Die Strategie der Linkspartei

Bloß nicht auffallen

Über die künftige Strategie der Linkspartei in Thüringen.

Bodo Ramelow sieht sich als »Mitchrist negiert« und entdeckt eine völlig neue Form der Diskriminierung. Katja Kipping erwartet »Signale der Versöhnung«. Es geht um Bundespräsident Joachim Gauck, der in einem Interview ein Mangel an Vertrauen gegenüber manchen Teilen der Linkspartei bekundet und sich damit den Zorn der Kippings und Ramelows zugezogen hatte. »Er hat sich in einer Weise geäußert, die unsere vier Millionen Wähler direkt beleidigt und indirekt an der demokratischen Gesinnung der Hälfte der Bürger im Osten zweifelt. Das muss er richtigstellen. So gehen Demokraten nicht miteinander um«, sagte Kipping. Man darf feststellen: Selbstbewusstsein sieht anders aus.
Denn Gauck, ein Oberlehrer, Besserwisser und Dauerquassler, der nicht »repräsentieren« will, sondern zwanghaft zu allem seine Meinung sagen muss, verkörpert in den Augen vieler Bundesbürgerinnern und -bürger eben nicht die Autorität, vor der man innerlich in Habachtstellung gehen muss. Sein Gemäkel an der künftigen rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen könnten deren Protagonisten deshalb ganz gelassen aussitzen, jemand wie Oskar Lafontaine hätte vielleicht den Spieß umgedreht und seinerseits nach der Vertrauenswürdigkeit eines sich dermaßen aufgekratzt positionierenden Staatsoberhauptes gefragt. Aber man ist ja jetzt angekommen – im Kreis der Demokraten, wo bekanntlich nicht mehr ausgegrenzt werden darf, wo man auf ganz bestimmte Weise miteinander umzugehen hat, nämlich ohne Kritik und ohne Lust an der Zuspitzung.
Dieses allzu harmonieduselige Demokratieverständnis ist keine Taktik, sondern entspringt der Logik des »Modells Thüringen«: Zwar war die Linkspartei bereits an einigen Landesregierungen beteiligt, aber nie federführend und auch nie unter Beteiligung der Grünen. Rot-Rot-Grün in Thüringen erscheint deshalb als Signal für die nächste Bundestagswahl. Diesem Ziel dürfte die Landespolitik untergeordnet werden: Nichts darf an der Linken auffällig sein, nichts darf Anlass geben, sie als sozialpolitisch extremistisch oder DDR-nostalgisch zu brandmarken.
Bodo Ramelow ist dafür genau der Richtige. Als Gewerkschaftsfunktionär ist er in den neunziger Jahren nach Thüringen geschickt worden, war fast zehn Jahre Landsvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), also ein Wendegewinner, dessen Job in der sozialen Begleitung von Abwicklungen und Demontagen bestand. Auch wer auf Seiten von Angestellten und Arbeitern steht, kann den Klassenkampf von oben führen. Jemand, der den brutalen Transformationsprozess in Ostdeutschland so konstruktiv begleitet hat, wird als Ministerpräsident nicht den Sozialismus ausrufen, es stünde im Widerspruch zu seinem Lebenswerk. Kein Wunder, dass (nicht nur) die Thüringer Wirtschaft seiner Regierungszeit gelassen entgegen sieht. In einem launigen Kommentar nannte Spiegel Online die absehbare Kür Ramelows »die endgültige Niederlage der DDR«, denn nur in einer Demokratie sei es möglich, dass auch ihre früheren Gegner eingebunden würden und sogar Regierungsverantwortung übernehmen könnten. Das ist keine falsche Beobachtung, aber ihr fehlt die Pointe: Einbindung nur um den Preis der Unterwerfung und Verleugnung.