Deutsche Klimaschützer sehen den Kapitalismus meist nicht als Problem

Die Kanzlerin darf fliegen

Im Zuge des jüngsten UN-Klimagipfels wurde deutlich: Vom Kapitalismus wollen deutsche Klimaschützer längst nicht mehr reden.

Die Demonstration verlief völlig lautlos. Allerdings tanzten zahlreiche Teilnehmer und zappelten mit den Armen. Manchmal applaudierten sie auch. Bei dem Umzug Ende September handelte es sich nach Angaben der Veranstalter um die bisher größte »Silent Climate Parade« in Berlin. Tage später wurde sie von den Veranstaltern immer noch beinahe wie ein religiöses Erweckungserlebnis gefeiert: »Nur wenige Tage ist es her, da wurde für uns der Traum Realität. Mehrere Tausend Menschen sind mit uns gemeinsam auf die Straße gegangen, um der Welt zu zeigen, dass uns Klimaschutz am Herzen liegt, dass man friedlich demonstrieren kann und dabei umso mehr gehört wird. Noch nie zuvor haben so viele Menschen bei der Silent Climate Parade mitgemacht!«

Wer wissen wollte, um was es bei dem stillen Aufzug in Berlin-Mitte ging, musste sich gegen Pfand einen Kopfhörer ausleihen. Vielleicht nahmen die Organisatoren mit dem stummen Protest auch nur Rücksicht auf die Passanten. Diesen blieb jedenfalls erspart, ununterbrochen von den Ansprachen belästigt zu werden, in denen die Zuhörer im Ton von Werbetextern aufgefordert wurden, bereit für etwas ganz, ganz Neues zu sein. Im nächsten Augenblick wurden die Demons­trationsteilnehmer animiert, doch mithilfe ihrer Mobiltelefone herauszufinden, wie viele Kämpfer für das Klima denn in New York auf der Straße seien.
Während der Abschlusskundgebung gab es auch kurze Redebeiträge von Klimaschützern aus der näheren und ferneren Umgebung. Sie wurden allerdings nicht nur auf die Kopfhörer übertragen. So konnten alle Teilnehmer und Passanten hören, wie ein Umweltschützer mindestens fünf Minuten lang die Vielfliegerei als besonders schädlich geißelte. Direkt danach wurden alle dazu animiert, die Parole »Merkel nach New York« zu skandieren, ein Großteil des Publikums stimmte ein. So entstand der Eindruck, Fliegen sei nur dann umweltschädlich, wenn es Menschen mit wenig Geld zu niedrigen Preisen tun. Setzt sich Merkel in die Kanzlermaschine, ist es anscheinend unbedenklich. Dass die Bundeskanzlerin allerdings trotz der Aufforderungen nicht persönlich zur UN-Klimakonferenz nach New York jettete, nehmen ihr die Umweltschützer übel. Schließlich könnte Deutschlands Ruf als Klimaretter Schaden nehmen.
Im Zuge des UN-Gipfels ging in Deutschland eine Umweltbewegung auf die Straße, die zufrieden gewesen wäre, wenn die Bundeskanzlerin höchstpersönlich deutsche Interessen in New York vertreten hätte. Fast vergessen scheint es zu sein, dass es einmal Teile der Umweltbewegung gab, die nicht nur die Stilllegung der AKW, sondern auch die »Stilllegung der herrschenden Klasse weltweit« forderte. So lautete längere Zeit die Parole einer linken Umweltbewegung in den achtziger Jahren, die sich nicht nur auf AKW konzentrierte, sondern mit der Nukleartechnologie auch die Destruktivität des kapitalistischen Verwertungszwangs bekämpfen wollte.
Doch spätestens als die Grünen den Atomausstieg im größtmöglichen Einklang mit der Atomindustrie zu ihrer Sache machten, verlor der linke Teil der Anti-AKW-Bewegung an Bedeutung. Anfangs schien es zwar, als könnte die unabhängige Umweltbewegung Zulauf bekommen. So waren in Gorleben grüne Mandatsträger nicht mehr gerne gesehen. Doch spätestens nach der Abwahl von Rot-Grün und dem Versuch von Union und FDP, die AKW-Laufzeiten zu verlängern, riefen viele Umweltaktivisten zur Verteidigung jenes »Atomkompromisses« auf, der vorher noch als indus­triefreundlich kritisiert worden war. Nach der Atomkatastrophe in Japan war dann in großen Teilen der Umweltbewegung wieder die Welt­rettung angesagt, über die Stilllegung des Kapitalismus wollte niemand reden. Auch auf der »Silent Climate Parade« in Berlin wurde ausgiebig und ohne Ironie über die Rettung der Welt, über den Kapitalismus jedoch überhaupt nicht geredet.

In Kanada und den USA, die einem großen Teil der deutschen Umweltbewegung als Hort der Klimaleugner und -sünder gelten, verläuft die Diskussion anders. Dort hat Naomi Klein, eine der Ikonen der kurzlebigen globalisierungskritischen Bewegung, unter dem Titel »This Changes Everything. Capitalism vs. The Climate« ein Buch veröffentlicht, in dem sie Thesen aufstellt, die man von der Klimabewegung in Deutschland nicht hört. Der Kapitalismus, nicht die Schadstoffbelastung der Luft, sei das eigentliche Problem, so Klein. Sie ruft die Klimabewegung dazu auf, dem Kapitalismus den Kampf anzusagen, und legt sich mit etablierten Umweltorganisationen an, die sich in Kooperation mit Konzernen am »Greenwashing« beteiligen. Wenn auch an vielen Stellen ihres Buches wieder einmal durchscheint, dass Klein eher eine Regulierung als eine Abschaffung des Kapitalismus anstrebt, sorgt sie doch dafür, dass in der Diskussion in Kanada und den USA das Kapitalverhältnis nicht ausgespart wird, wenn es um die Umwelt geht.
In Deutschland hingegen hat eine umweltbewusste Mittelschicht den Reiz des Verzichts und der »Schrumpfwirtschaft« entdeckt, wie etwa im September auf der »Degrowth-Konferenz« in Leipzig. Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand äußert in einem Kommentar im Neuen Deutschland die Befürchtung, dass in der Umweltbewegung »eine junge ökolibertäre Mittelschicht mit geringer Sensibilität für sozialstrukturelle Ungleichheit und Machtfragen, bei der manchmal sogar eine Portion elitäres Unverständnis für die immer noch an der Konsum- und Wachstumsnadel hängenden Massen« hervorsteche, ein neues Betätigungsfeld finden könnte.