Der erste Berliner Flüchtlings-Sport-Kongress

Anstoß für Flüchtlinge

Auf dem 1. Berliner Flüchtlings-Sport-Kongress wurde die »Berliner Erklärung für geflüchtete Menschen im Sport« verabschiedet. Bei dem Kongress im Berliner Abgeordnetenhaus kamen erstmals Verantwortliche aus verschiedenen Bereichen zusammen, um über das Potential des Sports für Flüchtlinge zu sprechen.

Etwa 200 Personen sind auf Einladung von »Champions ohne Grenzen e. V.« (CHoG) in das Berliner Abgeordnetenhaus gekommen. Unter ihnen sind Flüchtlinge, Initiativen und Einzelpersonen sowie Verantwortliche aus Sportvereinen, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden und Verwaltung. Auch die Bundestagsvizepräsidentin hält ein Grußwort – Claudia Roth ist gerade erst von einer Reise an die türkisch-syrische Grenze zurückgekehrt und betont das Potential des Sports für geflüchtete Menschen: »Ich habe erlebt, wie Fußball geflüchteten Menschen ein Stück Lebensfreude zurückgeben kann.« Auch Anja Schillhaneck, die Vizepräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses betont, wie wichtig es sei, mit diesem Kongress »Zeichen zu setzen«, und sieht in ihm einen Anfang, dem weitere ähnliche Veranstaltungen folgen sollen.
Auch Arne bewertet den Kongress als »Anfang« und hofft, »dass für das ein oder andere Projekt Impulse entstanden sind«. Er ist Mitbegründer von CHoG. Außerdem trainiert er eines der Teams. Das Projekt ist ein Beispiel für die erfolgreiche Kombination von Sport und Flüchtlingsarbeit. »Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, ein exklusives Trainingsangebot für Flüchtlinge zu schaffen, das den Teilnehmenden eine kurzweilige Unterbrechung des häufig trostlosen Lebensalltags ermöglicht. Indem sie sich so regelmäßig aus den meist dezentral gelegenen Sammelunterkünften für Asylsuchende begeben, können die Flüchtlinge ihre räumlich-soziale Isolation brechen und Erfahrungen auf ›freiem Feld‹ sammeln«, heißt es im Konzept des Vereins.
Vor etwa zweieinhalb Jahren haben die »Champions ohne Grenzen« angefangen. Inzwischen trainieren etwa 150 Personen in mehreren Teams, darunter neuerdings auch ein eigenes Frauenteam. Arne war bei der Gründung dabei und erinnert sich: »Wir haben Flyer in verschiedenen Sprachen verteilt. Beim ersten Training war dann erstmal nur eine Person da. Ich habe ein paar Freunde mitgebracht und so konnten wir dennoch gleich spielen. Wir haben uns dann jede Woche getroffen und es wurden durch Mund-zu-Mund-Propaganda immer mehr.« Anfangs wurde noch aufsuchende Arbeit in Flüchtlingsprojekten betrieben. Schnell war der Zulauf jedoch so groß, dass dafür keine Zeit mehr blieb. Das Team arbeitet fast komplett ehrenamtlich – nur selten gibt es mal eine kleine Übungsleiterpauschale.
Die Spielerinnen und Spieler finden auf ganz unterschiedliche Weise zu CHoG. Da ist zum Beispiel Fidele Niekam, der vor etwas mehr als zwei Jahren aus Kamerun nach Deutschland geflüchtet ist. In Kamerun war er Fußballprofi und spielte in der ersten Liga. Mehrmals versuchten Mitarbeiter von CHoG für ihn Probetrainings in höherklassigen Vereinen zu organisieren – erfolglos. Auch Bitu Barau spielt bei CHoG. Er wurde von einem Freund im Deutschkurs eingeladen: »Hast du schon einmal Fußball gespielt?« Bitu verneinte. »Kein Problem«, antwortete sein Freund und so entdeckte auch Bitu das Fußballspielen für sich.
Doch die Flüchtlinge stehen vor diversen Problemen. Arne berichtet, viele Vereine seien nicht offen für fremde Menschen. Hinzu kommen strukturelle Probleme, die er als »institutionellen Rassismus« bezeichnet: »Die Verwaltungsbürokratie ist in einer Art und Weise aufgebaut, dass sie einen Normalfall konstruiert. Dieser Normalfall ist implizit der männliche Fußballspieler mit einem deutschen Pass.« Wenn ein Spieler einen Spielerpass beantragt, so muss er dem Antrag eine Kopie seines Personalausweises beilegen. Flüchtlinge besitzen jedoch meist nur Aufenthaltspapiere, ein Passersatzdokument mit oftmals kurzer Gültigkeitsdauer. »Fußballverbände prüfen erst einmal, ob das Passersatzdokument überhaupt noch so lange gültig ist, wie der Verwaltungsaufwand dauert«, erzählt Arne. Und der Verwaltungsaufwand ist immens: Der Landesverband schickt das Dokument an den Deutschen Fußball-Bund, der Deutsche Fußball-Bund fragt dann in dem Herkunftsland des Spielers nach, ob der Spieler noch in einem Verein Mitglied ist. »Das dauert bei Krisenländern bzw. Ländern im Krieg natürlich sehr lange. Wir haben Spieler, die wir an Vereine vermittelt haben, die aber nicht spielen können, da sie seit zwei oder drei Monaten auf eine Antwort warten. Die wissen nicht einmal, ob der Antrag bearbeitet wird oder ob sie noch etwas nachreichen müssen«, sagt Arne. »Umgekehrt ist es so, wenn ein deutscher Spieler seinen Personalausweis einreichen würde, dann würde ja niemand auf die Idee kommen zu sagen: ›Der ist nur noch eine Woche gültig, was ist denn danach eigentlich mit dir los?‹«
Ein weiteres Problem, mit dem die Flüchtlinge konfrontiert sind, ist die Residenzpflicht, also eine Auflage für Asylbewerber und Geduldete, sich nur in dem Bereich aufzuhalten, für den die für sie zuständige Behörde verantwortlich ist. So kann es vorkommen, dass Spieler nicht zu einem Auswärtsspiel reisen dürfen, da das Spiel außerhalb des Bereichs liegt, in dem sie sich aufhalten müssen. Probleme, die auch Vereine anderer Sportarten vor Probleme stellen; so durfte der American-Football-Spieler Madiama Diop wegen der Residenzpflicht lange nicht zu den Auswärtsspielen seiner Würzburg Panthers reisen. Es ist eine von vielen auf dem Kongress geäußerten Ideen, dass Sportvereine sich für die Abschaffung der Residenzpflicht einsetzen könnten, allein schon aus eigenem Interesse. »Bei uns ist eine Menge Potential vorhanden. Es gibt gute Spieler, ausgebildete Schiedsrichter sowie Trainer. Davon kann man als Verein auch profitieren«, stellt Arne fest. Er meint damit Spieler wie Fidele, bezieht sich aber auch darauf, dass etwa der Berliner-Fußball-Verband derzeit auf der Suche nach Schiedsrichtern ist.
Der Kongress könnte ein Anfang sein, Probleme wie diese auf breiter Ebene zu diskutieren. So heißt es in der »Berliner Erklärung für geflüchtete Menschen im Sport«, die auf dem Kongress verabschiedet wurde, dass der Sport ein »herausragendes Mittel der gesellschaftlichen Öffnung gegenüber Geflüchteten und ihrer sozialen Teilhabe« sein kann. Außerdem wird in ihr der Eigenauftrag formuliert, »soziale Verantwortung zu übernehmen und zur strukturellen Öffnung im und über den Sport beizutragen«. Die Unterzeichner der Erklärung erfüllen damit eine Forderung, die auch Arne formuliert: »Vereine und Verbände müssen erkennen, dass der Fußball ein Feld gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzung ist, und dem muss man sich stellen. Wer dem aus dem Weg geht, unterstützt damit implizit eine Politik, die ausgrenzt.« Der Kongress war ein erster Schritt. Wichtig ist nun vor allem, was die Akteure aus der entstandenen Vernetzung machen und wie sie sich des Themas annehmen werden.