Gewalt gegen Flüchtlinge in Flüchtlingsunterkünften

Elend mit System

In einer Notunterkunft für Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen haben Wachmänner eines privaten Sicherheitsdienstes Asylbewerber misshandelt und gedemütigt. Die Reaktion der zuständigen Behörden auf den Skandal fiel zunächst dürftig aus.

Im Zuge von Ermittlungen wegen Übergriffen auf Flüchtlinge in einer Einrichtung im nordrhein-westfälischen Burbach durchsuchte am Montagvormittag die Staatsanwaltschaft Siegen gleichzeitig das Flüchtlingsheim in Burbach und den Firmensitz des Flüchtlingsheimbetreibers European Homecare in Essen. Dem Sprecher der Staatsanwaltschaft zufolge wurde dabei nach Beweisen gesucht. Im WDR-Magazin Westpol hatten zuvor nicht näher genannte Sicherheitskräfte neue Vorwürfe gegen European Homecare erhoben. Nach ihrer Aussage ist das Unternehmen über die Strafmaßnahmen gegen Flüchtlinge informiert gewesen und habe diese teilweise selbst angeordnet. Am Dienstag entzog Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) European Homecare den Betrieb des Flüchtlingsheims in Burbach. Das Deutsche Rote Kreuz übernehme die Aufgaben, teilte Jäger mit. Zuvor war bekannt geworden, dass die Siegener Staatsanwaltschaft mittlerweile nicht nur gegen die Wachmänner, sondern auch gegen den Leiter der Unterkunft und den Geschäftsführer von European Homecare ermittelt.

Die Vorwürfe der ehemaligen Mitarbeiter gegen den Betreiber sind zahlreich. Muslimen sei während des Ramadan verboten worden, nach 22 Uhr zu kochen, zur Bestrafung der Bewohner soll die Übertragung des Fußballländerspiels Deutschland gegen Algerien unterbrochen worden sein und ein sogenanntes Problemzimmer, einen nur mit Matratzen ausgestatteten Raum, von dem einer der tatverdächtigen Wachmänner gegenüber dem Südkurier berichtete, sollen die Sozialarbeiter mit Billigung der Heimleitung eingerichtet haben. Zudem habe es eine Anweisung gegeben, nicht mit den Flüchtlingen zu reden.
»Ich schäme mich entsetzlich«, beteuerte der Geschäftsführer des Sicherheitsunternehmens SKI, Walter Stilper, das für die Einrichtung in Burbach verantwortlich war. Er bestätigte gegenüber den Nürnberger Nachrichten das Kochverbot nach 22 Uhr während des Ramadan. Er weist jedoch alle Vorwürfe gegen sein Unternehmen zurück. Die Übergriffe seiner Mitarbeiter machten ihn »fassungslos« und nachdem er von dem »Problemzimmer« erfahren hatte, ließ er es umgehend schließen. »Wir hätten dort 14jährige einsperren sollen oder auch Frauen – das ist doch vollkommen krank«, beklagt Stilper.
Die Zustände in der Flüchtlingsunterkunft wurden bundesweit bekannt, nachdem Fotos in sozialen Netzwerken aufgetaucht waren, auf denen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes zu sehen sind, die Flüchtlinge misshandeln und schikanieren. Zeitweise schickten sich die Männer in einer WhataApp-Gruppe gegenseitig Bilder erniedrigter Menschen. »Es war bescheuert«, gesteht ein Sicherheitsmitarbeiter gegenüber dem Spiegel. Und sagt: »Ich schäme mich dafür.« In der überregionalen Presse wurde rasch spekuliert, ob es sich bei den Tätern um Rechtsextreme handelte, was bisher nicht bestätigt werden konnte. Einige der mutmaßlichen Täter haben selbst einen Migrationshintergrund.
Anfang September floh eine koptische Familie vor 50 islamistischen Angreifern aus der Unterkunft. Die Polizei musste sie zu einem Taxi begleiten, weil die sechs Sicherheitsmitarbeiter in dem Asylerstaufnahmelager nicht mehr in der Lage waren, die koptische Familie zu schützen. Mitarbeiter berichten, dass es immer wieder Massenschlägereien zwischen Dutzenden Bewohnern gegeben habe. »Gott sei Dank kam der größte und schwerste Sicherheitsmann und hat sich dazwischengeworfen«, berichtet ein betroffener Ägypter gegenüber der Welt. Die fünf übrigen Sicherheitskräfte hätten ihn und seine Kinder in ein Zimmer gebracht, während etwa 50 wütende Männer versucht hätten, das Sicherheitspersonal aus dem Weg zu räumen. Zuvor mussten die beiden Kinder mit ansehen, wie ihr Vater vor dem Eingang des Asylbewerberheims zusammengeschlagen wurde.

Die provisorische Unterkunft in Burbach ist in einem katastrophalen Zustand. Eigentlich sollte die ehemalige Kaserne, die im September vorigen Jahres als Flüchtlingsunterkunft eingerichtet wurde, nur für vier Monate als Zwischenlösung für bis zu 500 Asylsuchende herhalten. Derzeit leben über 700 Menschen dort. Es gibt nicht einmal einen geeigneten Spielplatz für die Kinder. Nach dem Bekanntwerden der skandalösen Misshandlungen erwog der zuständige Arnsberger Regierungspräsident, Gerd Bollermann (SPD), die Sicherheitsüberprüfung der Sicherheitskräfte strenger zu gestalten. Wegen der unhaltbaren Zustände in der Unterkunft habe man sich aber nichts vorzuwerfen. »Es gibt keine Strategie für die Einrichtung«, kritisiert dagegen der Burbacher Bürgermeister, Christoph Ewers (CDU). »Sie wurde in wenigen Tagen hochgezogen und seitdem ist sie ein Provisorium«, bekräftigt er gegenüber der Taz. Wegen der ständigen Überbelegung war der Bürgermeister schon im Innenministerium vorstellig und regte einen Betreiberwechsel an. »Das Unternehmen bekommt Pauschalen pro Bett«, so Ewers. Dabei erhöhen sich die Kosten für Miete und Personal nicht im gleichen Maße wie die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge. Seiner Ansicht nach sei deshalb bei dem Betreiber European Homecare die Versuchung groß, »nicht gegen Überbelegung zu protestieren«. In Essen demonstrierten Anfang der Woche rund 80 Personen für eine Verbesserung der Situation in der Notunterkunft am »Opti-Park«. Auch diese betreibt die Firma European Homecare. Die Demonstranten kritisierten die mangelhafte Versorgung mit Nahrungsmitteln, darüber hinaus hätten die Flüchtlinge nach zwei Monaten immer noch nicht das ihnen zustehende Taschengeld erhalten. Mehrere Flüchtlinge berichteten über Misshandlungen und Demütigungen in der Einrichtung, entsprechende Anzeigen sollen erstattet worden seien. Der Hauptkritikpunkt ist aber die lange Verweildauer in der Unterkunft. Die Flüchtlinge wollen so schnell wie möglich in reguläre Unterkünfte untergebracht werden.

Die regionalen Behörden werden in der Regel von der Landes- und Bundespolitik im Stich gelassen. Vor allem in den Ballungsräumen, in denen freier Wohnraum generell kaum noch zur Verfügung steht, gehen die Behörden seit Monaten dazu über, Flüchtlinge in Zelten und Containern unterzubringen. Doch auch im ländlichen Brandenburg wirft die Sprecherin des Flüchtlingsrats, Ivana Domazet, der Landesregierung schwere Versäumnisse bei der Unterbringung von Asylbewerbern vor. Der derzeitige »Aufnahmenotstand« sei selbstproduziert. Obwohl seit zwei Jahren bekannt ist, dass die Zahl der Flüchtlinge steigen wird, seien vom Land kaum Kapazitäten geschaffen worden. Sammelunterkünfte wie das frühere Jugendheim Haasenburg in Müncheberg, das wegen der Misshandlung von Kindern schließen musste und seit kurzem als Flüchtlingsunterkunft dient, lehnt Domazet entschieden ab. Die frustrierenden Lebensumstände von Flüchtlingen führen oft zu Verzweiflungstaten. In Haldesleben (Sachsen-Anhalt) erhängte sich im August der 29jährige Amedy Mustapha Wade aus dem Senegal. Nach seiner Zeit im Erstaufnahmelager Halberstadt verlegte man ihn in eine ehemalige NVA-Kaserne nach Harbke. Schon im vorigen Jahr brachte sich dort ein Flüchtling um. In diesem Jahr wechselte Wade dann nach Haldensleben in eine neu entstandene Zusatzunterkunft. Dort nahm er sich am 18. August das Leben. Ein Freund des Verstorbenen, Badra Ali Diarra, beklagt in seiner Stellungnahme: »Wenn über Menschenrechte geredet wird, müssen diese auch erfüllt werden! Ein Mensch bringt sich um und ihr sagt, dass ihr nicht verantwortlich dafür seid!« Drei Wochen später versuchte in Annaburg (Sachsen-Anhalt) eine junge Nigerianerin, sich selbst und zweien ihr vier Kinder zu töten. Nur durch das Eingreifen des Vaters konnte das Leben der beiden Kinder sowie der Frau gerettet werden. Der Staatsanwaltschaft zufolge ist dem Abschiedsbrief der jungen Nigerianerin zu entnehmen, dass das Asylverfahren in Italien geführt werden sollte und sie glaubte, ihren Kindern eine erneute Ausweisung dorthin nicht zumuten zu können. Nach Ansicht des Geschäftsführers der Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt, Michael Marquardt, werden gerade die juristischen Vorschriften, die für den Umgang mit Flüchtlingen gelten, durch stetiges Beharren missbraucht. Die jeweiligen Behörden würden so die Verantwortung von sich weisen. Er sagte der Mitteldeutschen Zeitung: »Die Regeln sind so, wir können nichts machen« – diesen Satz höre er immer wieder. »Wenn das so ist, dann sind die Regeln falsch.«