Berlin Beatet Bestes. Folge 267

Der Teufel wirft die Bälle

Berlin Beatet Bestes. Folge 267. Higher Ground Vol.1 (2014).

Radikal antireligiöse Menschen sind mir irgendwie suspekt. Als Reaktion auf eine einengende religiöse Erziehung oder Miss-brauchs­erfahrungen kann ich das vielleicht noch verstehen. Aber ansonsten finde ich antireligiösen Eifer doof. Er ist oft so maßlos in seiner Selbstherrlichkeit. Anstatt die Menschen zu lieben, wie es die christliche Religion vorgibt, oder gar zu fürchten und zu verachten, verherrlichen Atheisten und Agnostiker sie. Beide verherrlichen sich selbst, indem sie sich zum Maß aller Dinge machen. Gene Kelly stellt diesen fortschrittlichen, aber letzlich selbstgerechten Typus hervorragend in Stanley Kramers Gerichtsfilmklassiker »Wer den Wind sät« (1960) dar. In der Schlussszene haut Verteidiger Henry Drummond, gespielt von Spencer Tracy, der gerade einen Prozess gegen christliche Fundamentalisten gewonnen hat, die verhindern wollten, dass ein Lehrer Darwins Evolutionstheorie lehrt, dem von Kelly gespielten Reporter seinen Zynismus um die Ohren: »Sie grinsen selbstgefällig über alles, was Menschen fühlen, was sie sich wünschen und wonach sie streben. Sie tun mir leid.« Im Unterschied zu dem glatten Journalisten verachtet der Anwalt seine Gegner – die bibel-treuen Christen – nicht.
Ohne Religion und Kirche gäbe es auch weniger Rituale. Wir hätten ohne die Religion nicht so würdevolle Friedhöfe. Moral gäbe es natürlich auch ohne die Kirche, aber die vielen Menschen, die aus Nächstenliebe anderen Menschen helfen und Gutes tun, die gäbe es vielleicht nicht. Ich persönlich bin nicht religiös erzogen worden und habe selbst nicht das geringste Bedürfnis nach Religion. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wieso Menschen glauben.
Warum ich dann über Religion schreibe? Weil diese Platte so toll ist! Es ist eine vollkommen mitreißende Gospelplatte. Du willst sofort anfangen zu glauben, wenn du sie hörst. Die frühe Jazz-Rezeption der fünfziger Jahre betrachtete Gospelmusik noch als feste Größe in der Jazz-Geschichte und somit auch im Pop. Die Aufnahmen auf dieser vom Beveringer Label Stack-O-Lee veröffentlichten 10’’ unterstreichen diese Bedeutung mit acht hervorragenden, ordentlich rockenden Beispielen aus den fünfziger und sechziger Jahren. The Blind Boys of Alabama, The Chosen Gospel Singers, The Gospelaires – so und so ähnlich nannten sich die Gospelgruppen, die sich nicht scheuten, sich an den damals angesagten afroamerikanischen Trends des Rhythm & Blues und des Soul zu orientieren. Aber auch Humor kommt auf dieser Platte, deren Cover wie eine Devotionalie gestaltet ist, nicht zu kurz.
In den frühen fünfziger Jahren sang Sister Wynona Carr zunächst Gospel im Stil von Sister Rosetta Tharpe und schwenkte dann auf Rock ’ n’ Roll im Stil von LaVern Baker um. Der von Carr geschriebene Titel »The Ballgame« ist gespickt mit christlichen und mit Baseball-Metaphern. Jesus steht an der home plate. First base ist die Versuchung, second base ist die Sünde. Third base ist Trübsal. Salomon ist der Schiedsrichter. Der Teufel wirft die Bälle. Der Glaube ist der Fänger. Auf den kannst du dich verlassen.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.