Ein Videospiel gegen den Krieg: »This War of Mine«

Plündernde Sims

Bei den meisten Computerspielen, in denen es um Krieg geht, übernimmt der Spieler die Rolle der einen oder anderen Kriegspartei. Im Antikriegsspiel »This War of Mine«, das demnächst auf den Markt kommt, steckt man in der Haut eines unbeteiligten Zivilsten in einem Krieg.

Seit es Videospiele gibt, sorgen vor allem jene, in denen Krieg und Gewalt thematisiert werden, für Diskussionen. Der Streit über die Wirkung der Darstellung von Gewalt auf den Konsumenten ist wohl so alt wie die Darstellungen selbst. So wie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Antikriegsliteratur vor allem die Gräueltaten aus Sicht der Betroffenen des Kriegs und die Folgen für das Individuum mahnend reflektierte, finden sich auch in der Bildenden Kunst ähnliche Tendenzen. Auch Filme wie »Der Soldat James Ryan« warfen bereits die Frage auf, wie die Darstellung von Krieg zu beurteilen sei, und ob es sich nun um einen Kriegs- oder einen Antikriegsfilm handele. In der Millionenbranche der Computerspiele schien es sich lange anders zu verhalten, doch auch hier stellt sich derzeit verstärkt die Frage, ob und wie sich Antikriegsspiele entwickeln lassen.
Derart differenziert ging man bisher kaum mit Computerspielen um – weder seitens der Kritiker noch seitens der Gamer-Szene oder der Entwickler selbst. Wurde in der öffentlichen Diskussion die Gewalt in Videospielen thematisiert, so geschah dies meist in apokalyptischem Ton aus Reihen konservativer Medienkritiker und Pädagogen, wie als ein Sinnbild des Generationenkonfliktes 2.0, der nicht nur zwischen verschiedenen Generationen, sondern beinahe zwischen verschiedenen Welten stattzufinden schien. Die mögliche Wirkung von Ego-Shootern auf die Jugend konnte gar nicht genug dramatisiert werden und schienen zeitweise an jedem gesellschaftlichen Unglück der vergangenen Jahre zumindest mitschuldig zu sein.
Dagegen wird mit dem Motiv der Gewalt in Spielen tatsächlich meist phantasielos umgegangen. Virtuelle Kriege sind seit jeher Schauplatz für lineare Single- oder Multiplayer-Kampagnen einsamer Helden, Opfer verkommen zu simplen Resultaten des Gameplays und selbst die Story dient meist nur als Kontext für abgedroschene Dialoge und Cutscenes im Actionfilmstil.

Ein Spiel, das noch gar nicht auf dem Markt ist, aber bereits durch die ersten öffentlich gewordenen Screenshots und Hintergrundinformationen Aufsehen erregt hat, hält nun ein neues Konzept bereit. »This war Of Mine« vom polnischen Entwicklerteam »11bit Studios« erzählt vom Krieg aus der Sicht des Zivilisten. In einem technisch zwar unspektakulären, aber kunstvollen 2D-Graphikstil in Schwarzweiß-Optik übernimmt man die Steuerung über einzelne Überlebende in einer vom Krieg heimgesuchten Stadt. Dabei funktioniert »This War of Mine« tatsächlich in erster Linie wie die Simulation des Alltags inmitten eines Kriegs.
Wie in einer Art »Sims im Krisengebiet« steuert der Spieler per Point and Click einzelne Überlebende, die sich in einem Haus befinden, auf das er wie auf ein virtuelles Puppenhaus blickt. Die einzelnen Charaktere haben eigene Biographien, individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten, die zu ihrer Tiefe beitragen sollen. Wenn die Nacht einbricht, wird der Spieler dazu angehalten, sich um das Nötigste zur Reproduktion zu kümmern. zu diesem Zweck begibt man sich mit einem ausgewählten Protagonisten im Schutze der Dunkelheit in das Umland und bricht in Schuppen und andere Gebäude in der Umgebung ein. Hierbei gilt es, überlebenssichernde Utensilien wie Nahrungsmittel und Medikamente mitzunehmen und diese unter den Mitgliedern der Gruppe aufzuteilen. Aus Schrott- und Metallteilen lassen sich im weiteren Spielverlauf brauchbare Gegenstände zusammenwerkeln, sei es ein Bett oder eine Kochplatte. Bei den nächtlichen Beutezügen wird jedoch prinzipiell nicht im Stil von Rambo agiert, da man schnell das Zeitliche segnet, wenn man einmal ins Visier feindlich gesinnter Charaktere geraten ist, von denen letztlich jeder um das eigene Überleben kämpft. Zumal die eigenen Spielfiguren ohnehin ständig gesundheitlich angeschlagen sind.

Die Idee zum Spiel soll aus einem Artikel, genauer einem Interview, entstanden sein, auf das Pawel Miechowski, Autor des Spiels, vor etwa zwei Jahren aufmerksam wurde und über das er mit seinem Bruder Grzegorz, den CEO von »11bit Studios«, noch lange sinnierte. In dem Interview beschrieb ein Mann seine Erfahrungen im Kampf ums Überleben in einer Kleinstadt in Bosnien zur Zeit des Kriegs Anfang der neunziger Jahre. Von da an sei die Idee für ein Spiel, das eine solche Situation aufgreift und sich in ernsthafter Form mit emotionalen und psychischen Herausforderungen auseinandersetzt, entstanden, sagt der in Warschau lebende Pawel Miechowski im Gespräch mit der Jungle World. Schließlich sei daraus »This War of Mine« entstanden. Ziel sei ein ernsthaftes Spiel für eine erwachsene Zielgruppe, das Situationen behandelt, denen Menschen ausgesetzt sind, die sich im Krieg wiederfinden. »This War Of Mine« sei ein Mittel, solcherlei Situationen nachzuvollziehen, erklärt Miechowski.
Ein ambitioniertes Ziel und in gewisser Weise noch Pionierarbeit. Mit einem solch differenzierten und erfahrungsgeleiteten Gameplay-Konzept wird das Thema Krieg bisher kaum in Videospielen behandelt. Erste größere Versuche in diese Richtung unternahm 2012 das deutsche Entwicklerstudio »Yager Developement« mit dem Spiel »Spec Ops: The Line«, das den Spieler in der Haut eines Soldaten in einen fiktiven Wüstenkrieg schickt und dabei vor moralische Entscheidungen stellt. Mittels expliziter Gewaltdarstellungen im Verlauf des Spiels sollen die Folgen des Kriegs und nicht zuletzt des eigenen Handelns vor Augen geführt werden. Die Idee stieß damals auf großes Medieninteresse und das Team dahinter erhielt mehrere Auszeichnungen beim Deutschen Entwicklerpreis 2012.
»Alles kann aufklärerisch und pädagogisch funktionieren, auch wenn das sicher kein Muss ist. Generalisierung ist hier immer problematisch, dennoch, wenn ich mir dieser unglaublichen Trivialisierung von Krieg und Gewalt, nicht nur in popkulturellen Produkten, bewusst werde und beobachte, wie Gewalt und Brutalität zum Mittel der Unterhaltung heruntergebrochen werden, bin ich selbst manchmal besorgt, wo das hinführen wird«, meint Miechowski.

Um einer solchen Trivialisierung entgegenzuwirken, setzt sein Team auf ausgiebige Recherchen mittels Geschichten, Memoiren und Interviews, auf der Suche nach Situationen, die als Inspirationsquelle für die Charaktere und Ereignisse innerhalb des Spielverlaufs dienen. »This War of Mine« entgeht somit tatsächlich einer plumpen Einseitigkeit und bringt die Empathie mit den Opfern mit den verschiedensten Facetten der Gewalt und den Folgen des Kriegs zusammen. Dabei findet sich der Spieler permanent in einem Zustand der Immersion, also eines Aufgehens in der virtuellen Realität, der eine ständige Alarmbereitschaft weckt und unentwegt gewichtige Entscheidungen fordert. Wie die der Aufteilung der Medikamente oder der Entscheidung darüber, wer die nächste Ration Lebensmittel gerade am dringendsten benötigt. Die Begegnung mit neuen Charakteren stellt sich ebenfalls als schwierig dar: Kann man dem Gegenüber trauen und es in seine Gruppe aufnehmen – oder birgt es Gefahren für alle? Zudem wird auch diese Entscheidung durch äußere Faktoren erschwert, wie den zu knapp bemessenen Lebensmittelvorräten.
»Menschen sind interessiert an Geschichten anderer Menschen, auch an den schlimmsten«, meint Pawel Miechowski. »Gewalt ist Teil unserer Welt und die Leute sind daran genauso interessiert, wie sie mitfühlen wollen. Wir sehen uns einen Actionfilm an, genauso wie ein Drama oder eine Komödie.« Dass »This War of Mine« für den gedankenlosen Spaß zwischendurch tatsächlich eher ungeeignet ist, wird auch durch das Spielprinzip selbst offensichtlich, denn das Ableben der Charaktere ist gleichzeitig unumstößliches Ende eines Spiels. Bis Spieler sich daran versuchen können, dürfte es nicht mehr allzu lange dauern. Das Spiel soll noch in diesem Quartal für alle gängigen Plattformen erscheinen.