Der Terror des IS, die Linke und der Frieden

Welche Waffen? Welche Kritik?

Ein Zurückschlagen der IS-Vernichtungsdrohung ist für die in den bedrohten Gebieten lebenden Menschen, vor allem für die Frauen, unumgänglich. Die Linke in Deutschland muss dafür aber nicht wie in der Vergangenheit einem besinnungslosen Bellizismus verfallen.

In Kobanê kämpfen Tausende von Kurdinnen und Kurden nicht nur um ihr Überleben. Sie kämpfen auch für ein gesellschaftliches Experiment, das im Nahen Osten mittlerweile einen der wenigen Lichtblicke darstellt. Die arabischen Revolten sind mittlerweile entweder niedergeschlagen worden, haben ihre hässlichste Seite offenbart, wie in Libyen, oder sind mit dem Verweis auf die drohende Macht der Islamisten von Militärdiktaturen erstickt worden, wie in Ägypten.
In Westkurdistan entlang der syrisch-türkischen Grenze bis zum Irak hat sich das Assad-Regime zum Großteil aus der Region zurückgezogen, und in das Vakuum konnte die Partei der Demokratischen Union (PYD) stoßen mit ihren Volksverteidigungseinheiten YPG, dem syrischen Ableger der PKK. Unter den schwierigen Bedingungen von Bürgerkrieg und drohender Intervention durch Jihadisten wurde hier angeblich eine Art »Rätesystem« mit Delegierten, das von unten nach oben funktioniert, aufgebaut. Selbst wenn man den teils euphorischen Reiseberichten nur die Hälfte glauben will, so ist »Rojava«, wie der selbstverwaltete Kanton heißt, ein fortschrittliches, multiethnisches und multireligiöses Projekt. Die Frauen spielen eine entscheidende Rolle, patriarchales Verhalten wird geahndet, Frauen verfügen über eigene bewaffnete Einheiten.

In den frühen neunziger Jahren wurden die PKK und der kurdische Befreiungskampf sehr eingehend in der radikalen Linken hierzulande diskutiert. Besonderes Interesse galt dabei der Rolle der Frauen im Kampf. Die militante Frauengruppe »Rote Zora« behauptete, die Frauen würden aus den bäuerlichen Subsistenzstrukturen ein Netz der Widerständigkeit entwickeln, die PKK dahingegen sei ein männliches Modernisierungsprojekt, das sich die Frauen unterwerfen wolle. In diesen Ausführungen schwang neben einem gewissen Geschlechterseparatismus deutlich der Subsistenzkitsch mit, der in einer bestimmten Variante des radikalen Feminismus, der sich an Maria Mies und anderen orientierte, beheimatet war. Andere Wissenschaftlerinnen untersuchten das Leben in den kurdischen Dörfern und kamen zu dem wenig erstaunlichen Urteil, dass es sich nicht um eine bäuerliche, weibliche Solidarstruktur gegen männlich-nationalistische »HERRschaft« – wie es so unschön hieß – handele, sondern dass die Solidarität unter den Frauen kurzfristig und zweckgebunden sei, und sie sich auch nicht von den Männern separieren wollten, also nicht den Ideologien eines wie auch immer gearteten westlichen Extremfeminismus mit Subsistenzkitschfaible folgten.
Genauso nüchtern sollte man die derzeitigen Strukturen Rojavas untersuchen, und man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass selbst für die historisch und qualitativ weit fortgeschrittenen Selbstverwaltungsprojekte in Katalonien 1936/37, wo tatsächlich Privateigentum abgeschafft wurde, mittlerweile kritische Untersuchungen vorliegen. Besonders vor dem Hintergrund von Bürgerkrieg und notwendiger Verteidigung sind emanzipatorische Projekte immer von Militarisierung, Arbeitszwangsmaßnahmen und autoritärer Disziplinierung bedroht. Darüber hinaus drängen Kriegsszenarien auch eine Logik des »Der-Feind-meines-Feindes-ist-mein-Freund« auf sowie faule Kompromisse. Doch was es festzuhalten gilt, ist: In den Städten in den nordsyrisch-kurdischen Gebieten gibt es Straßenkomitees, auf denen Stadtteilkomitees aufbauen, die wiederum einen »Volksrat« bilden. Historisch war das Auftauchen von derartigen von unten nach oben aufgebauten Räten immer auch mit der Infragestellung der kapitalistischen Trennung in eigentumslose Klasse und Eigentümerklasse verbunden – ähnliches hört man aus Rojava nicht. Dennoch ist das hohe Maß an Selbstverwaltung und Frauenbeteiligung in der arabischen Welt einmalig, warteten doch viele positiv gestimmte Beobachter aus der Linken vergeblich und voller überzogener Euphorie, dass im »Arabischen Frühling« von Seiten der Proletarier und Subproletarier räteähnliche Strukturen aufgebaut werden.
Rojava ist also ein schwacher Lichtstrahl des Fortschritts in einer Welt der Barbarei, in der Sozialismus nur noch ein hohler Begriff ist. Nun mag man diese lokale Entwicklung hin zu einer Politik der von unten nach oben organisierten Selbstbestimmung auf die Kehrtwende des ehemaligen Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, zurückführen, der in der türkischen Gefangenschaft über die Lektüre des US-amerikanischen Ökoanarchisten Murray Bookchin zum libertären Gedankengut gefunden hat und von dem einige ganz erstaunliche öko- und feministisch-anarchistisch geprägte eigene Schriften vorliegen, wie Thorsten Mense (Jungle World 45/2014) betont.

Tatsächlich scheinen aber doch andere historische Wirkkräfte diese Veränderung bewerkstelligt zu haben als eine bloße Veränderung der Ideologie im Kopf eines Führers. Die im bewaffneten Kampf gegen die Türkei und andere Kräfte stark vertretenen Frauen haben es geschafft, sich politische Mitwirkung zu erkämpfen, und zwar nicht aufgrund der Subsistenzstruktur, sondern vor dem Hintergrund ihrer Auflösung und der Drohung durch den Islamismus; das Ziel der nationalen Eigenstaatlichkeit, das alle »geschichtslosen Völker« verfolgten, ist historisch mit dem Ende der nachholenden Entwicklungsversprechen, des klassischen Antiimperialismus, des sowjetischen Blocks und seiner Unterstützungsleistungen in weite Ferne gerückt. Lokale Autonomie, Selbstverwaltung und bewaffnet abgesicherter Föderalismus scheinen die Lehren der PKK und YPG aus dieser Situation zu sein.
Vor diesem Hintergrund scheint sich eine Solidarität mit der PYD/YPG der Linken aufzudrängen, wie Deniz Yücel (Jungle World 43/2014) meint. Richtig wäre das Aufgreifen ihrer Forderung nach Öffnung eines Korridors für Flüchtlinge und Aufständische aus anderen Teilen Kurdistans durch die Türkei, eine Aufhebung des anachronistischen PKK-Verbots, sowie eine generelle Aufnahme der Flüchtling und die Forderung nach einem Stopp von Waffenlieferungen an alle Staaten, die mit militanten Jihadisten kooperieren wie Saudi-Arabien und Kuwait.
Dennoch ist eine Relativierung der Solidaritätseuphorie angebracht. Auch die PYD, so erklärte beispielsweise der syrisch-kurdische Anarchist Shiar Neyo, zeige sich als autoritäre Gang, inhaftiere oppositionelle Gegner, kontrolliere Verpflegung und finanzielle Ressourcen in den kurdischen Gebieten und verteile diese in einer ungerechten Weise auf der Basis der Bevorzugung von Genossen. Blinde Solidarität, auch wenn das Objekt der Solidarität im emanzipatorischen Glanz erscheint, war noch nie gut.

Soll man als Linker auch Luftangriffe der US-geführten Allianz auf IS-Stellungen gutheißen, gar für Bodenkriegsszenarien plädieren oder die Bundesregierung »in die militärische Verantwortung«, wie es euphemistisch heißt, nehmen? Wenn die YPG-Kämpfer und -Kämpferinnen in einer akuten Vernichtungsdrohung – nichts anderes stellen die IS-Angriffe dar – Ausweitung der Militärschläge der USA fordern, wer wäre die (weitgehend nur publizistisch tätige) deutsche Linke, eine solche Forderung zu kritisieren?
Natürlich war die Linke nie pazifistisch, die Kritik der Waffen ist im bedrohten Kobanê unumgänglich. Viel schwerer wiegt jedoch, wie die Situation um Kobanê für eine Militarisierung des Denkens ausgenutzt wird. Verantwortungs­ethisch wird durch deutsche Politiker und in den Medien das Schicksal »der Kurden« beschworen, als würden nicht auch neben den Kurden Araber, Assyrer und andere Gruppen vom IS und anderen Terrorverbänden bedroht, als gäbe es keinen Unterschied zwischen den söldnerhaften Peschmerga, die von der Bundesregierung mit Waffen ausgestattet werden, und den weitgehend im Stich gelassenen YPG-Aktivisten und -Aktivistinnen, die immerhin viele Yeziden vor dem Tod retteten.
So gibt es mittlerweile auch innerhalb der Linken hierzulande eine Phalanx aus anpassungsbereiten Politikern der Linkspartei und ewig bellizistisch geeichten Kriegstrommlern aus der außerinstitutionellen Linken, für die es zum guten Ton gehört, immer und überall Krieg und »militärische Intervention« zu fordern und in großen Gesten Hohn und Spott über die alte Linke mit ihren angeblich anachronistischen Kategorien wie »imperialistische Interessen« auszugießen. So, wenn Moritz Kirchner, Mitglied des Kreisvorstands der Partei »Die Linke« in Potsdam, in der Jungle World 42/2014 für einen »außerparlamentarischen Paradigmenwechsel« trommelt, um endlich politische Koalitions- also Herrschaftsfähigkeit zu beweisen. Doch auch von Jungle World-Autoren wie Thomas von der Osten-Sacken und Sebastian Voigt, die voller Wohlwollen den Bush-Krieg gegen Saddam Husseins Irak beziehungsweise den Libyen-Krieg gegen Muammar al-Gaddafi publizistisch unterstützten, wird man vergeblich erwarten, dass in ihren Analysen der IS-Barbarei festgehalten wird, dass genau diese von ihnen unterstützten Kriege den Boden für die Ausbreitung des Jihadismus bereiteten.
Der Krieg, auf den nicht nur die Linkspartei, sondern auch die Deutschen allgemein verpflichtet werden sollen, ist als zu bejahende Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln bei Autoren der Jungle World ebenso wie bei den Grünen und Abgeordneten der Linkspartei, die in der Berliner Republik, die von Verteidigungsministerin Ur­sula von der Leyen klug militarisiert wird, ankommen wollen, längst akzeptierte Sache – als Ausweis des Mitmachens, als Signal von Mitmachbereitschaft. Die Linke hat die Waffe der Kritik in dem Maße gestreckt, wie sie die Kritik der Waffen den imperialistischen Staaten überlassen will.