Wie Lucky Luke

Es gibt »Herr Lehmann« als Buch und als Film, jetzt also auch als Graphic Novel. Was kommt als nächstes? Herr Lehmann – das Musical? Gewartet hat man auf die Comic-Version von Sven Regeners Berlin-Roman nicht, aber Tim Dinters in Schwarzweiß gezeichnete Bildergeschichte zieht einen vom ersten Moment in das Kreuzberg der Rumhänger Ende der achtziger Jahre. Die Mieten sind niedrig, die Eltern weit weg, man schläft lange, studiert, jobbt und probiert Verschiedenes. In der berühmten Eingangszene schlappt der Protagonist im Morgengrauen von der Kneipe nach Hause, als sich ihm ein Kampfhund in den Weg legt – für den Westberliner Szenemenschen die Begegnung mit dem absolut Bösen, ein Menetekel. Dass einem das Schicksal noch gewaltigere Herausforderungen in den Weg legen könnte als einen bulligen Köter, ahnt Herr Lehmann an diesem Morgen noch nicht. Der gezeichnete Herr Lehmann hat ein Gesicht wie Lucky Luke, schmal, lieb, jungenhaft, das einen den großartigen Christian Ulmen, der die Figur im Film so überzeugend verkörpert, fast vergessen lässt. Der Plot und die Dialoge orientieren sich dicht an der Romanvorlage. Stimmungen, Lebensgefühl und Atmosphäre des wie verwunschen wirkenden Kreuzberg kurz vor dem Mauerfall stellen die melancholischen Bilder sehr gut dar. Vor allem die genaue Wiedergabe der Originalschauplätze beeindruckt. Die detaillierten Zeichnungen der Straßen, der Architektur und der Interieurs von Szeneorten wie der Markthalle machen die Roman­adaption zu einer eigenständigen Geschichte.

Tim Dinter: Herr Lehmann. Eichborn, Frankfurt am Main 2014, 240 Seiten, 19,99 Euro