Mamadou Lamine Bah und Aboubacar Souaré im Gespräch über die Ebola-Epidemie in Guinea

»Ebola ist der Zünder tiefgreifender Konflikte«

In Guinea herrschte bis 2010 eine Militärdiktatur. Derzeit wird das Land vor allem von der Ebola-Epidemie hart getroffen. Die 1990 gegründete Menschenrechtsgruppe »Organisation Guinéenne de Défense des Droits de l’Homme et du Citoyen« (OGDH) hat sich den Erhalt des Friedens in Guinea durch die Entwicklung von Konfliktverarbeitungsstrategien als Ziel gesetzt. Mit Unterstützung des Weltfriedensdienstes sollen unter anderem guineische Sicherheitskräfte in der Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte trainiert werden. Der Soziologe und Journalist Mamadou Lamine Bah und der Soziologe Aboubacar Souaré sind Mitbegründer von OGDH. Mit ihnen sprach die Jungle World über die Ebola-Krise und weitere Gefahren für die Menschen in Guinea.

Welche Fälle von Menschenrechtsverletzungen hat ihre Organisation in Guinea dokumentiert?
Souaré: Unter dem ehemaligen Diktator Lansana Conté (1984 bis 2008) wurden in großem Stil Menschenrechte verletzt. Polizisten schossen bei Demonstrationen nicht nur mit scharfen Waffen, sondern verfolgten Menschen bis in ihre Häuser, schlugen sie, plünderten und vergewaltigten in vielen Fällen Frauen. Viele Jugendliche tragen immer noch Kugeln in sich, weil sie kein Geld haben, um ins Krankenhaus zu gehen. Solche Ereignisse wiederholten sich regelmäßig, sowohl während Contés Amtszeit als auch nach 2008, als die Verfassung vom Militärdiktator Moussa Dadis Camara ausgesetzt wurde.
Lamine: Ein grundlegendes Menschenrecht ist das auf Bildung. Die derzeitige Regierung und frühere Regierungen sollten der Bevölkerung den Schulbesuch ermöglichen. Dies passiert jedoch kaum. Auch andere Menschenrechte wie der freie Zugang zu Wasser, Elektrizität und Krankenhäusern wurden von Regierungen nicht gewährleistet.
Auch heute noch, unter dem 2010 demokratisch gewählten Präsidenten, dem langjährigen Oppositionsführer Alpha Condé, kommt es zu gewalttätigen Konflikten zwischen der Regierung und der Opposition. Sind die Konflikte eher politisch oder ethnisch begründet?
Souaré: Es ist eher ein politisches Problem. Auch wenn die Führungsebenen der Parteien meistens von Angehörigen einer Ethnie dominiert sind, geht es hauptsächlich um politischen Einfluss und Macht. So wird die aktuelle Regierung von der Bevölkerungsgruppe der Malinke dominiert, die Opposition von der Gruppe der Fulbe. Beide Lager versuchen, Verbündete bei der dritten größeren Bevölkerungsgruppe, den Susu, zu finden. Es ist also kein ethnischer Konflikt, sondern ein politischer Konflikt, der ethnisiert wird. Die Ethnie spielt nur insofern eine Rolle, als dass sie als Instrument zur Machtkonsolidierung oder -erweiterung eingesetzt werden kann. Man sollte also eher von einem ethnostrategischen Ansatz der Parteien sprechen.
Welche Konfliktverarbeitungsstrategien verfolgen Sie mit Ihrem Projekt und wie ist es aufgebaut?
Souaré: Wir haben zwischen 2008 und 2012 ein Netzwerk von Friedensaktivisten mit dem Namen »Nationale Koalition für den Frieden in Guinea« geschaffen. Dieses besteht aus Komitees im ganzen Land. Um Konflikte friedlich zu lösen, arbeiten wir mit zwei Methoden: der Vermittlung zwischen den Akteuren und der Prävention von Konflikten. In unseren lokalen Komitees sitzen Menschen aus allen Ethnien, die von der lokalen Bevölkerung gewählt wurden, weil ihnen am meisten Kompetenz und Ehrlichkeit zugeschrieben werden. Dabei sind sie in der Vermittlung zwischen beiden Parteien deutlich erfolgreicher als die Polizei. Der präventive Teil unseres Friedensprojektes stützt sich auf die Überprüfung von Gerüchten: Wenn Condés Regierung, deren Strategie auf dem Schüren ethnischer Konflikte beruht, ein Gerücht verbreitet, rufen die Vertreter unseres Netzwerks in den lokalen Komitees an, um die Sache zu überprüfen. Falls es sich lediglich um ein Gerücht handelt, verbreiten unsere lokalen Vertreter die richtige Information in der jeweiligen Region, um somit das Konfliktpotential abzubauen und Gewalt zwischen den Ethnien zu vermeiden.
Am 19. September kam es in Womé im Süden Guineas zu Angriffen von Dorfbewohnern auf Mitarbeiter einer Ebola-Aufklärungskampagne, sieben Menschen wurden getötet. Welche Gründe stecken hinter solchen Angriffen?
Lamine: Es ist die Kombination einer Reihe von Gründen, die zu solchen Gewalttaten führt. Einer davon ist ethnisch. Die Regierungsbeamten waren Malinke, eine ethnische Gruppe, mit denen die lokalen Einwohner im Konflikt um Bodenressourcen stehen. Die meisten fühlten sich wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit von der Justiz ungleich behandelt. Zweitens ist die Regierung wegen mangelnder staatlicher Dienstleistungen nicht gern gesehen. Der dritte Faktor ist die Armut, die Regierungsfunktionäre kommen mit Chauffeuren in Luxusautos in Armenviertel. Viertens wurde im Radio berichtet, dass die internationale Gemeinschaft Summen in Millionenhöhe für die Bekämpfung von Ebola in Westafrika ausgibt. Allerdings kommt bei der lokalen Bevölkerung kaum etwas an. Die Kombination dieser Gründe liefert eine explosive Mischung. Ebola ist also nur der Zünder schon existierender, tiefgreifender Konflikte.
Souaré: Es wurden aber auch internationale Ebola-Helfer angegriffen, ohne dass sie von Regierungsbeamten begleitet wurden. Viele Menschen glauben, Ebola sei eine von den Weißen geschickte Krankheit. Andere glauben nicht einmal an die Existenz von Ebola. Dazu muss gesagt werden, dass die Kommunikations- und Aufklärungsstrategie der Regierung extrem schlecht organisiert wurde. Mediziner kommen unangekündigt in die kleinen Dörfer in einer Art Astronautenkleidung, einige Einwohner haben davor Angst. Die Regierung hat sich nicht die Mühe gegeben, Vermittler einzusetzen, die den Menschen erklären, welche Gefahren bei Ebola bestehen, wie die Krankheit übertragen werden kann und warum die Helfer derart gekleidet sein müssen. Da kommt Vieles zusammen, so dass es den Menschen einfach an Verständnis fehlt.
Lamine: In den Regionen, in denen es bessere Kommunikationsstrategien gab, waren auch deutlich weniger Konflikte zu verzeichnen. Selbst als es zu Angriffen auf Helfer kam, konnte das Problem relativ schnell gelöst werden.
Wie beeinflusst die Ebola-Krise Ihre Arbeit?
Souaré: Die Koordination unserer Arbeit wird deutlich erschwert. So mussten wir unser Planungs- und Bewertungstreffen, zu dem wir alle Beteiligten im Land einladen, von März auf Ende Mai verschieben. Seitdem hat sich jedoch die Krankheit rasant verbreitet. So sehen wir uns gezwungen, den für November geplanten größeren Rundgang abzusagen. Es ist sehr kompliziert, Personen zusammenzubringen, von denen man nicht wissen kann, ob sie Virusträger sind. Wir haben ja gegenüber unseren lokalen und internationalen Partnern eine gewisse Verantwortung.
Lamine: Auch mussten wir unser Projekt nach dem Ausbruch von Ebola inhaltlich neu ausrichten. Friedensarbeit und Konfliktverarbeitung sind wichtig, die Leute möchten aber, vor allem angesichts der fehlenden Kommunikation seitens der Regierung, dass wir der Bekämpfung von Ebola Vorrang geben. Sie haben uns sogar einen Strategievorschlag geschickt, wie wir in Dörfern vorgehen können. Somit steht die Bekämpfung der Krankheit für unser Projekt derzeit im Vordergrund.
Wie beeinflusst die Ebola-Krise das tägliche Leben in Guinea?
Lamine: Inzwischen steht vor dem Eingang fast aller Häuser und Moscheen ein Eimer mit Desinfektionsmittel. So können sich die Leute vor Betreten der Gebäude die Hände waschen. Zudem gibt es immer mehr Sensibilisierungskampagnen in den Medien, vor allem im Fernsehen und Radio. Dazu kommt, dass die Menschen ihre Angehörigen nicht mehr nach religiösen Sitten beerdigen, sondern nach den entsprechenden Richtlinien für die Ebola-Eindämmung, in Begleitung des Roten Kreuzes. Im täglichen Verhalten der Menschen spürt man jedoch keinen großen Unterschied.
Souaré: Der Ebola-Krise widmen sich auch religiöse Autoritäten. Ein Imam rief die Menschen dazu auf, während Beerdigungen den Familien des Verstorbenen nicht mehr die Hand zu reichen, wie es die religiösen Sitten als Zeichen der Solidarität ja eigentlich erfordern. Trotzdem ist es schwer, sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der man sich nicht berührt. Wie reagierst du zum Beispiel, wenn dein Kind krank wird? Berührst du es nicht oder riskierst du, dich selbst mit dem Virus zu infizieren? Vor diesem Dilemma stehen viele Familien.
Guinea ist ein mehrheitlich muslimisches Land. Seit einigen Jahren agieren dort auch Islamisten. Versuchen diese, die Ebola-Krise zur Durchsetzung ihrer Interessen zu instrumentalisieren?
Souaré: Bislang noch nicht. In den kommenden Jahren werden sie allerdings die größte Gefahr für den Frieden in Guinea darstellen. Bereits heute bereiten sie sich vor, indem sie Jugendliche in Ländern wie Pakistan, Ägypten und Kuwait ausbilden. Dabei werden sie von islamistischen Organisationen mit sehr viel Geld finanziert. Guinea ist ein sehr armes Land, die Islamisten adressieren vor allem arme und desorientierte Jugendliche, Frauen und Nachfahren von Sklaven. Sie reichen diesen Gruppen die Hand und geben ihnen Geld. Dadurch bieten sie ihnen nicht nur etwas Wohlstand, sondern auch soziale Identifikation und kulturelle Werteorientierung. Sie gewinnen stetig an Einfluss. Sie kämpfen gegen den alten, ausgeprägt toleranten Islam in Guinea; sie versuchen, ihn und seine Rituale als gefälschten, ungültigen Islam darzustellen. Sie bauen sogar eigene Moscheen und Friedhöfe und weigern sich, diese mit anderen Muslimen zu teilen. Dadurch hetzen sie soziale Gruppen gegeneinander auf und trennen oft sogar Familien in zwei Lager.
Doch während alle Zeitungen von Kobanê berichten, gibt es in Westafrika eine extremistische Tendenz, die sich in ganz Afrika durchsetzen und auch nach Europa ziehen könnte. Die Islamisten in Guinea haben jetzt schon viel Geld und stark militarisierte Verbündete wie Boko Haram und Al-Qaida im Maghreb (AQMI). Es besteht das Risiko, dass sie nicht nur einen islamischen Staat, sondern ein islamisches Reich gründen. Deshalb möchten wir einen Aufruf an Europa richten: Unser Projekt hat das Potential, den Siegeszug des islamischen Extremismus in Afrika zu verhindern. Ich bitte Sie, mit uns gegen diese Entwicklung zu kämpfen, bevor es zu spät ist.