Die Sonderrechte der Kirchen

Ehe oder Arbeit

Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass die Kirchen weiterhin inakzeptable Sonderrechte genießen.

Die These, dass Verfechter einer strengen Sexualmoral sich zwanghaft mit dem Sexualleben anderer befassen, wird von der Entlassungspraxis der katholischen Kirche bestätigt. Man könnte ja auch mal jemanden wegen Habgier, Hochmut oder einer anderen Todsünde feuern, aber es geht immer um das Sexualleben. So wie bei dem katholischen Chefarzt, der nach einer Scheidung erneut heiratete, deshalb entlassen wurde und dagegen klagte. Alle gerichtlichen Instanzen hatten ihm Recht gegeben, doch in der vorigen Woche urteilte das Bundesverfassungsgericht, das »kirchliche Selbstbestimmungsrecht« habe Vorrang.
Der Kirche wurde somit das Recht zugesprochen, ihren Mitarbeitern die Befolgung obskurantistischer Regeln aufzuerlegen, allerdings nicht unbeschränkt. »Die Entscheidung gibt uns Rechtssicherheit«, meint zwar der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki. Doch der Fall des Chefarztes wird an die Vorinstanz zurückverwiesen, die den »Vertrauensschutz« berücksichtigen, also klären muss, ob der Entlassene davon ausgehen konnte, dass die erneute Heirat nicht schlimmer bewertet wird als außerehelicher Sex. Auch die juristische Auseinandersetzung wird weitergehen. Gegen das katholische Recht steht hier unter anderem Artikel 6 des Grundgesetzes, der den besonderen Schutz der Ehe garantiert, und die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU.
Das Urteil basiert auf den Sonderrechten der Kirchen. Diesen sollte man wie den Medien als »Tendenzbetrieben« zwar Ausnehmeregeln in einem eng abgegrenzten Bereich zugestehen. So wie die Jungle World weiterhin das Recht haben muss, die Bewerbung eines Israel-Hassers im Papierkorb verschwinden zu lassen, darf die Kirche von ihren Geistlichen theologische Loyalität erwarten. In fast allen Fällen, die vor Arbeitsgerichten verhandelt werden, geht es jedoch um Angestellte im Sozialbereich und im Gesundheitssektor, die zwar den Kirchen unterstehen, aber in der Regel zu mehr als 90 Prozent öffentlich finanziert werden.
Der Umsatz kirchlicher Betriebe wird auf mehr als 125 Milliarden Euro geschätzt, sie beschäftigen 1,3 Millionen Menschen. Ihre Arbeitsweise unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der anderer Träger. Wie in deren Einrichtungen wird auch im Namen Gottes der Sparzwang exekutiert, doch ohne dass die Beschäftigten sich kollektiv wehren könnten. Ihnen sind Streiks untersagt – eine mittlerweile ebenfalls juristisch umstrittene Regelung. Welchen Vorschriften die Beschäftigten in ihrer Lebensführung und in religiöser Hinsicht folgen müssen, obliegt der Kirchenführung, oft eben dem lokalen Management. Auch die im Hinblick auf das Sexualleben ihrer Beschäftigten mittlerweile recht tolerante evangelische Kirche hält eisern an diesen Sonderrechten fest, die es erleichtern, die Mitarbeiter fügsam zu machen.
Die Kritik sollte daher vor allem der Gesetzgebung gelten. Wenn die Kirchen auf ihre Sonderrechte nicht verzichten, müssen ihre Betriebe in öffentlich-rechtliche oder genossenschaftliche Trägerschaft überführt werden. Doch in der Pfaffenrepublik Deutschland haben selbst in der Linkspartei Theologen Einfluss. Parlamentarische Initiativen sind nicht zu erwarten, und auch auf den DGB, der mittlerweile den 1. Mai gern zusammen mit dem Arbeitgeberverband Kirche feiert, kann man nicht zählen.