Der »Islamische Staat« als Terrorkonzern

Der Kalif traut nur dem Gold

Der »Islamische Staat« ist ein Terror­konzern, der einem bereits von anderen ­Warlords etablierten Modell der folgt.

Der Kalif mag kein Papiergeld. Um das »tyranische Geldsystem« zu umgehen, das die Muslime zur »leichten Beute der Juden und Kreuzfahrer« gemacht habe, will der »Islamische Staat« (IS) Münzen prägen. Die neue Währung soll »auf dem inhärenten Wert der Metalle Gold und Silber basieren«. Ob der IS über genügend Edelmetalle verfügt, ist unklar. Doch in ideologischer Hinsicht ist der Plan von Bedeutung, und dies nicht nur, weil es sich um die erste bedeutende Maßnahme handelt, die nicht direkt mit islamistischem Terror verbunden ist.
Auf die Sharia kann sich der IS hier schwerlich berufen. Die traditionelle islamische Rechtslehre untersagt die Zinsnahme und den Handel mit verboteten Waren wie Alkohol, ist aber ansonsten um die Förderung des Geschäftslebens bemüht, hat gegen den sakk (Scheck) nichts einzuwenden und kennt keine Vorschrift zur Währungsdeckung. In ihrem Glauben, eine Währung müsse auf Edelmetallen basieren, stimmen die Jihadisten vielmehr mit diversen nichtislamistischen rechten Gruppen und Bewegungen überein.
Die ideologische Patin im Westen ist Ayn Rand, eine in rechtslibertären Kreisen sehr beliebte Autorin, die 1957 in ihrem marktextremistischen Roman »Atlas Shrugged« den Golddollar propagierte. Populärer noch ist die Forderung nach der Rückkehr zum Goldstandard, der garantiert, dass Papiergeld jederzeit in Gold umgetauscht werden kann. Utah und Arizona haben Gold- und Silbermünzen bereits als Parallelwährung zugelassen, die Schweizer stimmen am 30. November über die Initiative »Rettet unser Schweizer Gold« ab. In der islamischen Welt setzte sich unter anderem Mahathir Mohammed, der ehemalige Ministerpräsident Malaysias, für den Golddinar als Währung für den internationalen Handel ein.
Nicht jeder Befürworter einer goldbasierten Währung glaubt wie Mahathir, dass die Juden »die Kontrolle über die mächtigsten Staaten der Welt gewonnen« haben. Doch die Vorstellung, das undurchschaubare Geld müsse an »etwas Reales« wie Gold zumindest gekoppelt werden, ist häufig mit antisemitischen Verschwörungstheorien verknüpft. Zwangsläufig geht sie mit reaktionärer Romantik und dem Wunsch nach klareren und einfacheren Verhältnissen einher. Klare Verhältnisse hat der IS ohne Zweifel geschaffen. Alle Menschen in seinem Herrschaftsgebiet wissen, wofür sie belohnt und wofür sie bestraft werden. Bürokratische Kontrolle wurde durch persönliche Herrschaft ersetzt, nicht nur bei der Bestrafung für »unislamisches« Verhalten, sondern auch im Wirtschaftsleben.
Hier folgt der IS dem bereits etablierten Modell des mobilen Terrorkonzerns, der von einem Warlord geführt wird. Das Geschäftsmodell basiert meist auf dem Verkauf eines lukrativen Produkts wie Opium im Fall der afghanischen Warlords, doch werden alle Einnahmequellen erschlossen, die sich bieten. Die Abschöpfung des gesellschaftlichen Mehrprodukts erfolgt direkt, Bewaffnete treiben die Abgaben an Straßensperren oder an der Haustür ein. Die Kontrolle über ein Territorium ist dafür unerlässlich, doch kann ein Terrorkonzern sein Herrschaftsgebiet verlagern, wenn ein militärisch stärkerer Feind dies erzwingt.
Im Hinblick auf die Herrschaftsform handelt es sich um ein neofeudales System, das den Staatsapparat durch persönliche Loyalität ersetzt. Das gilt auch für ideologisierte Gruppen wie den IS, dessen Untertanen auf den Kalifen und nicht auf ein Staatskonzept oder eine Koraninterpretation eingeschworen wurden. Bedeutsam ist allerdings weniger die Person des Anführers als die straffe Hierarchie. Kalif Ibrahim benötigt kein Charisma, es genügt, dass alle um seine Macht und seine Führungsposition wissen.
Ein auf persönlicher Loyalität aufgebautes System ist besonders anfällig für Spaltung und Korruption. Die ständige Drohung mit Gewalt ist daher unerlässlich, der IS folgt aber auch der schon für al-Qaida nachweisbaren Tradition penibler Buchführung, um seine Kämpfer zu kontrollieren. Dies stellte die Süddeutsche Zeitung fest, die kürzlich Einblick in von der irakischen Regierung beschlagnahmtes Material des IS erhielt. Nachweisbar ist auch die Fürsorge für die Kämpfer und im Todesfall deren Angehörige. Beim IS wird nach Leistung entlohnt und es gibt betriebsinternen Wettbewerb, die Führung vergab einen Preis für die beste regionale Propaganda­abteilung.

Der Hang zum Archaischen, den der IS unter anderem mit Enthauptungen zelebriert, und die vermeintliche Bodenständigkeit sind Propaganda. Kalif Ibrahim dürfte auch in Zukunft Lösegeld für Geiseln und Öleinnahmen in Dollar nicht verschmähen. Wie alle Warlords ist er auf den Weltmarkt angewiesen, zudem ist wohl keine Terrorgruppe so abhängig von der digitalen Globalisierung wie der IS, der einen historisch beispiellos hohen Anteil ausländischer Kämpfer rekrutiert hat. Doch profitieren die Jihadisten von der Aura reaktionärer Romantik.
Die Ideologisierung verschafft dem IS bei der Finanzierung durch Spenden und der Rekrutierung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Warlords etwa im Kongo, die ihren Kampf nur mit der angeblichen Repräsentanz einer Bevölkerungsgruppe rechtfertigen, von der außerhalb des Landes kaum jemand etwas gehört hat. Der Aufbau von Terrorkonzernen muss aber auch jenseits des IS als ökonomisches und politisches Phänomen ernst genommen werden. »Stateless in Somalia, and Loving It« titelte das rechtslibertäre Ludwig von Mises Institute – in Kreisen, denen der Kampf gegen big government über alles geht, findet die Rückkehr zur persönlichen, vermeintlich weniger repressiven Herrschaft Zustimmung. Und es muss ja nicht gleich eine Sklavin sein, aber die Rückkehr zum nicht hinterfragten Patriarchat, die ein neofeudales System mit sich bringt, hat viele Sympathisanten. Weit verbreitet ist auch die Ansicht, man müsse kulturelle Besonderheiten wie den Hang zu ethnischen Säuberungen achten. Die Warlordisierung bedient Ressentiments, die nicht nur Islamisten hegen.
Erstaunlich ist die Gleichgültigkeit, mit der die Warlordisieruung von der »internationalen Gemeinschaft« hingenommen wird. In Somalia gibt sie nicht einmal mehr vor, sich ernsthaft um eine politische Lösung zu bemühen, auch die jüngsten Massaker im Kongo finden kaum Beachtung. Warlords können sogar mit staatlicher Herrschaft koexistieren, wenn ihre Aktivitäten geduldet werden – ob aufgrund von Korruption wie in Mexiko, aus politischem Interesse wie in Pakistan oder aus beiden Gründen wie in Nigeria.

Scheinbar paradox begann diese Entwicklung mit der Vollendung der Globalisierung, dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten. Fast die gesamte Welt stand nun der Kapitalverwertung offen, doch statt eifrig zu investieren, schrieb man viele Gebiete als unprofitabel ab. In der Kolonialzeit mussten auch ökonomisch un­interessante Gebiete erobert werden, damit nicht ein konkurrierender Staat dies tat. Auch in der Epoche des Kalten Kriegs wurden Leerstellen nicht geduldet, jede Regierung sollte sich einem der beiden Blöcke zuordnen. Da dies in Somalia nach 1991 keine Bürgerkriegspartei mehr tun konnte, war das Ergebnis der Kämpfe nicht mehr von Bedeutung. Weil mit dem Zerfall der Sowjetunion der Interventionsgrund entfallen war, verloren die USA das Interesse an Afghanistan.
Halbherzige Interventionen sollen seitdem zwar in Bürgerkriegsgebieten die Bedingungen für eine geregelte kapitalistische Geschäftstätigkeit wiederherstellen, als Strategie zur Stabilisierung gilt aber die Integration der Machthaber, also der Warlords. Bestenfalls werden so die Verhältnisse, die zur Eskalation führten, konserviert, meist aber gelingt nicht einmal eine oberflächliche Befriedung. Das Desinteresse konnte bis vor kurzem als kapitalistische Realpolitik betrachtet werden. Warlords füllten zunächst die Lücke, die das mangelnde Interesse der etablierten Geschäftswelt an peripheren Gebieten hinterließ. Terrorkonzerne produzieren weniger effizient als transnationale Unternehmen, verfügen jedoch über noch billigere Arbeitskräfte, die etwa im Kongo das Coltan für jedes zehnte Handy schürfen. Mittlerweile sind mit dem Irak und Libyen aber zwei wichtige Ölproduzenten betroffen. Die Jihadisten sind zudem ambitionierter als gewöhnliche Warlords, deren Aktionsradius meist durch das Siedlungsgebiet der von ihnen beherrschten Bevölkerungsgruppe begrenzt wird.

Dennoch wird der Zerfall Libyens kaum beachtet, im Kampf gegen den IS gönnt sich die US-Regierung großzügige Zeitpläne, da keine amerikanischen Kampftruppen eingesetzt werden sollen und gänzlich unklar ist, wie die irakische Armee reorganisiert werden kann. Auch im Irak begnügte man sich mit oberflächlicher Befriedung, deren Garant die Präsenz der US-Truppen war. Das nation building betraf allein die Institutionen, nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, so dass die neuen Machthaber fast unbehindert die Konfessionalisierung der Konflikte betreiben konnten. Den westlichen Regierungen fehlt ein Demokratisierungskonzept, das sich vor allem auf Frauen, Gewerkschafter und Angehörige der urbanen Mittelschicht stützen müsste – jene, die während der arabischen Revolten zu Millionen auf die Straßen gingen, aber wieder weitgehend marginalisiert wurden.
Im Westen versteht man unter Globalisierung vornehmlich das möglichst unbehinderte Walten der Marktkräfte. Der Markt aber bewirkt die ­gesellschaftliche Integration offenkundig nicht mehr. Dass der Nationalstaat der notwendige Ordnungsrahmen für die kapitalistische Entwicklung ist, kümmert in einer wachsenden Zahl von Staaten die Führungsschichten nicht.
In ökonomischer Hinsicht ist die Warlordisierung eine Krisenerscheinung des Kapitalismus. Die Bourgeoisie hat die unangefochtene Kontrolle über die Welt, weiß aber so wenig mit ihr anzufangen, dass sie Terrorkonzernen einen Anteil überlässt. Staaten wie Russland und Saudi-Arabien nutzen die Warlordisierung zudem als Strategie der Außenpolitik. Von Freihandelspredigern und autoritären Herrschern ist nichts anderes zu erwarten, erschreckend ist hingegen die Schwäche der demokratischen Kräfte, vor allem in den von der Warlordisierung betroffenen Ländern, aber auch in der globalen Linken, wo in der Fixierung auf die US-Kriegspolitik die tatsächlichen Probleme meist nicht einmal zur Kenntnis genommen werden. In politischer Hinsicht ist die Warlordisierung daher eine Krisenerscheinung der globalisierten Gesellschaft, in der sich regressive Tendenzen wie die Sehnsucht nach archaischen Bewährungsproben und einfachen Verhältnissen verstärken.