Jutta Ditfurth vor Gericht in München

Die Querachse des Antisemitismus

Jutta Ditfurth bezeichnete Jürgen Elsässer als »glühenden Antisemiten«. Der Chef­redakteur von Compact reichte daraufhin Klage wegen Verleumdung ein. Vor dem Landgericht I in München kam es nun zur Verhandlung.

»Ein glühender Antisemit ist, denke ich, nach heutigem Verständnis jeder, der sich mit Überzeugung antisemitisch äußert und das Dritte Reich und die Judenverfolgung nicht verurteilt.« Richterin Grönke-Müller verdeutlicht gleich zu Beginn der Verhandlung ihr Verständnis von Antisemitismus. Als »glühenden Antisemiten« hat Jutta Ditfurth in einem Interview auf 3Sat Jürgen Elsässer bezeichnet. Dies sei keine Tatsachenbehauptung, die sich beweisen ließe, sondern eine Meinungsäußerung, sagt die Richterin. Zu prüfen sei, ob diese die Grenze zur Schmähkritik überschreite, der es nur um die Herabwürdigung der Person geht. »Ich denke, die Bezeichnung ›glühender Antisemit‹ ist jenseits einer hinnehmbaren Grenze. Mit so einem Totschlag­argument steht man in einer Ecke, aus der man so nicht mehr herauskommt«, erläutert die Richterin.

Wenn man ihn einen glühenden Antisemiten nennen dürfe, könne er seinen Beruf als politischer Journalist an den Nagel hängen, betont Jürgen Elsässer, Chefredakteur des Magazins Compact, eines »rechtspopulistischen Verschwörungsheftchens« (Vice), und Redner auf etlichen sogenannten Montagsmahnwachen. Dem pflichtet sein Anwalt Michael Hubertus von Sprenger bei, der bereits den britischen Shoah-Leugner David Irving vor Gericht vertrat. »Wir ­bewegen uns auf einem verfassungsrechtlich dünnen, aber hinreichend stabilen Seil«, sagt im Gegenzug Jutta Ditfurths Anwalt Winfried Seibert. Polemische und überspitzte Kritik müsse zulässig sein, sonst werde das hohe Gut der Meinungsfreiheit sehr eingeschränkt. Es gehe nicht darum, ob Elsässer ein glühender Anti­semit ist, sondern ob man ihn als solchen bezeichnen darf.
Dafür sei nicht nur von Interesse, wie Elsässer sich äußert, sondern auch in welchem Umfeld er sich bewegt, sagt Seibert und führt Beispiele an: Elsässers Besuch beim damaligen iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad sowie sein Engagement im Milieu der Friedensmahnwachen. In diesem Umfeld kann auch Richterin Grönke-Müller Antisemitismus erkennen, selbst wenn sie erst von einer Querachse und nicht von einer Querfront spricht. Eine Karikatur des Bankiers Jacob Rothschild auf der Internetseite von Lars Mährholz, einem Organisator der Montagsmahnwachen, sei »in der Tat widerlich«. Auch Äußerungen des ehemaligen RBB-Moderators Ken Jebsen könne man als antisemitisch bezeichnen, sagt die Richterin.
Elsässer wirft Ditfurth jedoch vor, sie habe ihn ohne jegliche Belege diffamiert. Die Mitbegründerin der Grünen kontert, sie beobachte ­Elsässers Werdegang »von links nach rechts« schon lange. Als Vertreter einer Neuen Rechten würde er nie die Shoah leugnen oder sich positiv auf den Nationalsozialismus beziehen, so Ditfurth. »Es ist geradezu sein Ehrgeiz, seinen Antisemitismus verdeckt und vercodet auszudrücken, immer hart an der Kante der Strafbewehrtheit entlang.« Sie erwähnt auch ein Video, in dem Elsässer mit Karl-Heinz Hoffmann, dem ehemaligen Anführer der neonazistischen »Wehrsportgruppe Hoffmann«, zu sehen ist. Dieser sitzt während der Verhandlung als Zuhörer zwei Meter von Elsässer entfernt.

Zu einem Urteil kommt es an diesem Tag nicht, es soll erst am 19. November verkündet werden. Elsässer und Ditfurth wollen unter anderem noch Material zur Frage nachliefern, ob der Journalist jemals von einem Holocaust-Leugner eingeladen wurde. »Ob das dann diese Richterin mit dieser extrem unaktuellen und ahistorischen Definition von Antisemitismus von ihrer schon vorher festen Entscheidung abbringt, kann ich nicht einschätzen«, sagt Ditfurth der Jungle World.
Finanziell sei das Verfahren für sie ein Problem. »Es wird teuer. Wir sind in der ersten Instanz bei locker über 20 000 Euro, wenn ich verliere«, so Ditfurth. Falls sie gewinnt, wartet schon der nächste Prozess. Karl-Heinz Hoffmann klagt gegen ihr Buch »Der Baron, die Juden und die Nazis«. Ditfurth sagt: »Er will nicht Neonazi genannt werden. Wenn man, in der Logik der Richterin von heute, auch den nicht mehr nennen kann, was er ist, kann man ja gleich auswandern.«