ganz so weit geht der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nicht. Die Kritik der DGB-Gewerkschaften und mit ihnen des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) konzentriert sich im Wesentlichen auf drei bis vier Punkte: An prominentester Stelle stehen die sogenannten Schiedsgerichte des »Investor to State Dispute Settlement« (ISDS), denn diese bilden ein »Instrument, gegen legitime staatliche Regulierung vorzugehen, und können hohe Kosten für die öffentliche Hand verursachen«, heißt es in der DGB-Vorstandspublikation Klartext vom September. Mit Blick auf Kapitel 24 bemängelt der Vorstand, dass die Vorgaben »nicht effektiv durchsetzbar gestaltet« sind. Schließlich sieht man in der Negativliste, die bestimmte Bereiche von Liberalisierungsbestrebungen ausschließt, ein scheunentorgroßes Hintertürchen und fordert: »Alle Bereiche, die liberalisiert werden sollen, müssen auf einer so genannten Positivliste explizit benannt werden.« In einem Schreiben an den kanadischen Botschafter bei der EU kritisiert der EGB ergänzend, dass auf die UN-Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nur »ein sehr schwacher Bezug« genommen werde. Angela MacEwen vom Canadian Labour Congress weist in einer Analyse über das Ceta darauf hin, dass Kanada zwei der acht ILO-Kernarbeitsnormen nicht unterzeichnet hat (Jungle World 7/2013), nämlich die des Vereinigungsrechts und des Recht zu Kollektivverhandlungen und die des Mindestalters für Beschäftigte. Das gesamte Kapitel sei nicht mehr als »ein Lippenbekenntnis gegenüber der positiven Rolle, die faire Arbeit und hohe Arbeitsstandards in modernen Wirtschaften spielen«.

Aber es könnte sich als Pyrrhussieg der Gewerkschaften erweisen, dass all diese Kritikpunkte Mitte September Eingang fanden in das gemeinsame Positionspapier des DGB und des Bundeswirtschaftsministeriums. Dort nämlich ist von einem möglichen Abbruch der Verhandlungen mit keinem Wort die Rede. Dieser Schulterschluss zwischen Gewerkschaften und Regierung erinnert unwillkürlich an das Bündnis von Bossen und Genossen in Sachen Tarifeinheit (Jungle World 26/2010). So fragt man sich, ob der an die Bundesregierung adressierte Vorwurf von Anton Hofreiter (Grüne) – »verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre« – auch auf die Gewerkschaftsspitzen zutrifft, wenn sie das Abkommen »mitgestalten« statt verhindern wollen. Denn, so erklärt Verdi-Sekretär Ralf Krämer im Gespräch mit der Jungle World, das »Grundproblem ist, dass die Konkurrenz verschärft wird«, das stelle insbesondere bei Dienstleistungen ein größeres Problem dar. Bis Ende des Jahres soll ein Gutachten vorliegen, das die Zunahme des Wettbewerbsdrucks zu quantifizieren sucht.
Ein Beispiel für die Auswirkungen des (binneneuropäischen) Freihandels gab Mitte September ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Die Stadt Dortmund hatte die Digitalisierung von Akten ausgeschrieben und pochte auf die Einhaltung des Mindestlohns des nordrhein-westfälischen Tariftreuegesetzes. Der EuGH entschied jedoch, dieses gelte nicht, wenn die Arbeiten komplett im Ausland erledigt werden – damit ging das Kalkül der Bundesdruckerei auf, die den Zuschlag erhalten und den Auftrag nach Polen ausgelagert hatte. Verschärfen dürfte sich die bestehende Problematik durch die sogenannte Ratchet-Klausel, wonach Deregulierungen, auch wenn sie von nur einer Seite (etwa der EU) beschlossen werden, als der verbindliche Standard gelten – und Bereiche wie den Energiesektor verzeichnet die Negativliste nicht.
Während die Schiedsgerichte die Gewerkschaften nur indirekt betreffen, wird der erhöhte Wettbewerbsdruck unmittelbar zu spüren sein. Zwar ist der formelle Abbau von Arbeitnehmerrechten explizit ausgeschlossen, sehr wohl aber wird die veränderte Situation jeglichen Kampf von Lohnabhängigen – das gewerkschaftliche Kerngeschäft – vor neue Probleme stellen und damit zunächst erschweren. Darauf müssten sich die Gewerkschaften mindestens ebenso konzentrieren wie auf die politische Einflussnahme. Zaghafte Ansätze dazu gibt es, entgegen der einseitigen Bildsprache, wenn die IG Metall erklärt, es sei »eine unabdingbare Voraussetzung für das Abkommen, dass die USA alle Kernarbeitsnormen der ILO ratifizieren und umsetzen«. Gelänge es, diesen Hebel tatsächlich anzusetzen, würden die Rahmenbedingungen für Gewerkschaften in den USA verbessert. Und in der Tat ist im Ceta-Text die Verpflichtung enthalten, Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen juristisch zu garantieren. Jedoch sind papiernes Recht und wirkliche Bewegung immer noch zwei sehr disparate Dinge. Wirklich bewegen wird sich zumindest der Markt.