Gewalt gegen Frauen als Kriegswaffe

Im Namen Allahs

Immer wieder werden in Kriegen Frauen systematisch vergewaltigt. Der Islamische Staat propagiert sogar ganz offen deren Versklavung und den sexuellen Missbrauch und erklärt dies für gottgewollt. Er kann sich dabei auf Suren aus dem Koran stützen.

Es ist nur eine Geschichte von vielen, die Ali in einer überfüllten Notunterkunft für yezidische Flüchtlinge nahe der irakisch-kurdischen Stadt Dohuk erzählt. Als sich Anfang August die Jihadisten des Islamischen Staats (IS) anschickten, auch sein Dorf im Sinjar zu überrennen, blieben ihm, wie Hunderttausenden anderen Yeziden in dem Gebiet, nur ein paar Minuten, um zu fliehen, bevor die Männer mit den schwarzen Fahnen auf ihren Pick-ups am Horizont auftauchten. So entschied er sich, mit seinen jüngeren Geschwistern auf dem Traktor der Familie zu fliehen, seine ältere Schwester Amina sollte zu Fuß mit dem Rest der Familie folgen. Ali und seinen sieben jüngsten Geschwistern gelang die Flucht, der Rest der Familie geriet, wie Tausende andere Yeziden auch, in die Hände der Islamisten. Und die gingen systematisch vor: Alle Frauen und Mädchen wurden zusammengetrieben, auf bereitstehende Lastwagen verfrachtet und in die nahegelegene, seit Juni unter der Kontrolle des IS stehende irakische Großstadt Mossul gebracht. Die zurückgebliebenen Männer forderte man zur sofortigen Konversion zum Islam auf, wer dies ablehnte, und das waren fast alle, wurde auf der Stelle exekutiert.
Ali weiß bis heute nicht, was genau mit seiner restlichen Familie geschehen ist. Er versucht immer wieder, seine Schwester auf ihrem Mobiltelefon zu erreichen, manchmal hebt jemand ab, der ihn beleidigt und erklärt, er sei Kämpfer der IS und die Frauen gehörten jetzt ihnen.

Die yezidische Parlamentarierin Vian Dakhil, die sich seit August unermüdlich um das Schicksal der Verschwundenen kümmert, geht inzwischen davon aus, dass bis zu 5 000 Mädchen und Frauen verschleppt worden seien (s. Interview Seite 5). Einige von ihnen konnten entkommen. Was sie erzählen, klingt wie Geschichten aus der Hölle. In Mossul sei man in ehemaligen Polizeistationen oder Gefängnissen zusammengepfercht worden, IS-Angehörige hätten die Mädchen und Frauen mehrmals aufgefordert, zum Islam zu konvertieren, wer sich widersetzt habe, sei geschlagen und gedemütigt worden. Einige habe man dann an IS-Kämpfer verheiratet, andere seien als Sklavinnen verkauft oder in die syrische Stadt Raqqa, das Hauptquartier des IS, gebracht worden, wo sie besonders verdienten Milizionären zum »Geschenk« gemacht wurden. Es habe auch Massenvergewaltigungen gegeben, außerdem mussten sie mit ansehen, wie ihre Angehörigen und Bekannten exekutiert wurden.
Manchmal lassen die Jihadisten, anders als im Falle Alis und seiner Schwester, die weiblichen Familienangehörigen ans Telefon, ermuntern sie sogar, detailliert zu beschreiben, was ihnen angetan wurde. Der IS verheimlicht nämlich keineswegs, was mit den Mädchen und Frauen von Ungläubigen geschieht, die ihm in die Hände fallen, genauso wie er auch Massenexekutionen, Kreuzigungen und Enthauptungen filmen und über das Internet verbreiten lässt. Das unterscheidet ihn von anderen Diktaturen und Autokratien in der Region, ob in Syrien unter Bashar al-Assad, früher in Saddam Husseins Irak oder im Iran, wo sexueller Missbrauch und Vergewaltigungen in Gefängnissen zwar an der Tagesordnung waren und sind, in der Regel aber heimlich stattfinden und offiziell geleugnet werden.

Der Islamische Staat dagegen verübt seine ­Verbrechen ganz öffentlich – auch weil es sich nach den Gesetzen und Regeln seines Kalifats gar nicht um Verbrechen handelt, sondern um die wortgetreue Befolgung von Gottes Wort. Nichts dort geschieht, ohne dass es zuvor ein religiöser Rat abgesegnet hätte. Und nichtmuslimische Frauen, die im Jihad gefangen genommen werden, sind nach dieser Lesart schlicht Beute. In der jüngsten Ausgabe seines Hochglanzmagazins Dabiq gibt der IS bekannt, dass im Ka­lifat die Versklavung von »polytheistischen« und »heidnischen« Frauen praktiziert werde und rechtens sei.
Bereits der ägyptische Sheikh Abu-Ishaq al-Huwayni befand im Jahre 2011, es sei nicht nur legitim, Sklaven und Sexsklavinnen im Jihad zu erbeuten, sondern auch, sie auf Märkten zu verkaufen. Dies legitimiere Sure 4:24 des Korans, die bis heute uneingeschränkt Gültigkeit besitze. Auf einer der beliebtesten salafistischen Websites, »Islam Question & Answer«, urteilt der in Saudi-Arabien lehrende Sheikh Muhammad Salih al-Munajjid, dass, »wenn eine Frau gemäß der Sharia versklavt« sei, »es ihrem Besitzer gestattet (sei), mit ihr Geschlechtsverkehr zu haben. Das ist nicht wie Prostitution (…), welche der Islam verbietet.«
Auch wenn die Mehrheit der sunnitischen Kleriker die Ansicht vertritt, Sklaverei sei nicht mehr zeitgemäß, und sie im 20. Jahrhundert in allen Staaten der islamischen Welt offiziell verboten wurde, können die Sklavenhalter und Vergewaltiger des IS zu Recht darauf verweisen, dass ihre Taten keineswegs so unislamisch seien, wie gerne behauptet wird, sie sich im Gegenteil sogar buchstabengetreu an heilige Texte halten und sich die Praxis der frühislamischen Gemeinschaften zum Vorbild nehmen.
Die verschleppten und versklavten Yezidinnen sind dabei keineswegs die ersten Opfer derart legitimierter sexueller Gewalt. Im Krieg gegen die bengalische Unabhängigkeitsbewegung im späteren Bangladesch etwa wurden über 250 000 Frauen Opfer von Massenvergewaltigungen durch pakistanische Soldaten. Augenzeugenberichten zufolge sollen damals Offiziere der pakistanischen Armee mit Verweis auf entsprechende Koransuren ihren Soldaten sogar die entsprechende Befehle geben haben. Ob sudanesische Janjawid-Milizen, die in Darfur systematisch vergewaltigten, oder Jihadisten der Boko Haram in Nigeria, die medienwirksam christliche Mädchen entführen, sie taten und tun dies ausdrücklich im Namen ihrer Religion. Deshalb auch stellte der bangladeschische Journalist Afsan Chowdhury, der sich jahrelang mit den pakistanischen Verbrechen aus dem Jahre 1971 befasste, fest, es gebe zwar kaum einen Krieg ohne sexuellen Missbrauch von Frauen, allerdings fänden die Übergriffe in anderen Fällen nicht als »Pflicht gegenüber Gott« statt.

Im Kalifat des Islamischen Staats herrschten ansonsten strengste Zucht und Ordnung. Keineswegs soll eine enthemmte Soldateska wahllos ihre sexuellen Triebe befriedigen, es gelten vielmehr strikte, aus der Sharia hergeleitete Regeln. So berichtet eine ehemalige Tugendwächterin, die bis vor kurzem in der gefürchteten IS-Frauenbrigade in Raqqa Dienst tat, dass die Vergewaltigung von verheirateten Frauen beispielsweise mit dem Tod durch Kreuzigung bestraft werde.
Auch weiß man beim IS, welche Folgen das Vorgehen insbesondere für die yezidische Gesellschaft hat. Die ist, geht es um die »Ehre« von Frauen, ebenso konservativ wie bei den muslimischen Nachbarn. Nicht nur gilt vor- oder außerehelicher Geschlechtsverkehr als Verletzung der Familienehre, besonders empfindlich reagiert man auf sexuelle Kontakte mit Nichtyeziden. Im Jahr 2007 wurde in Irakisch-Kurdistan die 17jäh­rige Yezidin Dua Khalil Opfer eines sogenannten Ehrenmordes, weil sie angeblich zum Islam konvertiert, um ihren sunnitischen Freund heiraten zu können.
Yezidische Frauenrechtlerinnen vermuten, dass der IS davon ausgehe, die missbrauchten Mädchen würden deshalb von ihren Familien verstoßen, wenn nicht gar getötet werden. Bislang scheint diese Rechnung allerdings nicht aufzugehen. Spirituelle Führer der Yeziden haben in letzter Zeit immer wieder betont, diese Mädchen seien als Opfer zu betrachten und bräuchten nun alle erdenkliche Hilfe. Sie forderten betroffene Familien auf, ihre Mütter, Schwestern und Töchter mit offenen Armen aufzunehmen.

Völlig unklar allerdings ist, welches Schicksal die derzeit noch Entführten erwartet. Werden die ­Jihadisten, sollten sie eines Tages militärisch geschlagen werden, sie freilassen oder als letzten Akt ihrer Terrorherrschaft noch ermorden? Was geschehen wird, sollten eines Tages Hunderte, wenn nicht Tausende von missbrauchten Mädchen und Frauen zu ihren Familien zurückkehren, ist völlig ungewiss. In Irakisch-Kurdistan sind, auch wenn andere Gesetze zur Bekämpfung häuslicher Gewalt als durchaus vorbildlich für die Region gelten, Abtreibungen gesetzlich verboten. Und Schwangerschaften in Folge der Vergewaltigungen werden nur eines der unzähligen Probleme sein, mit denen die yezidische und kurdische Gesellschaft konfrontiert sein werden. Von den psychologischen Folgen, unter denen die Betroffenen wohl den Rest ihres Lebens zu leiden haben, ganz zu schweigen.
Die sind im Übrigen auch in Bangladesch noch überall zu spüren, nach über 40 Jahren. »Wenn wir gehen müssen, wird unsere Saat doch bleiben«, sollen pakistanische Soldaten damals gesagt haben. Und genau so wird es auch mit dem Islamischen Staat sein, sollte er eines Tages besiegt werden. Auch für Familien wie die von Ali wird es etwas, das an Normalität erinnert, wohl auch künftig nicht mehr geben.