Neue Skandale bei der europäischen Flüchtlingsabwehr in Melilla

Abwehr mit Tradition

Die Flüchtlingsabwehr an der europäischen Außengrenze in der spanischen Exklave Melilla in Marokko wird immer stärker kritisiert.

Der Wechsel der Europäischen Kommission zum 1. November wurde im spanischen Innenministerium mit Erleichterung aufgenommen. Denn die Nachfragen und die Kritik der EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecilia Malmström, wurden immer hartnäckiger und lästiger für die Politiker, die für die Abschottung an der spanischen Südgrenze der Europäischen Union verantwortlich sind. Die nehmen es nämlich weder mit den spanischen noch den europäischen Gesetzen allzu genau, wenn es um die rabiate Zurückweisung von Flüchtlingen geht. Es gibt immer mehr Videoaufnahmen antirassistischer Gruppen aus Melilla, die das brutale Vorgehen der spanischen Grenzpolizei gegen Flüchtlinge dokumentieren, die versuchen, die Grenzbefestigungsanlagen um Melilla zu überwinden.
Aufsehen erregten insbesondere Aufnahmen, die die NGO Pro.De.In (Für die Rechte der Kinder) vor zwei Wochen veröffentlichte. Unter anderem ist dort der 23jährige Dany aus Kamerun zu sehen. Gemeinsam mit etwa 300 anderen Flüchtlingen versuchte er am 15. Oktober, über den dritten, inneren, sechs Meter hohen Grenzzaun zu klettern. Ein großes Aufgebot der paramilitärischen Guardia Civil war schnell zur Stelle und zwang die Flüchtlinge, vom Zaun zu steigen. Noch auf der Leiter wurden sie mit Gummiknüppeln geschlagen. Zu sehen ist, wie Dany mehrere Meter tief fällt und wie weiter auf ihn eingeschlagen wird. Reglos wird er von spanischen Polizeibeamten vom Zaun weggetragen. Sie versuchen, ihn aufzurichten, er bricht bewusstlos zusammen. Dann tragen sie ihn zu viert durch eine Tür im äußeren Zaun auf die marokkanische Seite, wo sie ihn ablegen.

Dany habe »passiven Widerstand« geleistet, behauptete ein Polizeisprecher, nachdem eine Nachrichtenagentur das Video verbreitet hatte. Es seien nur »Ausschnitte, die nicht die ganze Realität zeigen«. Der Sprecher der NGO Pro.De.In, José Palazón, dokumentiert allerdings seit über elf Jahren, wie in Melilla mit Flüchtlingen umgegangen wird. So konnte er seine Kontakte auch dafür nutzen, Dany auf der marokkanischen Seite zu treffen, im unwegsamen Gelände des grenznahen Monte Gurugú. Dany traute sich nicht ins Krankenhaus, berichtete aber Palazón zufolge von Blut im Urin und starken Nierenschmerzen. Und Palazón führte Journalisten zu einem Freund von Dany ins Krankenhaus von Nador. Der 22jährige erzählt, er habe es nicht so weit geschafft wie Dany, er sei schon am marokkanischen Grenzzaun nicht weitergekommen, wo ihn Uniformierte attackiert und ihm ein Bein gebrochen hätten. Es sind solche Berichte, die in Spanien stärker öffentlich wahrgenommen werden und auch für Empörung bei der EU sorgen.
»Wir haben die Bilder gesehen und die EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecilia Malmström, hat einen Brief an die spanische Regierung geschickt mit der Bitte um Aufklärung«, sagte ihr Sprecher Michele Cercone am 31. Oktober auf einer Pressekonferenz. »Das europäische Recht muss respektiert werden, wenn nicht, müssen die Umstände erklärt werden.« Seit dem 1. November ist Malmström aber nicht mehr zuständig – sie ist jetzt Handelskommissarin. Aber auch die neue EU-Kommission wird mit der Abschottungspraxis Spaniens und anderer EU-Länder konfrontiert werden.

Als José Miguel Sánchez Tomás, der Strafrecht an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid lehrt, Anfang Oktober den »Bericht über sofortige Zurückweisungen an der Umzäunung von Melilla« vorstellte, betonte er, dies gerne auf dem Campus der dortigen Universität zu tun. Der Professor hielt im Wechsel mit drei Kolleginnen und Kollegen spanischer Hochschulen anschauliche Vorträge über Rechtsbeugung in Melilla. Am Bericht, in dem es auch um die Zustände im völlig überfüllten Auffanglager in Melilla geht, haben zahlreiche antirassistische Gruppen aus Spanien mitgearbeitet. Eine Woche lang dokumentierten sie vor Ort die Zustände in der Festungsstadt Melilla. Vor Jahrhunderten wurden dort Heere abgewehrt, heute sind es Flüchtlinge.