Hamburg und Berlin wollen sich um die Olympischen Sommerspiele 2024 bewerben

Neuauflage für Nolympia

Hamburg und Berlin wollen sich für die Olympischen Sommerspiele 2024 bewerben. Da es nur einen ­deutschen Bewerber geben kann, steht für beide der Hauptfeind erst einmal im eigenen Land.

Die Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit ist eine durchaus erfolgreiche. Zwar hat sich die Hoffnung ihres Begründers, des französischen Adeligen Pierre de Coubertin, die Jugend der Welt möge sich friedlich im sportlichen Wettstreit messen, statt sich auf den Schlachtfeldern gegenseitig aus dem Leben zu befördern, nicht erfüllt. Doch zumindest gehören die Olympischen Sommer- und Winterspiele heute, gemessen am öffentlichen Interesse, zu den größten und wichtigsten Sportveranstaltungen der Welt.
Bei den vergangenen Spielen in Sotschi und London lag der Marktanteil des jeweils übertragenden Fernsehsenders in Deutschland beständig zwischen 20 und 30 Prozent, bei einzelnen Höhepunkten sogar deutlich darüber. Es ließe sich also mit Fug und Recht behaupten, dass sich die Olympischen Spiele auch in Deutschland einiger Beliebtheit erfreuen. Hier stattgefunden haben die Spiele bereits dreimal. In wirklich guter Erinnerung geblieben ist jedoch keine der Veranstaltungen – weder die Nazispiele 1936 in Berlin und Garmisch-Partenkirchen noch die Sommerspiele von München 1972, als die Welt mit ansehen musste, wie einmal mehr jüdisches Blut auf deutschem Boden vergossen wurde.
Seither waren die Deutschen stets nur als Gäste bei den Spielen, auch wenn sie sich noch das eine oder andere Mal darum bewarben, sich erneut als vermeintlich gute Gastgeber präsentieren zu dürfen. Am bekanntesten dürfte wohl die gescheiterte Bewerbung Berlins um die Olympischen Sommerspiele 2000 sein. Damals hatte es heftige Proteste gegeben, Großdemonstrationen und sogar Brandanschläge. Am Ende entschied sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) für Sydney, der Berliner Senat hatte über 50 Millionen Mark in den Wind geblasen.
Auch Garmisch-Partenkirchen (1960), Berchtesgaden (1992) und München (2018) scheiterten mit ihren Bewerbungen für die Winterspiele. Münchens zweiter Anlauf für das Jahr 2022 wurde im vergangenen Jahr zurückgezogen, nachdem sich die Einwohner der betroffenen Gemeinden in einem Bürgerentscheid knapp gegen diese ausgesprochen hatten. Leipzigs Bewerbung um die Sommerspiele 2012 wurde vom IOC gar nicht erst angenommen.
So schnell jedoch lässt man sich in Deutschland nicht entmutigen im Drang nach Weltgeltung. Für die Olympischen Sommerspiele 2024 wollen sich nun mit Hamburg und schon wieder Berlin gleich zwei deutsche Städte bewerben. Doch da es nur einen deutschen Bewerber geben kann, steht für beide der Hauptfeind erst einmal im eigenen Land. Zumindest auf Ber­liner Seite wird man nicht müde, zu betonen, um wie viel besser die Olympischen Spiele in die Hauptstadt als nach Hamburg passen würden, während man sich dort hanseatisch zurückhaltend auf die eigene ­Bewerbung konzentriert.
Die Befürwortung der Bewerbung ist Umfragen zufolge in Hamburg mit 73 Prozent deutlich höher als in Berlin mit 52 Prozent, wo sich viele noch lebhaft an das Bohei um die vorige Bewerbung erinnern. Deshalb ist man dort vielleicht auch in Sachen Widerstand schon einen Schritt weiter und hat bereits ein Bündnis gebildet; in Hamburg dagegen gibt es bislang nur einen von Einzelpersonen unterzeichneten offenen Brief. Das Milieu der Olympia-Gegner reicht jedoch hier wie dort von der außerpar­lamentarischen Linken über Umweltgruppen bis hin zur Linkspartei und der Grünen Jugend. Die üblichen Verdächtigen also.
Auch die Argumentation der »Nolympia«-Aktivisten ist hüben wie drüben mehr oder minder dieselbe. Das IOC und seine Entscheidungsprozesse seien intransparent, heißt es, und die Möglichkeiten des IOC, über einen sogenannten Host-City-Vertrag in die Angelegenheiten der jeweiligen Stadt hineinzupfuschen, seien mit dem Gedanken der Demokratie nur schwer in Einklang zu bringen. Vor allem aber seien die Spiele zu teuer und man solle das Geld besser in soziale Projekte stecken.
Tatsächlich ist es mit der Nachhaltigkeit olympischer Stadtplanung oft nicht weit her. Wer in letzter Zeit einmal durch den Nordosten Londons spaziert ist und dem Gelände der Olympischen Spiele von 2012 einen Besuch abgestattet hat, weiß, wovon die Rede ist. Zwar hat das Olympiastadion mit dem Fußballcub West Ham United jetzt endlich einen Nachmieter gefunden. Da West Ham aber nicht jeden Tag ein Heimspiel hat, wird die Gegend rund um den Queen Elizabeth Olympic Park aber auch in Zukunft die meiste Zeit eher einer menschenleeren – wenn auch gut gepflegten – Einöde gleichen.
Ein Schicksal, das auch dem geplanten Olympiagelände drohen dürfte, welches auf dem Hamburger Kleinen Grasbrook, gleich um die Ecke der dann vielleicht endlich fertig gestellten Elbphilharmonie, entstehen soll. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde daraus nach den Sommerspielen bloß ein weiteres trostloses Luxusquartier ganz im Stile der nahen Hafencity – zumal Hamburg nun wirklich vieles gebrauchen könnte, bezahlbaren Wohnraum in Innenstadtnähe zum Beispiel, aber ganz sicher nicht ein weiteres großes Sportstadion.
In Berlin dagegen scheint man allen Ernstes zu glauben, es sei eine gute Idee, das fälschlicherweise niemals weg gebombte Olympiastadion von 1936 erneut zu olympischen Ehren kommen zu lassen, um die Kosten für einen Neubau zu sparen. Schade nur, dass Leni Riefenstahl diesmal keinen Film wird drehen können, aber vielleicht kann man bei der Eröffnungsfeier wenigstens wieder Richard Strauss’ »Völker! Seid des Volkes Gäste« spielen. Das käme ja auch billiger, als ein neues Lied in Auftrag zu geben.
Interessanterweise richtet sich das Gros der Kritik in Hamburg und Berlin gegen unnötige Ausgaben an Ort und Stelle. Viel seltener wird die Frage aufgeworfen, ob es die Olympischen Spiele überhaupt noch braucht. Dabei ist doch offensichtlich, dass, solange es sie gibt, die vermaledeiten Spiele auch irgendwo austragen werden müssen. Genauso klar ist, dass, wo auch immer das sein wird, es negative Auswirkungen auf die Menschen vor Ort haben wird. Steigende Mieten und Ausweiskontrollen vor der eigenen Haustür, wie sie die Bewohner des Londoner Stadtteils Hackney Wick vor zwei Jahren erleben durften, sind dabei das Mindeste. Manch potentieller Bewerber für 2024 wie Baku, Doha oder St. Petersburg dürfte noch um einiges rabiater vorgehen. Auf die Idee eines Referendums über die Bewerbung jedenfalls, wie es in Berlin und Hamburg sogar die Befürworter fordern, würde dort wohl kaum einer der Verantwortlichen kommen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Referendum auch in Hamburg oder Berlin zum Scheitern des Vorhabens führt, ist recht hoch. Anfang Oktober hat Oslo seine Bewerbung für die Winterspiele 2022 zurückgezogen, weil die anfängliche Unterstützung in der Bevölkerung immer weiter zurückging, nachdem die tatsächlichen Kosten und teils absurde Forderungen des IOC, wie etwa nach Cocktailpartys mit dem norwegischen König, öffentlich wurden. Bereits zuvor hatten sich neben München auch in Krakau und im Schweizer Kanton Graubünden die Bürger in Referenden gegen eine Bewerbung ausgesprochen. Das ist selbstverständlich auch ihr gutes Recht. Unterm Strich jedoch wird das Problem dadurch lediglich woandershin verschoben. Was es bräuchte, wäre vielmehr eine ganz grundsätzliche Kritik der Olympischen Spiele in ihrer heutigen Form.