Unbeugsames Ich

Ist Fatou eine Sklavin? Sie arbeitet sechs Tage in der Woche bei einer Familie in London – ohne Lohn. Sie hat ihren Pass am Ende ihrer Reise von der Côte de Ivoire über Ghana, Libyen und Italien nicht mehr zu Gesicht bekommen. Die drei Kinder der Familie behandeln sie ohne jeglichen Respekt. Doch nein, sie sei keine Sklavin, findet Fatou. Denn sie wird, abgesehen von gelegentlichen Ohrfeigen, nicht verprügelt, sie spricht die Landessprache und darf das Haus verlassen. Einmal pro Woche geht sie sogar in einem Health Club schwimmen, wenn auch nur heimlich, mit entwendeten Gästekarten der Familie.
Die zuerst im New Yorker veröffentlichte Kurzgeschichte von Zadie Smith, die eher einer Novelle gleicht und nun in einer zweisprachigen Version bei Kiwi erschienen ist, spielt wie viele ihrer Romane im Londoner Stadtteil Willesden. Die Bewohnerin eines Altersheims, die Fatou ebenso beobachtet wie das unablässige Badmintonspiel hinter den Mauern der kambodschanischen Botschaft, nimmt die voyeuristische bis indifferente Haltung des Westens gegenüber dem Elend vermeintlicher Wirtschaftsflüchtlinge ein. Trotzdem wird Fatou, die dem »Wir« der westlichen Gesellschaft ein unbeugsames »Ich« gegenüberstellt, von Smith nicht als handlungsunfähiges Opfer gezeichnet. Sondern als ungebrochene, wissbegierige Persönlichkeit, deren Geschichte man gerne auf Romanlänge erfahren hätte.

Zadie Smith: Die Botschaft von Kambodscha. Aus dem Englischen von Tanja Handels. Kiwi, Köln 2014, 128 Seiten, 7,99 Euro