»Pfändung deutschen Eigentums«

Besitzt die Bundesrepublik Staatenimmunität bei Klagen von NS-Opfern? Ja, befand der Internationale Gerichtshof (IGH) im Jahr 2012. Vergangene Woche erklärte das italienische Verfassungsgericht diese Ansicht für nichtig. Vor italienischen Gerichten kann wieder geklagt werden. Martin Klingner gehört zum »Arbeitskreis Distomo«. NS-Opfer aus dem griechischen Dorf hatten in der Vergangenheit italienische Gerichte bemüht.

Gilt das Urteil nur für Kläger mit italienischer Staatsbürgerschaft?
Dazu hat sich das Verfassungsgericht nicht geäußert. Das Urteil befasst sich ja mit einem Vorlagebeschluss, der drei ehemalige italienische Zwangsarbeiter betraf.
Welche Bedeutung hat das Urteil dann für den Fall Distomo?
Es gilt meiner Meinung nach auch für den Fall Distomo, weil die italienische Verfassung den Zugang zu den Gerichten auch für ausländische Staatsbürger schützt. Der Kassationshof in Rom hatte zudem im Fall Distomo beschlossen, die Entscheidung des Verfassungsgerichts abzuwarten. Das zeigt meines Erachtens, dass das Urteil von grundsätzlicher Bedeutung für alle Fälle ist, auch für Distomo.
Welche konkreten Konsequenzen ergeben sich daraus?
Es gibt ein Wiederaufnahmeverfahren, das die Bundesrepublik betrieben hat, um die Vollstreckung im Fall Distomo zu verhindern. Meine Interpretation des Urteils des Verfassungsgerichts ist, dass dem Wiederaufnahmeverfahren die Grundlage entzogen ist und keine Vollstreckungshindernisse mehr bestehen. Die Pfändung deutschen Eigentums in Italien kann meines Erachtens nun fortgeführt werden, ohne dass Deutschland es nach italienischem Recht verhindern kann.
Gibt es Reaktionen auf deutscher Seite?
Der deutsche Staat verhält sich scheinbar ruhig. Es ist aber zu erwarten, dass Deutschland Geheimdiplomatie betreiben und die italienische Regierung unter Druck setzen wird. Das war auch der Fall, bevor das Verfahren vor dem IGH begann. Italien wurde damals der Gang zum IGH abgepresst.
Deutschland setzt in Entschädigungsfragen bekanntlich auf die berüchtigte »biologische Lösung«. Wie stark betrifft das den Fall Distomo?
Von den unmittelbar Betroffenen leben immer weniger, das ist klar. Wir bewegen uns aber im Bereich des Zivilrechts, da sind solche Forderungen vererblich. Es ist dann eher die Frage, ob die Nachkommen diese Verfahren weiterhin betreiben wollen.