Die schwul-lesbischen Filmtage in Hamburg

Den Spagat proben

Die Lesbisch-Schwulen Filmtage Hamburg lieferten vom 14. bis 19. Oktober den Beweis, dass auch 25 Jahre nach der Gründung des Festivals die anarchische Grundhaltung beibehalten wird.

Die queere Subkultur ist im Mainstream angekommen. Das zeigt jeder CSD, der nicht von lautstarken Forderungen, sondern von Volksfestatmosphäre geprägt ist. Das Gleiche scheint auf den ersten Blick für das älteste queere Filmfest in Deutschland, die Lesbisch-Schwulen Filmtage in Hamburg, zu gelten: Zum 25jährigen Jubiläum in diesem Jahr wurde es vom Hamburger Ersten Bürgermeister Olaf Scholz eröffnet – für Sebastian Beyer, einen der Organisatoren, ein deutliches Zeichen für die gewachsene Akzeptanz nicht-heteronormativer Lebensformen.
Dass diese Akzeptanz aber nicht zwangsläufig Befriedung und Entpolitisierung bedeuten muss, zeigte sich deutlich schon auf der Eröffnungsveranstaltung. Die Rede des Bürgermeisters wurde von anhaltenden Buhrufen begleitet. Denn Scholz steht auch für die misslungene Flüchtlingspolitik des Hamburger Senats und die Verweigerung des Bleiberechts für die seit 2013 protestierenden Lampedusa-Flüchtlinge. Die Organisatorinnen und Organisatoren versuchten, sich zwar über die Zusicherung einer Weiterfinanzierung des Festivals zu freuen, sich gleichzeitig aber in einer Pressemitteilung zu distanzieren: »Wir wollen nicht, dass unsere Kultur und unsere Freiheit mit Ausschluss und Abschiebung erkauft werden. Bei unserer Karaoke müssen alle mitsingen können. In unseren Filmen sind sie schon alle da. Wir fordern die Stadt auf, Bleiberecht zu gewähren. Sonst ist unser Gold nix.«
Die dadurch ausgelösten Diskussionen spiegeln wider, was auch sonst die Besonderheit dieses Festivals ausmacht: Neben Filmvorführungen im Stadtteilkino finden Solipartys im autonomen Kulturzentrum Rote Flora statt – und seit einigen Jahren auch Familienkino mit Luftballons und Kinderbespaßung. Die Erweiterung der Zielgruppe um sogenannte Regenbogenfamilien mag nicht allen gefallen, entspricht aber dem Anspruch, die ganze Vielfalt queeren Lebens zu zeigen und anzusprechen. Von Beginn an bieten die Filmtage einerseits eine Gelegenheit für die wie auch immer definierte queere Subkultur zur Vernetzung, zu Debatten und zum Feiern, zum anderen richten sie sich auch an Filmliebhaberinnen und -liebhaber außerhalb der Community – und stellen dort ebenfalls nicht die reine Unterhaltung in den Mittelpunkt.
Vielleicht ist diese Widersprüchlichkeit in der Geschichte der Filmtage begründet. Einst aus einem studentisch organisierten Seminar an der Hamburger Universität entstanden, werden sie bis heute von einer Kerngruppe von zwölf Personen organisiert – bis auf zwei arbeiten alle ehrenamtlich, Filmauswahl und Programmplanung werden gemeinsam gemacht. Zentrales Kriterium sei weniger der Premierenstatus, sondern Machart und inhaltliche Relevanz, so Mitorganisator Sebastian Beyer. Ein Großteil der Filme im diesjährigen Programm bietet tatsächlich eine Erweiterung der Perspektive – sei es, weil sie einer hierzulande wenig bekannten Filmkultur entstammen, sei es, weil sie sich unterrepräsentierten Themen widmen.
Möglicherweise aufgrund des Anspruchs, die ganze Realität zu zeigen, nehmen Dokumentationen einen großen Teil des Festivalprogramms ein. Im Panorama sucht in »Alex & Ali« beispielsweise ein US-Amerikaner in Istanbul eine alte Liebe wieder. Mit Ali hatte er vor Jahrzehnten eine Affäre im Iran. Erstaunlich ist dabei, wie oft Regisseurinnen und Regisseure ihre Themen in der eigenen Familiengeschichte finden: Alex ist der Onkel des Regisseurs Malachi Leopold, und auch Klaus Stanjek nimmt eine Bemerkung im familiären Umfeld zum Anlass, sich auf die Spuren seines Onkels zu begeben. Der war während des Nationalsozialismus acht Jahre lang in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert. Die Gespräche mit Verwandten nutzt Stanjek zu einer erhellenden und zugleich deprimierenden Darstellung des Umgangs der nachfolgenden Generationen mit der NS-Geschichte.
Nicht nur mit den etwa 150 Filmen, darunter 17 Deutschland-Premieren, sondern auch mit zahlreichen Workshops und Diskussionsveranstaltungen wollen die Filmtage zur Auseinandersetzung anregen. Der sehenswerte Dokumentarfilm »Vulva 3.0« wurde begleitet von einem Workshop der Aktivistin und Sexualberaterin Laura Méritt. Im Rahmen des Jubiläumsprogramms gab es unter anderem der Kurzfilm »Rosas Song« zu sehen, Ergebnis eines Workshops im Rahmen der Filmtage.
Leicht hat es sich das Team bei der Programmgestaltung nicht gemacht. Natürlich wurde die Gelegenheit, die das 25jährige Jubiläum bietet, genutzt – sowohl für die wohlverdiente Selbstbeweihräucherung in Form des Eröffnungsfilms, einer Dokumentation über das Festival selbst, als auch für eine geschichtsbewusste Reihe von Klassikern lesbischschwuler Filmkultur. Neben »Hedwig and the Angry Inch« zählen die Macherinnen und Macher dazu auch »Go Fish« und »Der Priester« – Filme, die trotz ihres Kultstatus nicht immer einen deutschen Verleih gefunden haben.
Daneben wurden aber zwei Schwerpunkte gesetzt, die eher Spaßfreiheit zu versprechen schienen – und genau das Gegenteil einlösten. Die Reihe »Golden Years« zeigte Filme, die sich mit dem Altern auseinandersetzen, sei es in Form einer generationenübergreifenden Liebesgeschichte wie in Bruce LaBruces »Gerontophilia«, sei es in einer Dokumentation über die Trans-Aktivistin der ersten Stunde, Kate Bornstein, die per Skype-Schaltung zugegen war und frenetisch gefeiert wurde.
Unter dem Titel »Access Denied« wurden Filme zusammengefasst, die sich mit den Auswirkungen ökonomischer Krisen auf Marginalisierte befassen. Überraschend optimistisch und leichtfüßig macht das der französisch-griechisch-belgische Film »Xenia« (Panos H. Koutras), der die Suche zweier Brüder nach ihrem unbekannten Vater zeigt. Albanischer Herkunft und schwul, mit diesen Eigenschaften ist Danny ein ideales Ziel für die Angriffe der Faschisten, die in diesem Film an jeder Straßenecke Athens lauern. Mit Lollis, den Liedern seiner verehrten Schlagersängerin Patty Pravo (die sich selber spielt) und vor allem mit der Weigerung, sich einschüchtern zu lassen, kontert der hinreißende Danny sämtliche Attacken.
Der US-amerikanische Beitrag zu der Reihe, »Drunktown’s Finest«, widmet sich drei verflochtenen Geschichten aus einem Navajo-Reservat um Transgender-Identitäten, erzwungene Adoption und häusliche Gewalt. So deprimierend das zunächst klingen mag, Regisseurin Sydney Freeland zeigt neben Gewalt und Ausgrenzung auch alternative Sichtweisen und die Möglichkeit, aus den alten Zuschreibungen auszubrechen.
Dass der mit 5 000 Euro dotierte Jurypreis in diesem Jahr an zwei Filme geht, die Transsexualität zum Thema haben, zeigt, wie viel sich in den vergangenen Jahren verändert hat. Der schon vielfach ausgezeichnete schwedische Beitrag »Something Must Break« zeigt die Liebe zwischen Sebastian/Ellie und Andreas als Coming-of-Age-Geschichte, fernab von jeglicher Exotisierung der transsexuellen Hauptfigur. Auch der zweite Preisträger, der australische Film »52 Tuesdays«, stellt eine Transperson ins Zentrum: Billies Mutter stellt sich einer Geschlechtsangleichung. Gedreht wurde der Film ein Jahr lang jeden Dienstag – an dem Tag also, an dem Billie und James sich jeweils treffen.
Angesichts der über 15 000 Gäste, die das Festival inzwischen jährlich zählt, beeindruckt die unverändert anarchische Grundhaltung umso mehr. Der Spagat wird weiter geprobt – und hoffentlich weiterhin genauso erfolgreich.