Die Linkspartei und der »gerechte Krieg«

Der Frieden und seine Grenzen

Angesichts der Offensive des Islamischen Staats (IS) in Syrien und Irak wird in der Linkspartei wieder einmal über Friedenspolitik diskutiert. In einem Papier forderte der »Reformflügel« der Partei einen mili­tärischen Einsatz unter UN-Mandat.

Die Partei »Die Linke« versteht sich als Partei des Friedens. Sie hat bisher keinem Auslandseinsatz der Bundeswehr zugestimmt, mit Ausnahme einzelner Abgeordneter, als es um die Abrüstung syrischer Chemiewaffen ging. Das friedenspolitische Profil der Partei definiert sie selbst wesentlich über die Ablehnung von Kriegs- und Auslandseinsätzen, wobei diese beiden Kategorien im ­innerparteilichen Diskurs oft sprachlich und gedanklich gleichgesetzt werden. Im Erfurter Parteiprogramm von 2011 wird ebenfalls klar zum Ausdruck gebracht, dass man sich an Auslands­einsätzen nicht beteiligen werde. Eine der wichtigsten Streitfragen ist, ob man sich an Einsätzen beteiligen soll, die nach Kapitel VII der UN-Charta gedeckt sind. Die friedenspolitische Logik der Linkspartei läuft also darauf hinaus, dass es keinerlei Umstände geben kann, in denen ein Auslandseinsatz zu rechtfertigen sei.
Völlig zu Recht verweist die Partei darauf, dass die Ursachen für Kriege bekämpft werden müssen. Deshalb fordert sie mehr Entwicklungshilfe, eine gerechtere Welthandelsordnung, mehr zi­vile Konfliktlösung, mehr Hilfe und Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge sowie einen Stopp von Rüstungsexporten im Allgemeinen. All dies ist politisch absolut zu begrüßen, wenngleich es in der Umsetzung noch weiter zu konkretisieren ist. Die außen- und friedenspolitische Agenda der Linkspartei lässt jedoch eine Frage offen: Was ist zu tun, wenn ein Konflikt bereits eskaliert ist, und wenn eine zivile Konfliktlösung nicht mehr möglich ist, oder, wie im Falle des Islamischen Staats, nicht gewollt ist? Genau deswegen entzündet sich am Vorgehen in Hinblick auf den Islamischen Staat und der Frage nach der Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden eine besondere Debatte um eine mögliche Neuausrichtung der Außenpolitik der Linkspartei. Diese wird insbesondere durch das Papier »Rettet Kobanê« angestoßen, das 14 linke Bundestagsabgeordnete unterzeichneten, sowie die Spitze des »Reformerflügels«.

Trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion erfreuen sich manche Theorien des sowjetischen Nachlasses in relevanten Teilen der Linkspartei bis heute besonderer Aufmerksamkeit. Eine davon ist Lenins Imperialismustheorie, welche Kriege auf das expansionistische Wesen der entwickelten kapitalistischen Staaten und ihrer In­teressenwahrung zurückführt. Daher folgt das Bewertungsschema bei der Frage potentieller Auslandseinsätze stets folgendem Prinzip: Es wird geschaut, ob es ökonomische Interessen westlicher Staaten gibt. Sobald diese gefunden sind, wird ein Einsatz entsprechend abgelehnt und die Konfliktursache als wesentlich durch ökonomische Interessen geleitet definiert. So sehr dies beim Kosovo-Krieg 1999 zutreffend war, so wenig trifft das zum Beispiel auf den UN-Friedenssicherungseinsatz in Sierra Leone oder die Wahlüberwachung seitens der Bundeswehr im Kongo 2006 zu.
Natürlich lassen sich immer abstrakt auch eine ökonomische Relevanz und ein ökonomisches Interesse definieren. In einer komplexen Welt sind Kriege jedoch stets multifaktoriell verursacht. So war schon der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda wesentlich durch Ethnizität bedingt, und der jetzige Krieg, den der Islamische Staat anderen Bevölkerungsgruppen und Staaten aufzwingt, ist primär religiös motiviert – auch wenn der IS durch die Okkupationen von Territorien nachweislich Geld verdient. Da aber ein solcher Krieg nicht in die marxistisch-leninistische Ideologie passt, da er nicht primär durch ökonomische Interessen erklärbar ist, tut sich insbesondere der orthodoxe Teil der Linkspartei mit seiner kategorialen Erfassung schwer. Das Hauptproblem ist jedoch, dass die Imperialismushypothese zu unterkomplexen Gegenwartsdiagnosen führt und daraus resultierend zu falschen politischen Schlussfolgerungen und einer starren außenpolitischen Doktrin der Nichtintervention.Der grausame Krieg des Islamischen Staats zeigt dies deutlich auf. Deshalb erfolgt jetzt der legitime Aufruf, in der Frage des Beistands der Kurden auch militärisch mit UN-Mandat zu intervenieren. Die Theorie des gerechten Kriegs, die seit mehr als zwei Jahrtausenden existiert, wird seitens der politischen Linken oft als bürgerliches Theorem zur westlichen Interessenwahrung diskreditiert.
Natürlich gibt es Beispiele, bei denen kriegerische Akte seitens der Linken begrüßt wurden, wie bei der Verteidigung der Kubaner gegen die Schweinebuchtinvasion. Landesverteidigung gegen Aggressoren ist also auch für Linke legitim. Wenn es um eine Intervention außerhalb des ­eigenen Staatsgebietes geht, gibt es jedoch eine frappante Ausnahme von der Nichtakzeptanz des gerechten Kriegs: der gewaltsame Sieg über Nazi-Deutschland durch die Alliierten, insbesondere die Rote Armee. Daraus wird jedoch leider nicht der Schluss abgeleitet, dass es manchmal Situationen gibt, in der gegenüber einem gewaltbereiten Aggressor Gewalt notwendig ist.

Die Legitimation der gewaltsamen Gegenwehr gegen den Faschismus bestand insbesondere darin, dass dieser ein eliminatorisches Wesen hatte, welches sich gegen bestimmte Menschengruppen, konkret Juden, Sinti und Roma, Kommunisten, Homosexuelle und viele andere, richtete. Wenn ein vergleichbares Moment des Handelns und der Ideologie des Islamischen Staats zu finden ist, so ergibt sich die gleiche gedankliche Kategorie. Der Islamische Staat hat nachweislich Menschen vor die Wahl des Todes oder der Missionierung gestellt. Er hat religiöse Minderheiten gezielt eliminiert und vertrieben, wie die Yeziden. Er schreckt vor keinerlei Gräueltaten zurück, um das eigene Kalifat herbeizuführen. Hinzu kommt, dass die Lebensweise innerhalb dieses Kalifats allen linken Gesellschaftsvisionen zuwiderläuft, in welcher die freie Entfaltung des Einzelnen die Bedingung der freien Entfaltung aller ist, wie es im »Kommunistischen Manifest« zu Recht heißt. Es zeigt sich also, dass das Handeln und die Ideologie des Islamischen Staats in hohem Maße dem Handeln des Faschismus entspricht, wenngleich durch eine andere, religiöse Ideologie motiviert. Folglich ist auch ein gewaltsames Vorgehen gegen den IS als gerechter Krieg zu klassifizieren, denn es geht um höhere Güter wie den Schutz des Lebens, den Schutz von Minderheiten, die Menschenwürde, aber auch die Religionsfreiheit.

Politik ist wesentlich Dilemma-Management. Die Linkspartei verweigert sich einer Frage, die jedoch gestellt werden muss: Ist manchmal der Preis der Nichtintervention höher als der Preis einer Intervention? Wenn man gedanklich von einer Weltgesellschaft ausgeht, kann dies in der Tat der Fall sein. Und ein wesentliches Problem ist leider auch, dass die Nichtintervention Potentaten und Diktatoren signalisieren kann, dass ihr Handeln keine Konsequenzen hat und sie damit anspornt.
Ein weiteres Problem: Indem man Interventionen kategorisch ablehnt, wird es diese auch ohne linken Debattenbeitrag geben. Und statt integrierte zivil-militärische Lösungen zu diskutieren, werden sie auf militärische Fragen reduziert. »Die Linke« sollte ihre Position revidieren und erkennen: Die Unterstützung des bewaffneten Kampfes gegen den IS ist ein gerechter Krieg. Daher schreiben die Autorinnen und Autoren des Aufrufs »Rettet Kobanê« zu Recht: »Vor diesem Hintergrund ist eine militärische Unterstützung und Kooperation der Kurden in und um Kobanê unumgänglich. Die kurdischen Selbstverteidigungskräfte benötigen dringende Unterstützung im Kampf gegen die IS-Terrormiliz.« Dies stellt natürlich einen Bruch mit der bisherigen Programmatik und einen außenpolitischen Paradigmenwechsel dar. Dieser ist jedoch längst überfällig.

Der Autor ist Mitglied des Kreisvorstandes der Partei »Die Linke« in Potsdam.