Frauen im Krieg. IS-Jihadistinnen und kurdische Kämpferinnen

Frauen ohne Gnade

Auch Frauen nehmen am Jihad des Islamischen Staats teil. Vor allem bei der weiblichen Sharia-Polizei werden sie eingesetzt. Auch auf der kurdischen Seite kämpfen Frauen. Sie stehen für ein entgegengesetztes Rollenmodell.

Sally Jones ist 45 Jahre alt. Anfang der neunziger Jahre spielte sie E-Gitarre in einer Rockband, trug sexy kurze Kleider und eine rotblonde Löwenmähne. Heute wird diese unter einer schwarzen Burka versteckt, auf Fotos posiert sie gern mit dem Sturmgewehr AK-47. Die Frau wirkt wie eine Karikatur, eine Parodie, Bonnie-und-Clyde-Romantik als islamistisches Remake. Beschäftigt man sich näher mit ihren politischen Positionen, die sie vor allem britischen Medien gegenüber geäußert hat, vergeht einem das Lachen ­jedoch schnell. Die Britin fuhr mit ihrem zehnjährigen Sohn nach Syrien und heiratete dort den ­Jihadisten-Hacker Junaid Hussain, den sie auf Twitter kennengelernt hatte. Er gehöre zum Verdächtigenkreis um »Jihadi John«, der den amerikanischen Journalisten James Foley getötet hat, meldete der Sunday Telegraph im August. Über Twitter erklärte Sally Jones alias Umm Hussain ­al-Britani, dass es eine tolle Vorstellung sei, Christen mit einem stumpfen Messer die Kehle durchzuschneiden. Wer immer als Nichtmuslim nach Raqqa in Nordsyrien komme, den werde sie gern eigenhändig auf diese Art und Weise ins Jenseits befördern.
Jones rechtfertigt diese sadistischen Phantasien mit Millionen von den USA und Großbritannien umgebrachten Muslimen. Für die Überlebenden gelte es jetzt, ein islamistisches Reich der Glück­seligkeit zu errichten. Die ganze Welt hasse und verfolge Muslime, dagegen müsse sich der Islamische Staat (IS) zur Wehr setzen. Alles, was Sally Jones von sicht gibt, lässt auf einen Menschen mit einer psychopathischen Persönlichkeitsstruktur schließen. Diese mordlustige Fanatikerin gehört in Raqqa zu den Anführerinnen einer von Frauen gebildeten Sittenpolizei. Die Umm-Hamsa-Brigade bestraft Frauen für unislamisches Benehmen, kontrolliert die Kleidungsvorschriften und soll auch an der Vermarktung der versklavten weiblichen Gefangenen beteiligt sein.

Im Zentralgefängnis von Raqqa würden gefangene Yezidinnen, die sich weigern zu konvertieren, erst einmal aufgehübscht, geschminkt und frisiert, bevor sie den Jihadisten zur Vergewaltigung überlassen werden, erzählte ein Aussteiger des IS dem türkischen Internetportal T 24. Melanie Smith, Forscherin am King’s College in London, sagte dem Sunday Telegraph, die Umm-Hamsa-Brigade sei eine weibliche Sharia-Polizei. Sie setze sich erstaunlicherweise vor allem aus ausländischen Mitstreiterinnen des IS zusammen, vornehmlich aus Britinnen und Französinnen. Die seien besonders fanatisch und zu allem bereit, um sich dem IS als loyale Jihadistinnen zu beweisen.
Seit eineinhalb Jahren erleben die Menschen in Raqqa einen Albtraum. Im März 2013 brachte der IS die am Euphrat gelegene Stadt im Norden Syriens unter seine Kontrolle. Es war die erste derartige Eroberung, die der Terrormiliz gelang. Seither diktieren die Salafisten das gesamte Leben der 250 000 Einwohner. Die wichtigsten Regeln des IS: Frauen sollen die Häuser nur verlassen, wenn es unbedingt notwendig ist. Sie sollen nur weite Gewänder tragen, die weibliche Formen verhüllen, und auch einen Gesichtsschleier anlegen. Dieben wird die Hand abgeschlagen. Alle Muslime sollen die fünf täglichen Gebete pünktlich zu den Gebetszeiten in den Moscheen verrichten. Alkoholkonsum, Rauchen und Drogen sind verboten. Versammlungen, die nicht vom IS veranstaltet werden, sind ebenso untersagt wie das Tragen von Waffen. Syrern, die diesen Regeln nicht Folge leisten, droht die Todesstrafe.

Die Jihadistinnen sind, zumindest was den Hausarrest für Frauen betrifft, privilegiert. Als Mitstreiterinnen werden sie an der Waffe ausgebildet und üben Herrschaft über andere aus. Katherine Brown, ebenfalls Wissenschaftlerin am King’s College in London, untersucht die sozialen Medien nach internationalen Jihadistinnen, die aus ­aller Welt in den Irak und nach Syrien reisen. 50 bis 60 Frauen sollen es allein aus Großbritannien sein. Überwiegend sind es junge Frauen, manche noch im Teenageralter, die über soziale Medien und in Chatrooms Jihadisten kennenlernen.
Khadijah Dare, eine 22jährige Britin aus London, schloss sich dem IS an, um Abu Bakr, einen schwedischen Jihadisten, zu heiraten. Ihr größter Traum ist es, als erste Frau einen westlichen Gefangenen zu töten. Abu Mahmoud, ein Syrer aus Raqqa, schrieb dem österreichischen Nachrichtenmagazin Profil: »Am schlimmsten sind jene aus dem Ausland. Sie leben hier ihre perversen Ideen einer völlig durchgedrehten Ordnung aus. Sogar die Genitalien von Ziegen müssen heute verhüllt werden (…) . Es ist, als wären wir unter Belagerungszustand: von einer wild gewordenen Meute aus aller Welt als Geisel genommen.« Abu Mahmoud ist ein junger Mann, der noch bei seinen Eltern lebt. Er erzählt von seinem Alltag unter dem IS. Am schlimmsten seien die Frauen dran, berichtet er. »Eine Frau namens Fadda soll ihrem Mann untreu gewesen sein. Sie haben sie auf einen Platz in der Nähe des Sportstadiums gezerrt. Ein Mann las das Urteil vor: Nach den Gesetzen Gottes müsse diese Ehebrecherin gesteinigt werden. Die Leute von der Dae’sh (arabischer Name des IS, d. Red.) sind dann mit einem Lastwagen mit schweren Steinen vorgefahren und haben sie vor ihr abgeladen. Viele waren da. 100 oder so. Aber von den Menschen aus Raqqa nahm niemand einen Stein. Da brüllten die Milizen herum. Aber die Leute rührten sich nicht – bis die Dae’sh-Leute selbst angefangen haben. Nur Ausländer waren es. Sie lachten, als sie die Steine warfen.«
Die Abwesenheit von Mitleid und die Freude an kollektiven Grausamkeiten zur Bestrafung und Ermordung von »Ungehorsamen« sind typisch für faschistoide Bewegungen. Weibliche Sexualität außerhalb der Ehe wird mit dem Tode bestraft. Gleichzeitig werden nichtmuslimische Frauen von IS-Kämpfern vergewaltigt und als Sklavinnen verkauft.
Michel Foucault analysierte den Zusammenhang von Sadismus, Erotik und totalitären Herrschaftsstrukturen und kam hinsichtlich des deutschen Faschismus in »Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit« zu dem Schluss: »Der Nazismus war zweifellos die naivste und eben deshalb die heimtückischste Verquickung der Phantasmen des Blutes mit den Paroxysmen der Disziplinarmacht.« Die Gesellschaft sei einer eugenischen Reglementierung unterworfen und an allen Orten (Ehe, Familie, Erziehung, Körper) kontrolliert und diszipliniert worden. Die Kontrolle der Bevölkerung »verband sich mit einem träumerischen Schwärmen von einem höheren Blut, das sowohl den systematischen Völkermord an anderen wie auch die Bereitschaft zur totalen Selbstaufopferung einschloss«.

Das Bild der Romantik des heiligen Kriegs in ­IS-Manier ist ein ähnliches. Die IS-Frauen dienen als Reproduktionsstätten für die Formung eines »reinen« IS-Staats, gleichzeitig überwachen sie die übrigen Frauen und strafen mitleidslos. Sie sind demütige Dienerinnen und skrupellose Sadistinnen gleichermaßen.
Der Kampf der Frauen spielt in diesem Krieg eine große Rolle. Die derzeit am hartnäckigsten bekämpften Feinde sind die kurdischen Kämpfer und Kämpferinnen, die versuchen, Kobanê zu verteidigen. Die Kämpferinnen der Frauenbrigade stehen bei den Kurden für ein anderes Rollenmodell, das dem des IS entgegengestellt wird. Doch auch in diesem Kampf haben die Frauen den schlechteren Stand. Überproportional viele Kämpferinnen erschießen sich oder sprengen sich in die Luft, um dem IS nicht in die Hände zu fallen. In der kurdischen Dramaturgie des bewaffneten Kampfes werden immer wieder Fotos von schönen, jungen Soldatinnen und weinenden Müttern als Propagandamaterial eingesetzt.
Die sich aufopfernden Mütter, die ihre Kinder sterben sehen, und die Glorifizierung des Mär­tyrertums für Frauen ist traditioneller als das Rollenmodell, das die Kurden propagieren. Angesichts der bedrohlichen Brutalität und des totalitären Sexismus des IS ist die Teilnahme und Entschlossenheit der kurdischen Frauen am bewaffneten Kampf aber eine unausweichliche Notwendigkeit.