Angela Marquardt im Gespräch über Chancen und Grenzen des rot-rot-grünen Projekts auf Bundesebene

»Wir wollen ins Kanzleramt.«

In Thüringen wird ein rot-rot-grünes Bündnis unter einem Ministerpräsidenten der »Linken« immer wahrscheinlicher. Angela Marquardt war früher stellvertretende Parteivorsitzende und Bundestagsabgeordnete der PDS, heute ist sie Mitglied der SPD und Geschäftsführerin des SPD-Thinktanks »Denkfabrik«, der sich vor allem für die Entwicklung einer rot-rot-grünen Regierungsperspektive auf Bundesebene einsetzt. Mit der Jungle World sprach sie über die Erfolgschancen und die Grenzen des Bündnisses.

Warum tun sich die Parteien mit Rot-Rot-Grün so schwer?
Zunächst einmal hat ein solches Bündnis keine Tradition in der Bundesrepublik. Natürlich hat das auch mit der Geschichte von SPD, Grünen und »Linken« zu tun. Es hat aber auch inhaltliche beziehungsweise strategische Gründe: Die drei Parteien sprechen teils identische Wählergruppen an. Dadurch entsteht eine Konkurrenz-Situation, die die Zusammenarbeit erschwert.
Hat sich die »Linke« sozialdemokratisiert oder ist die SPD nach links gerückt?
Ich kann mit dem Wort »sozialdemokratisiert« wenig anfangen. Natürlich haben sich beide Parteien verändert. Aber sie sind ja regional auch sehr unterschiedlich: »Die Linke« in den neuen Bundesländern ist zum Beispiel eine andere als in den alten. Im Osten hat »Die Linke« zudem Regierungserfahrung, während sie dort, wo sie ausschließlich Oppositionspartei ist, eine ganz andere Ausrichtung hat. Was die SPD angeht: Seit ihrem desaströsen Wahlergebnis 2009 sind klassische linksliberale, sozialdemokratische Inhalte wieder mehr in den Vordergrund gerückt. Annäherungen zwischen beiden Parteien gibt es bereits seit 2008, wenn man an die verschiedenen rot-rot-grünen Initiativen denkt. Es ist ja nicht so, dass es gar keinen Kontakt zwischen den drei Parteien gab, nur ist dies bisher nie in einem Regierungsbündnis gemündet. Dafür gab es bis dato auch gar keine Grundlagen.
Sie sind Geschäftsführerin des rot-rot-grünen Thinktanks »Denkfabrik«. Wie sieht die dortige Zusammenarbeit aus?
Die »Denkfabrik« ist nicht der rot-rot-grüne Thinktank. Aber Mitglieder der »Denkfabrik« haben eine rot-rot-grüne Diskussionsrunde 2009 mit ins Leben gerufen. Es gibt immer mal wieder thematische Treffen, wir veranstalten auch öffentliche Diskussionen, etwa zum Thema Sozialpolitik, Außenpolitik und Umweltpolitik. Im nächsten Jahr werden wir die anstehende Thüringer Ministerpräsidentenwahl reflektieren. Natürlich wissen wir noch nicht, wie sie ausgeht, wir haben da aber schon eine Vermutung.
Bundespräsident Joachim Gauck hat sich in die »Unrechtsstaat«-Debatte eingemischt. Es heißt, die Partei »Die Linke« würde die DDR nicht klar genug als solchen benennen.
Im Gegensatz zu vielen anderen finde ich es legitim, so eine Äußerung zu tätigen. Gauck nimmt ja keinen Einfluss auf eine Regierungsbildung. Seine Meinung kann er meines Erachtens sagen. Er ist nicht der erste Bundespräsident, der sich in die Tagespolitik einmischt. In Thüringen ist diese Diskussion ja geführt worden, und das wird sich entsprechend in der Präambel zum Koalitionsvertrag wiederfinden. Diese Begriffe sind sowieso nicht ausschlaggebend. Wichtig wird sein, ob man eines Tages begreifen wird, was in dieser SED-Diktatur passiert ist. Ich persönlich finde die Bezeichnung »Unrechtsstaat« richtig. Dass viele in der Linkspartei sich damit nicht anfreunden können, ist bekannt. Aber letztlich geht es darum, dass die Leute es auch so meinen, wie sie es sagen. Ein Lippenbekenntnis zum »Unrechtsstaat« nutzt niemandem etwas. Ich glaube, das wollte Gauck thematisieren, und da kann man ihm auch Recht geben. Trotzdem ist die SPD in Thüringen auf dem Weg in ein Regierungsbündnis mit der »Linken«. Also ist sie mit dem, was an Diskussion in Thüringen stattgefunden hat, einverstanden. Das trifft übrigens auch auf die Grünen zu, die man auch mit einbeziehen muss: Man muss die Parteien daran messen, was sie sagen und was sie dann tun.
In den neuen Bundesländern gab es schon öfters Koalitionen von SPD und »Linken«. Hat ein solches Bündnis auch im Westen Zukunft?
Ich will da jetzt keine Prognose abgeben. Das hängt natürlich auch von der Stärke der Linkspartei ab. Man kommt an Parteien nicht vorbei, wenn sie relevante Wahlergebnisse haben. Und da besteht in den alten und neuen Bundesländern nach wie vor ein großer Unterschied. Wenn die Entwicklung auf Bundesebene so bleibt, wenn die Wahlergebnisse der »Linken« also wieder zweistellig werden, dann kommt man an ihr nicht vorbei.
Die Linkspartei beharrt teilweise auf Maximalforderungen, wie der Ablehnung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr. Würde die SPD – bei einer Zusammenarbeit im Bund – so etwas mittragen?
Gerade was solche Themen anbetrifft, hängt es sehr von den Personen ab, mit denen man diskutiert. Ich würde sagen, mit Stefan Liebich würde es eine Einigung geben, mit Sevim Dagdelen wahrscheinlich nicht. Ich will das auch gar nicht auf die Außenpolitik reduzieren. Wenn man sich die Wirtschafts-, Sicherheits- und Sozialpolitik ansieht, gibt es gravierende Unterschiede innerhalb der Linkspartei zu den einzelnen Themen. Wenn es um die Bundesebene geht, sind meiner Meinung nach zwei Themen ausschlaggebend: Das eine ist die Sozialpolitik, das andere ist der Umgang mit der Geschichte. Auch die Finanzierung von Umweltpolitik wird ein Streitpunkt sein. Ich würde die Grünen da genauso mit reinnehmen.
In Regierungsverantwortung waren die Grünen nie besonders links. Und an den Sozialabbau der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder denken viele mit Schrecken zurück.
Diesem Vorwurf müssen sich alle aussetzen, die regieren. Unsere rot-rot-grüne Diskussionsrunde ist auch aus der Kritik entstanden, dass die SPD damals im Wahlkampf andere Sachen versprochen hatte, als sie später eingehalten hat. Der Vorwurf trifft natürlich auch auf die Grünen zu, aber auch auf die »Linke«, da wo sie mitregiert hat. Da gab es Debatten um Schulsozialarbeiter, die Finanzierung von Projekten gegen Rechtsextremismus und so weiter. In dem Moment, in dem du deine Politik an der Haushaltspolitik ausrichten musst und willst, werden dir immer Grenzen gesetzt. Gerade eine linke beziehungsweise soziale Politik kostet eben Geld. Und dem müssen sich die SPD und die Grünen, aber auch die Linkspartei stellen. Und deshalb wird die Haushaltspolitik zukünftig ein Gradmesser für rot-rot-grüne Bündnisse. Insofern: Der Eindruck ist richtig. Ich gehöre auch zu denen, die dann oft die Keule schwingen. Wenn wir in unseren Diskussionsrunden das Thema Haushaltspolitik behandeln, wird uns klar: Ein rot-rot-grüner Koalitionsvertrag wird viel Geld kosten.
Wo wäre der Unterschied zu einer großen Koalition, wenn sich ohnehin alle der Haushaltsdisziplin unterwerfen müssen?
Dass wir bei der Haushaltsdisziplin andere Schwerpunkte haben. Ich denke, dass eine rot-rot-grüne Sozialpolitik durchaus andere Akzente setzen würde. Auch bei Investitionen und Schuldenpolitik gäbe es Unterschiede. Nehmen wir die aktuelle Maut-Debatte. Dafür würde rot-rot-grün, glaube ich, kein Geld ausgeben.
Wenn es in Thüringen tatsächlich zu einer rot-rot-grünen Koalition unter einem Ministerpräsidenten der »Linken« kommt, wäre das sicher positiv für die rot-rot-grünen Bestrebungen auf Bundesebene. Und wenn das Projekt scheitert?
Wir gehen mal davon aus, dass Rot-Rot-Grün in Thüringen nicht scheitert. Ich wäre aber auch vorsichtig, ob das wirklich solche Auswirkungen auf die Bundespolitik hätte, weil die Bundespolitik doch noch mal anders ist. Da stehen eben auch andere Themen an, von der Rüstung über die Sicherheit bis hin zu Auslandseinsätzen. Insofern: abwarten. Ein Scheitern in Thüringen würde die Diskussion in eine Richtung drehen, wie ich sie auch nicht möchte. Man muss auch sehen: Wie funktioniert das eigentlich? Wenn man sich mal das Sondierungspapier aus Thüringen anschaut, sieht man, dass vieles dort noch unter Finanzierungsvorbehalt steht. Auch Rot-Rot-Grün in Thüringen muss den Ansprüchen, die sie durch ihre Regierungsdiskussion produzieren, gerecht werden. Vielleicht hinterlassen sie auch enttäuschte Wählerinnen und Wähler. Ich wünsche mir, dass das Projekt in Thüringen funktioniert und dass es aufzeigen kann, welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenze das Bündnis hat. Ein Scheitern hätte auf jeden Fall mehr Auswirkungen auf den Bund als ein Erfolg.
Wie groß ist der Widerstand in der SPD gegen ein solches Bündnis?
Das kommt wieder auf die Ansprechpartner an. Die Jusos wären sicherlich dafür, der Seeheimer Kreis hätte eher Vorbehalte dagegen. Auch in den alten Bundesländern sind die Vorbehalte wohl größer als in den neuen Bundesländern. Da gehört die Zusammenarbeit mit der »Linken« nämlich zum Alltag. Da kommt es aber wirklich auf Regionen und Strukturen an. Schließlich wird sich das an der Frage entscheiden: Wollen wir den Kanzler stellen oder nicht?
Und die SPD-Basis?
Ich würde die vorsichtige Prognose starten, dass es an der Basis eine Mehrheit dafür gibt. Aber auch immer vor dem Hintergrund: Wir wollen ins Kanzleramt. Davon hängt in der SPD viel ab.