Die Lage von Flüchtlingen in Deutschland

Elend und Profit

Angesichts des steigenden Bedarfs an Unterkünften für Flüchtlinge haben Baufirmen die Preise für den Bau der Einrichtungen erhöht.

»Von Berlin geht heute die Botschaft aus: Die Weltgemeinschaft lässt die Flüchtlinge aus Syrien nicht allein«, proklamierte Ende Oktober Bundes-außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum Abschluss der Flüchtlingskonferenz. Die erdrückende Belastung der Nachbarländer Syriens, allen voran der Libanon und Jordanien, soll durch finanzielle Hilfe gemildert werden. Diese Staaten haben seit Ausbruch des Bürgerkrieges Millionen von Flüchtlingen aufgenommen.
Nasser Judeh, der jordanische Außenminister, wies in Berlin darauf hin, dass die Bevölkerung in seinem Land durch den Zuzug von über einer Million Flüchtlinge und Arbeitsmigranten um 25 Prozent zugenommen habe. Jetzt steht der Winter bevor, und vor allem die Versorgung mit ausreichend Wasser ist gefährdet. Die Schulen seien überfüllt, allein die Schulen im Norden Jordaniens mussten 100 000 zusätzliche Schüler aufnehmen. Die staatlichen Krankenhäuser sind überlastet. Die komplette Infrastruktur des Landes ist am Rand der Belastbarkeit angekommen. »Die Aufnahmeländer sind ermüdet«, so Judeh.

Vertreter aus 40 Staaten formulierten im Anschluss an die Konferenz eine »Berliner Erklärung«. Die Finanzhilfen für die betroffenen Länder sollen erhöht werden. Man will die Hilfsangebote besser koordinieren und somit die Unterstützung »verstetigen«. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) gab bekannt, noch in diesem Jahr 140 Millionen Euro bereitzustellen, um Jordanien und dem Libanon bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge im bevorstehenden Winter zu helfen.
Die Forderung, die Staaten vor Ort mehr zu unterstützen, erhält parteiübergreifend breite Zustimmung. Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, erklärt gegenüber Spiegel Online die Motive: »Wenn wir den Nachbarländern nicht mehr helfen, wird der Flüchtlingsdruck auf Mitteleuropa noch wachsen. Diesen Ländern zu helfen, muss also schon in unserem eigenen Interesse liegen.« Und: »Erst kommt der Regen, dann die Kälte, dann der Schnee, dann der Tod. Es geht jetzt für uns Europäer um reine Notwehr, nicht um die Suche nach einem Flüchtlingsmasterplan für 2020«, bringt Bosbach die Überlegungen der europäischen Politiker auf den Punkt. Die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien ist nur bis zu einem gewissen Maße politisch gewollt.
Die Kapazitäten des deutschen Aufnahmeprogramms, kritisieren Menschenrechtsorganisation wie Pro Asyl, reichen bisher nur für 20 000 Menschen. Dabei liegen weit über 80 000 Anträge vor. Für die Nichtregierungsorganisation »Adopt a revolution« sind die finanziellen Zusagen allenfalls »nur ein Element« der zahlreichen Handlungsoptionen der Bundesregierung. Die »unbürokratische Aufnahme von besonders bedürftigen Personen« sei das weitaus wichtigere Signal. »Nur durch eine Aufnahme von syrischen Flüchtlingen in anderen Staaten, darunter Deutschland, wird sich die Lage im Libanon entspannen«, so Martin Bauhof von »Adopt a revolution«. Für ihn steht fest, dass eine erhebliche Aufstockung des deutschen Kontingentes »andere europäische Staaten unter Druck setzen« würde, ebenfalls »substantielle Aufnahmeprogramme einzurichten«. Bisher haben die EU-Staaten nur die Aufnahme von etwa 35 000 Menschen zugesichert.

Insgesamt hat die Aufnahmebereitschaft in den europäischen Ländern im vergangenen Jahrzehnt stark abgenommen. Argumentiert wird mit der anhaltenden Wirtschaftskrise in der EU wie mit mangelhaften Möglichkeiten der Unterbringung. In ihrer Rede, die sie am 1. November in der Maria-Magdalenen-Kirche im brandenburgischen Templin hielt, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass die Abschiebung in sichere Herkunftsländer »auf den ersten Blick vielleicht nicht christlich« sei, noch weniger christlich sei es aber, »wenn wir zu viele aufnehmen und dann keinen Platz mehr finden für die, die wirklich verfolgt sind«. Ausgerechnet in Brandenburg, dem am dünnsten besiedelten Bundesland, in einer Kirche, schafft es Merkel, die alte Mär »Das Boot ist voll« zum Besten zu geben. Proteste blieben aus.

Die Unterkünfte für Flüchtlinge sind in fast allen Bundesländern überfüllt. Die Erstaufnahmeeinrichtungen wurden teilweise geschlossen. In Karlsruhe mussten einige Flüchtlinge im Freien übernachten, weil alle regulären Plätze belegt waren. Schlecht gesicherte Zelte kamen bisher in Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zum Einsatz. Neue Wohncontainer sollen in den kommenden Wochen in Berlin, Leipzig, Freiburg, Neumünster sowie in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen aufgestellt werden. Die Möglichkeit, die Flüchtlinge in dezentralen Unterkünften unterzubringen, wird in kaum einem Bundesland noch erwogen.
Dort, wo Kommunen noch versuchen, für die Flüchtlinge Wohnungen zu akquirieren, erleben die Verantwortlichen einen rasanten Anstieg der Mietpreise. »Viele wollen einen schnellen Euro machen und verlangen bis zu 15 Euro Kaltmiete für den Quadratmeter«, berichtet zum Beispiel der zuständige Leiter des Fachdienstes Ordnung, Michael Großmann, aus dem niedersächsischen Lehrte der Hannoverschen Allgemeinen. Bisher sind von den 282 Flüchtlingen in der Stadt 114 in Privatwohnungen untergebracht. Aus der Not heraus plant die Verwaltung nun die Anschaffung von Containern. Durch die wachsende Nachfrage sind die Preise rasant gestiegen. Innerhalb eines Jahres haben sich die Mietkosten für Container fast verdoppelt. »Da könnte man fast schon selbst bauen«, lautet das ernüchternde Fazit von Großmann.
Doch auch im Baugewerbe werden inzwischen andere Preise aufgerufen. »Wir erleben das deutlich, die Baufirmen haben bei öffentlichen Aufträgen ihre Preise stark angezogen«, sagte Stefan Huckauf vom Landratsamt Böblingen in Baden-Württemberg Zeit Online. Beim Bau eines neuen Flüchtlingsheimes habe der günstigste Anbieter den Bau für 960 000 Euro angeboten, statt 810 000, die die Kommune aus Erfahrung veranschlagt habe.
Wie groß die Not ist, aus der Profit gezogen wird, zeigt ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz. In Ingelheim ist derzeit die Hälfte der 330 Flüchtlinge in einer alten Baracke untergebracht, die nicht beheizbar ist. Die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Irene Alt (Grüne) erklärte, dass eine schnelle Unterbringung der Menschen zu gewährleisten gewesen sei. So schnell habe man die Heizungsanlage nicht aktivieren können und mobile Heizkörper seien aus Gründen des Brandschutzes nicht möglich. Viele Flüchtlinge werden in provisorischen Unterkünften, wie einer Übungshalle der Feuerwehrschule, ehemaligen Kasernen und Schulen, untergebracht, wo die hygienischen Bedingungen zumeist schlecht sind.
In der Bundeshauptstadt plant der zuständige Gesundheitssenator, Mario Czaja (CDU), sogenannte Traglufthallen aufzustellen. Außerdem sollen ab Dezember über 2 000 Flüchtlinge in Containerdörfern an der Peripherie der Stadt angesiedelt werden. Unter anderem im Stadtteil Berlin-Buch. Rund 200 aufgebrachte »Wutbürger«, angeführt von lokalen Neonazikadern, demonstrierten bereits am vergangenen Wochenende gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft.