Die 7. Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft

Die bröseligen Briketts des Spätkapitalismus

Eine Tagung beschäftigte sich mit der Ökonomie im Werk von Peter Hacks.

Die »Wörter Kommunismus und Verzicht dürfen nicht in einen Satz«, schrieb der Dramatiker und Dichter Peter Hacks. »Die kommunistische Gleichheit darf nicht von oben her, sie kann nur von unten her eintreten. Sie entledigt sich der Armen, niemals der Reichen. Immer mehr und immer wertvollere Güter werden verschenkt«, fährt er fort. Der Ökonomie im Werk von Peter Hacks widmete sich unter dem Titel »Reiche Gleichheit« die 7.  Wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft. Für Hacks bestand eine Bedingung von Gleichheit in der Steigerung der Produktivität, der Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums. Sahra Wagenknecht, die mit Hacks persönlich bekannt war und mit dessen Werk vertraut ist, sagte während der Podiumsdiskussion, die kapitalistische Produktionsweise bewirke, dass die Herstellung von Gleichheit nicht die Verteilung von Armut zur Folge hätte. Die Kernfrage, so Wagenknecht weiter, sei die des Eigentums an Produktionsmitteln. Die Aufhebung des Privateigentums schaffe die Bedingungen für die Emanzipation der menschlichen Sinne und Fähigkeiten, argumentierte schon Marx. Die gegenwärtige Ordnung hat, so betrachtet, zur Emanzipation der menschlichen Gattung nicht mehr viel beizutragen. Zudem sei der Kapitalismus seit den siebziger Jahren in einer Krise, deren Auswirkung für viele Menschen in einer gewaltvollen Trennung vom gesellschaftlichen Reichtum bestehe. Doch zwischen Krise und Revolution gebe es keine Kausalbeziehung; letztere müsse politisch erreicht werden, so Wagenknecht.

Bei Hacks gibt es sehr aufschlussreiche Bemerkungen über das Verhältnis von Reichtum und Elend in der kapitalistischen Produktion. Er schreibt im Jahre 1970: »Im Spätkapitalismus wird aus den falschen Gründen und demzufolge auf die falsche Weise produziert und konsumiert. Statt mit den wesentlich humaneren Kategorien Leistung und Konsum lebt der abendländische Mensch mit den Kategorien Ramsch und Reklame. Kurz, worüber ich mich beklage, ist das Herunterkommen des Warenbegriffs.« Die Analyse erinnert an die sechs Jahre später in der »Theorie des Gebrauchswerts« von Wolfgang Pohrt im Anschluss an Theodor W. Adorno formulierten Gedanken. Pohrt schreibt, dass die Produktion in eine Phase eingetreten sei, in der ihre Steigerung die Zerstörung des Gebrauchswerts zur Folge habe: »Übrig bleibt am Ende die widerspruchsfreie Produktion von einfachem Schund.« Die Analyse des Monopolisierung der Wirtschaft lässt wiederum Hacks formulieren, dass die »Schande der Ausbeutung um die Schande des Betrugs« erweitert, die Herrschaft zum Selbstzweck werde. »Wer den Verstand verloren hat, ist einzig und allein die ökonomische Umwelt«, urteilt Hacks und sagt: »Wenn ich mich berechtig fühlen darf, ihnen einen Rat zu geben, wäre es der, sich über den Gebrauchswert der monopolkapitalistischen Ordnung ein paar unfreundliche Gedanken zu machen.« Ausführlich schreibt Hacks über Ökonomie und Kunstproduktion in seinem Essay »Schöne Wirtschaft« von 1987.

Die Ökonomie wird auch in zahlreichen dramatischen Texten von Hacks behandelt – unter anderem in »Die Binsen« (1981) oder »Der Geldgott« (1991). Vielfältiges Interesse zog das Stück »Die Sorgen und die Macht« auf sich. Das Drama, das 1962 am Deutschen Theater in Berlin Premiere feierte, ist ein sogenanntes Produktionsstück. Hacks besuchte 1958 vier Wochen lang ein Braunkohlewerk. In »Die Sorgen und die Macht« wird geschildert, wie eine Brikettfabrik schlechte, aber viele Briketts produziert, den Plan mehr als erfüllt und die Arbeiter aufgrund der ausgezahlten Prämien reicher sind als die Arbeiterinnen der benachbarten Glasfabrik, die aufgrund der miserablen Briketts den Plan nicht erfüllen können. Die Liebe zu einer Arbeiterin der Glasfabrik bewegt einen jungen Brikettier, sich für die Verbesserung der Qualität im eigenen Betrieb einzusetzen; Liebe übt die Solidarität ein. Das Einzelinteresse beschränkt sich selbst zugunsten des allgemeinen Nutzens und wird aufgehoben, denn schlussendlich erweist sich, dass die Glasfabrik Kohle inzwischen aus einem anderen Betrieb bezieht.

Produktionsstücke waren bis in die sechziger Jahre in gewisser Weise typisch für die DDR-Dramatik. Geschildert wurden in realistischer Manier die Widersprüche einer sozialistischen Gesellschaft im Aufbau. Neben Hacks schrieben auch Heiner Müller und Volker Braun Stücke über die Produktion. Die Germanistin Leonore Krenzlin verglich auf der Tagung »Der Kipper Paul Bauch« von Volker Braun und »Der Bau« von Heiner Müller mit »Die Sorgen und die Macht« von Hacks. Bei Braun wird vor allem die Entfremdung des Menschen von der Arbeit und dessen Rebellion dagegen beschrieben. Im Drama ist zwar die Ausbeutung abgeschafft, nicht aber der entfremdete Charakter der Arbeit.

Auch bei Müller ist die Entfremdung der Arbeit keineswegs überwunden, er zeigt in seinem Stück nach der Romanvorlage »Spur der Steine« von Erik Neutsch eine Großbaustelle, die als Parabel für den Aufbau einer Gesellschaft dient. Das Drama beginnt mit der Frage des neuen Parteisekretärs: »Warum zertrümmert ihr das Fundament?« Es liegt am Plan, an der Bürokratie, dem Widerspruch zwischen zentraler Planung und den konkreten Bedingungen. Krenzlin wies darauf hin, dass der grundlegende Pessimismus bei Müller seinen Text zu dem aktuellsten der drei verglichenen mache. Dagegen erscheint Hacks’ Stück »Die Sorgen und die Macht« als heiterer Schwank. Die Entfremdung der Arbeit ist kein Problem, allein das Verhältnis von der Einzel- zur Gesamtproduktion ist von Interesse. Doch geht es auch um den Widerspruch zwischen Quantität und Qualität. So heißt es: »Und viel, viel, viel, schreit die Regierung, ders um Katarakte geht von Energie; sie murmelt auch von Qualität was, aber lobt dich für die Menge.«

Das Anreizsystem für die Produktion von Schrott in »Die Sorgen und die Macht« nahm der Dramaturg Bernd Stegemann zum Anlass, die mögliche Aktualität dieses Modells zu befragen: Wenn man, beispielsweise, die Probleme der sozialistischen Ökonomie auf die Monopolstellung der Banken im Spätkapitalismus übertrage, zeige sich, dass die Herstellung ­desolater Derivate und die bröseliger Briketts einander so fern nicht seien. Grundsätzlich sei es schwierig, ökonomische Prozesse auf der Bühne darzustellen, doch biete Hacks ein Modell der Darstellung und allein auf dieses Modell komme es an. Von allzu plumpen Übertragungen in die Welt der Finanzindustrie solle eher Abstand genommen werden, so Stegemann.

Über das Mehrprodukt als geschichtsbildende Kraft, den Reichtum als qualitative Kategorie und das bürgerliche Individuum zwischen ökonomischen Kalkül und Wahnsinn – von »Robinson Crusoe« bis »Moby-Dick« – sprach Dietmar Dath. Er bemerkte, dass mit der Zunahme des gesellschaftlichen Mehrprodukts die Möglichkeit der Verringerung von Hierarchien gegeben ist. Auch Hacks sah zweifellos in der Lösung ökonomischer Probleme die Lösung weitergehender menschlicher Probleme. In seiner Komödie »Numa« heißt es: »Wir sind also gezwungen, eine unermessliche Menge von Gütern zu erzeugen; der Durst nach Vorrecht kann nicht anders getötet werden als ersäuft im Überfluss. Gleicher Reichtum also, reiche Gleichheit.«