Die Krisenpolitik der EZB vor dem Europäischen Gerichtshof

Bazooka oder Platzpatronen

Was darf die Europäische Zentralbank zur Rettung des Euro tun? Darüber soll nun der Europäische Gerichtshof entscheiden.

An Mario Draghi scheiden sich die Geister. Für seine Kritiker ist der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) eine fast diabolische Erscheinung, seine Unterstützer sehen in ihm hingegen den mutigen Euro-Retter. Grund dafür ist eine Entscheidung Draghis, die er auf dem Höhepunkt der Eurokrise im Sommer 2012 gefällt hatte. »Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten«, sagte er damals. Kurz darauf präsentierte er ein Programm, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten aufzukaufen. Als »Big Bazooka« bezeichneten damals viele Journalisten diese Ansage – die bloße Ankündigung genügte, um die Märkte zu beruhigen. Umgehend fielen die Zinssätze für griechische und spanische Anleihen, ohne dass das Programm anschließend je zum Einsatz kam.
Draghis Kritiker jedoch sehen genau darin seine große Sünde und zogen vor das Bundesverfassungsgericht. Die Kläger warnten vor einer »monströsen Kompetenzanmaßung« und einer »Selbstermächtigung« der Bank. Die EZB würde damit faktisch eine eigene Wirtschaftspolitik betreiben, was ihr nach den Europäischen Verträgen untersagt sei. Falls es doch zu einer Staatspleite kommen sollte, würde die EZB damit die finanziellen Risiken auf die europäischen Steuerzahler abgewälzen. »Bankraub bleibt Bankraub, egal, welchen noch so ehrenwerten Zweck der Täter verfolgt«, wetterte der Anwalt von Peter Gauweiler, einem der bekanntesten Kläger. Seitdem zerbrechen sich Juristen den Kopf, ob Draghis Vorgehen rechtmäßig ist. Die Karlsruher Richter gaben den Klägern zwar prinzipiell recht, wegen der Tragweite der Entscheidung verwiesen sie den Fall aber an den Europäischen Gerichtshof. Dort wird seit voriger Woche verhandelt.
Die Richter in Luxemburg stehen vor einem Dilemma. Wenn sie entscheiden, dass Draghis Programm nicht mit dem europäischen Recht konform geht, riskieren sie, dass die Eurokrise mit voller Wucht zurückkehrt – und welcher Richter will schon einen Crash in Europa verantworten, nur um juristischen Prinzipien genüge zu tun? Halten sie Draghis Vorgehen für rechtmäßig, riskieren sie hingegen einen fundamentalen Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht.
Für Kompromisse gibt es in der Frage wenig Spielraum. Die Karlsruher Richter empfahlen zwar als möglichen Ausweg, dass die EZB einfach ihre Anleihenkäufe beschränken solle. Doch damit würde das gesamte Programm obsolet. Es bezieht seine Wirkung gerade daraus, dass die EZB im Notfall unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen kann. Statt einer Bazooka hätte Draghi sonst bestenfalls Platzpatronen in der Hand.
Doch der Europäische Gerichtshof kann das grundsätzliche Problem gar nicht klären. Schließlich hat erst die hartnäckige Weigerung insbesondere der Bundesregierung, die Euro-Krise gemeinschaftlich zu verhandeln, zu den umstrittenen Maßnahmen der EZB geführt. Ein politischer Ausweg aus der Schuldenkrise, etwa durch Euro-Bonds, war nicht erwünscht, die Euro-Zone sollte jedoch auch nicht scheitern. So blieb nur eine technokratische Lösung übrig. Sie wird so lange andauern, bis sich die Konstellationen in Europa ändern – und die deutsche Hegemonie in zentralen wirtschaftspolitischen Fragen beendet ist.