Vattenfall und der Braunkohleabbau in Sachsen

Aller Tagebaue Abend

Die neue schwedische Regierung möchte verhindern, dass der schwedische Staatskonzern Vattenfall den Braunkohleabbau in Brandenburg und Sachsen erweitert.

»Das ist völlig inakzeptabel und totaler Irrsinn«, sagt Günter Jurischka aus Proschim im Land Brandenburg. Das Dorf, in dem er wohnt, soll einem Braunkohletagebau weichen – wenn es nach den Plänen des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall geht. Dieser hatte bereits vor mehreren Jahren den Antrag zur Genehmigung des Braunkohleplans »Tagebau Welzow-Süd II« beim Land Brandenburg gestellt. Im Juni bewilligte die Landesregierung diesen Braunkohleplan, trotz heftiger Proteste von Umweltverbänden, Einwohnern, Politikern und Wissenschaftlern, trotz gravierender Mängel im Genehmigungsverfahren und trotz der nachweislichen Unvereinbarkeit der Genehmigung dieses neuen Tagebaus mit EU-Recht und Umweltschutzrichtlinien.

»Die Kohlelobby um Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat das skrupellos durchgeboxt. Aber wir werden uns juristisch und politisch dagegen zur Wehr setzen«, sagt Jurischka, der seit Jahren gegen den Abriss seines Dorfes kämpft. Doch die Rettung für Proschim und andere Lausitzer Dörfer scheint nun aus einer ganz anderen Richtung zu kommen: von der neuen schwedischen Regierung.
Im September fanden in Schweden Reichstagswahlen statt. Inzwischen haben die Sozialdemokraten und die grüne Umweltpartei eine Regierungskoalition gebildet. Diese neue Regierung will offenbar verhindern, dass in Deutschland weitere Dörfer für den Kohleabbau abgerissen werden. Denn der schwedische Staat ist heftig in die Kritik geraten wegen der vom schwedischen Staatskonzern Vattenfall in Ostdeutschland betriebenen Braunkohletagebaue und Kohlekraftwerke sowie der damit verbundenen Schädigung der Umwelt, des Klimas und der Einwohner. Die Verwendung von Braunkohle ist die klimaschädlichste Art der Stromerzeugung, da bei der Verbrennung des Gesteins gigantische Mengen an Kohlendioxid und anderen Schadstoffen entstehen. Allein das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde bei Cottbus, das Vattenfall betreibt, bläst jährlich etwa 24 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft und gehört damit nach Angaben von World Wildlife Fund und Greenpeace zu den sechs klimaschädlichsten Kraftwerken in ganz Europa.
Dem schlechten Image des Staatskonzerns Vattenfall als »Klimakiller und Dörferzerstörer« will die neue schwedische Regierung offenbar entgegenwirken. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven teilte Anfang Oktober mit: »Die Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen wird Vattenfall dahingehend beeinflussen, dass das Unternehmen die Erweiterung des Braunkohlegeschäfts, die Fredrik Reinfeldt erlaubt hat, vorzeitig beendet.« Der Konservative Reinfeldt war der vorherige Ministerpräsident.
Für viele Menschen in den vom Abriss bedrohten Dörfern sind das gute Nachrichten. Sie sind zutiefst enttäuscht von den Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg. René Schuster vom Umweltverband Grüne Liga ist ebenfalls sehr erfreut über die Entscheidung der rot-grünen schwedischen Koalition und fordert: »Diese Ankündigung der neuen Regierung in Schweden muss nun möglichst bald verbindlich umgesetzt werden. Die Planungen für die neuen Tagebaue Welzow-Süd II, Jänschwalde-Nord und Nochten II sollten baldmöglichst eingestellt werden und Vattenfall sollte verbindlich auf die Inanspruchnahme dieser neu geplanten Tagebaue verzichten. Die bergrechtliche Genehmigung hat Vattenfall in allen drei Fällen noch nicht beantragt – und sollte es nun auch keinesfalls mehr tun, gemäß der Vorgabe der neuen schwedischen Regierung.«
Der von der Kohlelobby gern als Schreckensszenario dargestellte Ausstieg aus dem Abbau macht Schuster weniger Sorgen: »In den zum Abbau genehmigten Tagebauen steht Vattenfall etwa eine Milliarde Tonnen Braunkohle zur Verfügung. Mehr wird für die Versorgung der Kraftwerke bis zum Jahr 2040 nicht gebraucht. Und spätestens dann muss endlich Schluss sein mit dieser klimaschädlichen und umweltschädlichen Stromerzeugung.« Das sei nicht allein die Ansicht der Grünen Liga. »Das schrittweise Auslaufen der klimaschädlichen Braunkohleförderung ohne neue Abbaugebiete befindet sich auch im Einklang mit den Empfehlungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.«
Die Neuigkeiten aus Schweden stoßen nicht überall auf Begeisterung. Der brandenburgische Ministerpräsident Woidke und der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) schrieben vor wenigen Tagen einen Brief an den neuen schwedischen Ministerpräsidenten Löfven. Darin fordern sie ihn auf, Vattenfalls Expansion im Braunkohleabbau nicht im Wege zu stehen, und verweisen auf »die strukturschwache Region Lausitz und auf die vielen Arbeitsplätze bei der Braunkohleverstromung«. Darüber ist Schuster, zugleich auch Mitglied im Brandenburger Braunkohleausschuss, empört: »Gerade weil die Landesregierungen von Brandenburg und Sachsen derart einseitig auf Vattenfall und die Umweltzerstörung setzen, handelt es sich um strukturschwache Regionen. Es ist höchste Zeit, endlich einen Plan B für die Lausitz zu entwickeln – mit zukunftsfähigen Arbeitsplätzen und Perspektiven ohne Kohle.«

Über einen Mangel an Post wird sich Löfven in Zukunft nicht beschweren können. Die Grünen im sächsischen Landtag verurteilten kürzlich das »rückwärtsgewandte fossile Handeln« von Tillich und Woidke und kündigten an, einen Brief an den schwedischen Ministerpräsidenten zu schicken. Die Landesvorsitzenden des Bauernverbands aus Brandenburg und Sachsen haben bereits Post an die schwedische Regierung geschickt und fordern darin einen baldigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung.