Homophobie in Armenien

Staatsfeinde in Pink

In Armenien diffamiert eine regierungsnahe Zeitung Homosexuelle und ruft zu deren Ächtung auf.

Der Tag, an dem Romik Danial erfuhr, dass er vielleicht nie wieder in seine Heimatstadt Teheran zurückkehren kann, begann mit einem anonymen Anruf: »Es gibt da ein Problem. Sie sollten besser herkommen.« Mit diesen Worten lud ihn die Stimme am Telefon in die iranische Botschaft in Armeniens Hauptstadt Eriwan vor. Das war im Sommer, nur wenige Tage nachdem die Zeitung Iravunk in ihrer Ausgabe vom 9. Juli Romik Danial auf der Titelseite bloßgestellt hatte. »Ein Homo-Aktivist mit iranischer Staatsbürgerschaft hat uns gerade noch gefehlt«, lautete die Schlagzeile, daneben war das Konterfei des 30jährigen Iran-Armeniers abgebildet. Im Innenteil kolportierte das Blatt private Details aus Danials Leben und verhöhnte sein Engagement für die Rechte von Schwulen und Lesben in Armenien.
Erst habe er überlegt, zur Botschaft zu gehen. Doch seine Freunde konnten ihn davon abhalten. Er merkte: Das Problem, von dem der Anrufer sprach, war er selbst. »Auf dem Botschaftsgelände kann für deine Sicherheit niemand mehr garantieren«, sagt Danial. Er sitzt in einem Café vor einer Tasse grünen Tees und streicht sich über die angegrauten Koteletten. Manchmal sieht er einen an, als könne er selbst nicht glauben, dass eine solche Kampagne gegen ihn geführt wird.
Im Iran droht Homosexuellen die Todesstrafe, auch wenn sie Angehörige der christlich-armenischen Minderheit sind. Dort wollte Danial sein Doppelleben nicht länger ertragen. Er zog vor drei Jahren ins Nachbarland Armenien, in der Hoffnung auf mehr Freiheit. Seine Familie und Freunde im Iran wird er auf unbestimmte Zeit nicht mehr besuchen können: »Ich muss mir immer neue Ausreden einfallen lassen, warum ich nicht nach Hause kommen kann.«
Danial geriet im Frühjahr zusammen mit 59 anderen Personen ins Visier von Iravunk, weil er eine Frage stellte. Es geschah kurz nach dem Sieg der österreichischen Dragqueen Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest. Die Sängerin Anush Arshakjan, die mit ihrer Schwester Inga die Jury Armeniens für den Musikwettbewerb stellte, sagte in einem Interview mit der Zeitung Aravot über Conchita Wurst, sie finde »dieses Phänomen abstoßend, genauso wie psychisch kranke Menschen«. In einer Facebook-Konferenz stellten sich die Geschwister Arshakjan den Kommentaren armenischer User. Auch wenn sie sich später von Anushs Aussagen distanzierten, fanden ihre Ansichten über Conchita Wurst viel Zustimmung, es gab aber auch Kritik. Danials ironische Frage lautete: »Habt ihr denn kein Mitgefühl für Menschen, die psychisch krank sind?«

Für die Zeitung Iravunk war die Kritik ein Anzeichen für die Infiltrierung Armeniens durch vom Ausland gesteuerte »Schwulenpropagandisten«. Auf der Internet-Seite des Blattes veröffentlichte Chefredakteur Hovhannes Galadschjan am 17. Mai einen Artikel mit der Überschrift »Sie dienen den Interessen der internationalen Homosucht-Lobby: Die schwarze Liste der Feinde von Staat und Nation«. 60 Menschen zählte Galadschjan namentlich auf, einige von ihnen waren nicht einmal an der Facebook-Diskussion beteiligt. Er forderte, die gebrandmarkten Personen nicht mehr zu grüßen, sie aus dem Staatsdienst zu entlassen und sie nicht mehr in Privatbetrieben einzustellen. »Das Ziel des Schwulenlobbyismus ist klar: Die Zerstörung aller sozialen Normen und Regeln sowie die Einmischung in die Reproduktionsfähigkeit des Volkes«, schrieb Galadschjan. In den folgenden Wochen veröffentlichte die Zeitung in jeder Ausgabe einen Artikel, der eine Person auf der »schwarzen Liste« diffamierte. Romik Danial war eine von ihnen. Im Gespräch mit der Jungle World sagt Galadschjan, er sehe die »Verteidigung unserer nationalen Identität« als den publizistischen Auftrag von Iravunk. Die Freiheit des sexuellen Verhaltens sei nun mal kein Teil davon. Mitleid mit Danial habe er nicht: »Als iranischer Staatsbürger muss er sich auch im Ausland an die Gesetze des Landes halten.«
»Die Zeitung wollte einen Skandal und hat nur nach einem Grund gesucht, um uns zu attackieren«, sagt Mamikon Sevsopjan. Er ist Mitglied bei Pink (Public Information and Need of Knowledge), ein Verein, der um Toleranz für sexuelle Minderheiten wirbt. Iravunk habe nur noch eine geringe Auflage und werde von jungen Menschen kaum gelesen, sagt Sevsopjan. Der Grundtenor der Berichterstattung sei aber wie der vieler Mainstream-Medien in Armenien: »Immer wenn das Land Probleme bekommt, wie etwa die Erhöhung des Gaspreises, versuchen Medien und Politik Minderheiten zum Sündenbock zu erklären.«

Trotz ihrer geringen Reichweite habe die Zeitung einen gewissen Einfluss, meint er. Im Vorstand des Iravunk-Media-Verlags sitzt Hayk Babukhanyan, Abgeordneter der regierenden Republikanischen Partei. Die Berichterstattung sei in den vergangenen Jahren immer regierungsnäher geworden. So besuchte Armeniens Präsident Sersch Sargsjan am 25. Oktober die Feiern zum 25jährigen Jubiläum von Iravunk und überreichte Mitgliedern der Zeitung Ehrenmedaillen. »Damit zeigte der Präsident, dass er Homophobie und Intoleranz unterstützt«, sagt Sevsopjan.
Nur wenige Tage später wurde ein Verleumdungsprozess gegen Iravunk zu Gunsten des Blattes entschieden. 16 Personen auf der »schwarzen Liste« hatten eine Sammelklage eingereicht, sie forderten eine finanzielle Entschädigung und eine Entschuldigung der Zeitung. Das Gericht in Eriwan entschied jedoch, dass die Artikel von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Pink-Aktivist Sevsopjan sagt, die Kläger wollten in Berufung gehen und notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Auch Romik Danial will die Zeitung verklagen und eine Entschuldigung erzwingen. »Aber eigentlich ist es egal, wie es ausgeht«, sagt er. Denn ein sicheres Leben im Iran ist für ihn vorerst unmöglich.