Die Fahndungskategorien des BKA

Erfolg durch Inkompetenz

Angesichts der öffentlich gewordenen Verwendung fragwürdiger »personengebundener Hinweise« wirken die Fahndungsmethoden des Bundeskriminalamts antiquiert und dilettantisch. Doch das Bild der Behörde trügt.

Institutionen, auch staatlichen Apparaten, eine »Identität« zuzuschreiben, ist nicht neu. Neu sind auch nicht die Bemühungen dieser Organisationen zur Pflege und Ausgestaltung ihrer »Identität«. Überraschend hingegen fallen manchmal deren Realisierungen aus. Die Bundeswehr beispielsweise präsentiert sich derzeit als hoffnungslos antiquierte Kriegsmaschine, die wegen ebenso schadhafter wie mangelnder Ausrüstung kaum noch in der Lage ist, ihren »Bündnisverpflichtungen« nachzukommen. Ob die Durchsetzung freiheitlich-demokratischer Interessen in der Welt demnächst mit dem Plastikbesteck aus der Mannschaftskantine erfolgen soll, fragt sich da besorgt so mancher Patriot.

Kein Grund zur Aufregung, beschwichtigt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und verweist auf den jüngst erfolgten Zuwachs an »internationaler Verantwortung« ihrer Truppe. Denn die zahlreichen »internationalen Brennpunkte«, an denen deutsche Soldaten ihren segensreichen Aufgaben nachgehen, konnten auch in dieser Zeit der Ausrüstungsengpässe um zwei bedeutsame Fronten vermehrt werden: In den nordirakischen Bergen unterweisen deutsche Profigrenadiere »Kurden, die was wurden« (Georg Kreisler), in der Handhabung von Haubitzen, deutsche Militärflieger liefern Munition und Verpflegung. Und in den kommenden Wochen werden 200 deutsche Fallschirmjäger zwecks »Absicherung« einer sogenannten OSZE-Friedensmission an die russisch-ukrainische Grenze geschickt. Solcherlei Planung war bislang den schweißhändigen Stichwortgebern strategischer Stammtischdebatten vorbehalten, so eng war man dem russischen Bären schließlich seit 70 Jahren nicht mehr auf den Pelz gerückt. Es handelt sich also um eine Doppelstrategie: Einerseits bedauert man sich lautstark als unfähige »Gurkentruppe«, anderseits geht man wohlgemut und handfest zur Sache. Das Kalkül scheint aufzugehen: Politisch Verantwortliche bereuen öffentlich die von ihren Vorgängern veranlassten Kürzungen des Budgets und geloben Abhilfe.
Was den uniformierten Hütern von Freiheit und Demokratie in ihrem mittlerweile weltumspannenden Engagement recht ist, kann den mit der Abwehr innerer Feinde betrauten zivilen Kollegen nur billig sein. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) widmet sich offensichtlich einer dualen Präsentation von Rückständigkeit und Inkompetenz auf der einen sowie präzisem und erfolgsorientiertem Handeln auf der anderen Seite. Darauf verweist der jüngste Sturm im Wasserglas um die von der höchsten deutschen Polizeibehörde für die computergestützte Fahndung gesammelten »personengebundenen Hinweise«. Das BKA ist als sogenannte Bundesoberbehörde direkt dem deutschen Innenministerium unterstellt und ausschließlich diesem rechenschaftspflichtig. Daher werden »Erkenntnisse« des BKA von politischem Belang in der Regel direkt vom Innenministerium veröffentlicht. So in der letzten Septemberwoche, als auf der Website des Ministeriums eine vom Parlamentarischen Staatsekretär Günter Krings (CDU) abgezeichnete Tabelle veröffentlicht wurde, in der das BKA insgesamt 1,5 Millionen »Straftäter« in 18 Kategorien auflistete. Darin waren auch 3 490 »Straftäter – linksmotiviert« und zehn »Straftäter – rechtsmotiviert« registriert.
Dass daran etwas nicht stimmen konnte, fiel von 631 Bundestagsabgeordneten zunächst nur Andrej Hunko von der Linkspartei auf. Auf seine Nachfrage korrigierte das Innenministerium die Zahlen. Während die Gesamtzahl von 1,5 Millionen »Straftätern« gleich blieb, stieg die Zahl der »Straftäter – linksmotiviert« rapide auf 9 763 Personen an. Aus den vormals zehn »Straftätern – rechtsmotiviert« wurden nun stolze 20 054. Auch in anderen Kategorien wurden zum Teil drastische Verschiebungen vorgenommen: Die Rubrik »Rocker« verzeichnete in der ersten Fassung der Statistik 92 742, in der revidierten Version waren es noch 2 355, unter »Prostitution« wurde die Zahl von 2 453 auf bescheidene 102 abgesenkt.

Rechnen ist offenbar nicht die Stärke einer Institution, deren Aufgabe vom Innenministerium als Koordination der »Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten« beschrieben wird. Aber es ist auch nicht die Stärke einer Öffentlichkeit, die an keiner Stelle fragt, warum bei einer Addition von bis auf die Einserstellen haargenau bezifferten Teilsummen ausgerechnet die glatte Summe von 1,5 Millionen Bösewichtern herauskommt. Dass die haarsträubende Differenz von linken und rechten »Straftätern« dennoch auffiel, war aber für alle Beteiligten, einschließlich des BKA, völlig in Ordnung, denn so flog ein wohl seit Jahrzehnten praktiziertes polizeiliches Dilettantentum auf.
Die Kategorien, unter denen das BKA seine »personengebundenen Hinweise« ablegte, erinnern an die Inventarliste einer Geisterbahn durch frühere Epochen des deutschen Ordnungs- und Fürsorgestaats. Neben den bereits genannten wurden unter anderem die Kategorien »geisteskrank« (8 118 Eintragungen), »Ansteckungsgefahr« (17 785), »Freitodgefahr« (7 026) und »Hilflosigkeit vermutet« (114) geführt. Selbstverständlich bezeugt die Kategorie »politisch motivierte Ausländerkriminalität« die nationalistische Gesinnung ihrer Autoren, doch kann die erfasste Zahl von 3 506 Personen wohl kein deutsch-nationales Hirn mehr erregen. Und was sollen 1,1 Millionen Eintragungen unter »BTM-Konsument«? Mehr als 70 Prozent aller »Straftäter« gönnen sich also zumindest einen Feierabendjoint, worin sie sich allerdings kaum noch von den »Leistungsträgern« unterscheiden dürften.
Der Klamauk der BKA-Kategorien ist das Erbe Horst Herolds, des berühmten BKA-Präsidenten zu Zeiten der RAF-Hysterie. Der Sozialdemokrat hatte ein ausgeprägtes Faible für Mathematik und Kybernetik und setzte nicht nur die frühe Computerisierung seiner Behörde durch, sondern verfocht auch öffentlich die Idee einer Kategorisierung und computergerechten Erfassung »sozial schädlichen Verhaltens« und sogar seiner Entstehung. Die jüngste Aufregung um die Erfassungskategorien des BKA zeigt Herolds Ideen als durchaus lebendig, wenn auch nicht mehr vollständig zeitgemäß. Das hat wohl auch die Führung des BKA begriffen, denn sie ließ verlauten, die Merkmale »Prostitution«, »Landstreicher« und »Fixer« seien »Altbestände« und würden aus künftigen Programmen gelöscht. Weitere Kategorien dürften folgen, jedoch durch zeitgemäße ersetzt werden.
Wer sich ernsthaft mit Gesellschaftskritik plagt, könnte derzeit höchst erfreut sein angesichts einer Polizeibehörde, die dermaßen orientierungslos und blamiert durch das Labyrinth der eigenen Kategorisierungen stolpert und selbst mit dem Zählen überfordert ist. Stattdessen wird in linken und liberalen Medien jedoch hauptsächlich über die »Stigmatisierung« der Kategorisierten lamentiert und darüber, dass als »Straftäter« unabhängig von Anklage, Beweis und Verurteilung alle dem BKA Verdächtigen gelten. In staatsbürgerlicher Gläubigkeit ertönt die Forderung, den Laden schnell auf Vordermann zu bringen.

Solche Forderungen könnte sich das BKA im Stil der Doppelstrategie der Bundeswehr zu eigen machen. Da ist es lohnend, sich mit der erfolgreichen Telekommunikationsüberwachung des BKA zu beschäftigen: Im ersten Halbjahr 2014 hat die Behörde mehr als 150 000 »stille SMS«, mit denen Handys ohne Wissen der Empfänger geortet werden, allein in Deutschland verschickt. Wie die Bundeswehr ist auch das BKA international erfolgreich tätig. Im vergangenen Jahr berichtete der NDR über Schulungen in Internetüberwachung für tunesische und ägyptische Polizeien, die zwischen 2008 und 2010 stattfanden. Zudem liegen Berichte über Schulungen für brasilianische »Spezialeinheiten« zur Bekämpfung sozialer Unruhen während der jüngsten Fußball-WM vor.
Auch das Erbe Horst Herolds wird im BKA nach wie vor gepflegt und weiterentwickelt. Gemeinsam mit US-amerikanischen Kollegen schult man sich im »Data Mining«. Angestrebt wird das »Predictive Policing«, die voraussehende Polizeiarbeit – mal sehen, mit welchen Kategorien.