Die Winterpläne der Montagsmahnwachen und der Friedensbewegung

Frösteln unter Aluhüten

Anfangs distanzierte sich die traditionelle Friedensbewegung noch von den neurechten »Friedensmahnwachen« um die Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen und Jürgen Elsässer. Das hat sich mittlerweile geändert.

Die »Friedensmahnwachen« sind erlahmt. Angesichts der zuletzt geringen Teilnehmerzahlen blicken viele Organisatoren sorgenvoll auf den kommenden Winter. Wer hat schon Lust, sich bei Minusgraden stundenlang trübe Monologe auf dem Rathausplatz anzuhören? Da braucht es einen Motivationsschub, und der kommt in Form eines neuen Mottos: »Friedenswinter«.
Unter diesem Motto soll am 13. Dezember, neben einer Reihe anderer Aktionen, eine Antikriegs-Demonstration vor dem Schloss Bellevue in Berlin stattfinden. Die Liste der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner macht deutlich: Die neurechten »Mahnwachen« können auf Unterstützung großer Teile des traditionslinken Lagers setzen. Neben zwielichtigen Gestalten wie dem Radiomoderator Ken Jebsen alias KenFM stehen Bundestagsabgeordnete, Universitätsprofessoren, NGO-Vertreter und weitere Personen des öffentlichen Lebens auf der Liste. Dazu gehören etwa Elmar Altvater, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, der Liedermacher Konstantin Wecker, die Israel-Kritikerin Evelyn Hecht-Galinski, Gewerkschaftsvertreter und hohe Funktionäre von NGOs wie etwa der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK). Auch Peter Sodann, ehemaliger Kandidat der Linkspartei für das Amt des Bundespräsidenten, ist Unterzeichner.

Bis Mai 2015 soll der »Friedenswinter« dauern. Im Rahmen dieser Kampagne sind zahlreiche Aktionen, meist Demons­trationen, geplant. Auch einige Konferenzen soll es geben. Die Forderungen sind für Anhänger der »Mahnwachen« eher moderat. Die Begriffe »Chemtrails«, »Rothschild« und »BRD-GmbH« hat man vorsichtshalber aus dem Aufruf herausgelassen. Stattdessen wird eine Kooperation mit Russland gefordert, ein sofortiger und weltweiter Waffenstillstand sowie das Ende der Nato. Letztere bleibt zwar, zusammen mit USA, Deutschland und der »häufig tendenziöse(n) Berichterstattung in den Medien«, alleinschuldig an allem Schlechten in der Welt. Aber plötzlich lehnt man Rassismus und Faschismus »entschieden« ab. Das war mal anders.
Zum Selbstverständnis der »Mahnwachen« gehörte von Anfang an eine lagerübergreifende Kooperation. »Wir sind nicht links, nicht rechts, wir sind vorne!« lautete das Credo. Und das bedeutet: Niemand wird ausgeschlossen. »Ich bin Na­tionalsozialist«, stellte sich ein Redner vor einigen Monaten auf der »Mahnwache« in Bautzen vor. Dafür erntete er Applaus, während sein einziger Kritiker niedergebuht wurde. »Spaltung« sei sowas, und das sei ja genau das, was die Herrschenden wollten. So ging es eine ganze Weile, bis sich plötzlich einige vermeintlich Linke zusammenfanden und begannen, sich vom rechten Querfront-Strategen Jürgen Elsässer zu distanzieren. Elsässer ist mit seinem Verschwörungsheftchen Compact eine wichtige Identifikationsfigur für die Teilnehmer geworden. Er bindet vor allem das rechte Lager, die Neonazis, »Reichsbürger« und Antisemiten, an die Bewegung. In seinen Artikeln und Redebeiträgen hetzt er gegen Homosexuelle und »die Herren Rothschild«, in einem offenen Brief an die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe schrieb er, er finde sie »irgendwie sympathisch«. Er fehlt in der Unterstützerliste bislang.

Bei den Teilnehmern der »Mahnwachen« galt jegliche Distanzierung von rechtem Gedankengut bisher als feindliche »Spaltung«. Gefangen in den eigenen Verschwörungstheorien gingen viele Funktionäre, Teilnehmer und Sympathisanten immer wieder aufeinander los. Zum Beispiel als die von Rechten gekaperte klickstärkste deutsche Anonymous-Seite den Initiator der »Mahnwachen«, Lars Mährholz, beschuldigte, während eines USA-Aufenthalts vom amerikanischen Geheimdienst zum Agenten gemacht worden zu sein. Mährholz, der die »Mahnwachen« im März dieses Jahres ins Leben gerufen hatte, benehme sich seit seinem Aufenthalt irgendwie komisch, orakelten die vermeintlichen Anonymous-Aktivisten. Beweisaufnahme beendet, und da sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der »Mahnwachen« maßgeblich dadurch auszeichnen, jeden Mist, den sie im Internet lesen, zu glauben, zeigten sich erste Risse in der friedlichen Volksgemeinschaft. Elsässers Angriffe gegen die »Linken« unter den Teilnehmern der »Mahnwachen« – gemeint waren Leute wie der ehemalige Funk­tionär von Attac, Pedram Shahyar, der zusammen mit anderen »Promis« einen Ausschluss Elsässers forderte – taten ihr übriges dazu.
Nun scheint die Trennung in ein »linkes« und ein »rechtes« Lager vollzogen. Statt »Reichsbürgern«, NPD-Kadern und offenen Antisemiten scheint die traditionelle Friedensbewegung zum neuen Bündnispartner für das Gros der Bewegung geworden zu sein. Dazu passt, dass diese sich ohnehin mehrheitlich »links« verortet. Das heißt natürlich nicht, dass plötzlich Individualismus und Aufklärung Einzug halten.
Denn zum einen sind auch die vermeintlich linken Anhänger erzreaktionär. Das beginnt bei einem obsessiven Antiamerikanismus und einem Israel-Hass, der die Grenze zum Antisemitismus überschreitet. Dazu kommt eine Treue zu Putin, bei der jeder Satz des russischen Staatssenders Russia Today zur heiligen Wahrheit wird. Auch sind die »Truther«, also die Hardcore-Verschwörungstheoretiker aus der sogenannten Wahrheitsbewegung, dort fest verankert. Damit bleiben »Chemtrails«, »9/11 – Inside Job« und Impfgegnerschaft Teil des Themenkatalogs. Zum anderen gehört auch die alte Friedensbewegung zu der Fraktion, die Linke nicht mit der Kneifzange anfassen sollten. Die linksnationalistische Tageszeitung Junge Welt zitierte vorige Woche in einem Artikel Monty Schädel, den politischen Geschäftsführer der DFG-VK: »Die Diskussion um Antisemitismus und Verschwörungstheorien bei den Mahnwachen gab es bei uns ebenfalls.« Ende der Durchsage, den Kampagnenaufruf hat die DFG-VK unterschrieben. Eine Begründung bleibt aus. Es gibt zwar Antisemiten, aber wenn’s dem Frieden dient …

Die neue Fusion schafft eine Win-Win-Situation für die beteiligten Lager. Die alte Friedensbewegung besteht mittlerweile mehrheitlich aus Männern im Rentenalter, die zahlenmäßig wohl keine Menschenkette um das Brandenburger Tor mehr zusammenbringen würden. Und die Anhänger der »neuen« Friedensbewegung, von Kritikern wegen ihres Verfolgungswahns liebevoll »Aluhüte« genannt, brauchen dringend neuen ideologischen Kitt, um die Schäfchen auch in der kalten Jahreszeit beisammen zu halten. Und so wird man wohl schon bald Elmar Altvater, Ken Jebsen, Sahra Wagenknecht, Lars Mährholz und Konstantin Wecker dabei beobachten können, wie sie gemeinsam bibbernd Impulsreferaten über die Unfehlbarkeit Putins und die neuesten Völkermorde Israels an den Palästinensern lauschen. Scheitert der »Friedenswinter«, könnte es damit im nächsten Jahr allerdings vorbei sein.