Streit um den Zwarten Piet in den Niederlanden

Piet soll bunter werden

Der schwarz geschminkte Helfer des niederländischen Nikolaus gilt Kritikern als rassistische Karikatur. Aber die Traditionalisten wollen am Weihnachtsbrauchtum festhalten.

Frage: Haben schwarz geschminkte Gesichter, wulstige, rote Lippen und Afro-Perücken etwas mit Kolonialismus und Sklaverei zu tun? Besitzen solche Accessoires, wenn sie von weißen Europäern zu brauchtümlichen Zwecken zur Schau gestellt werden, diskriminierendes Potential? Sind sie Stereotype, und wenn ja, negative? Die Antwort: natürlich nicht. Sie gehören zum Zwarte Piet, einem traditionellen Protagonisten des überaus beliebten niederländischen Sinterklaas-Fests. Der Sint ist der Freund und Liebling aller Kinder, und seine Pieten, seine zahlreichen tollpatschigen Sidekicks, werden ebenfalls sehnlich erwartet. Was also soll daran verkehrt sein?
Jahrelang reichten solche Feststellungen aus, um die Kritik antirassistischer Aktivisten an der Figur des Zwarte Piet vom Tisch zu fegen. Ob von ungläubigem Kopfschütteln und müdem Lächeln begleitet oder genervt zwischen Pfeffernüssen und Kakao hervorgestoßen – mit solchen Sätzen war stets gesagt, was zu sagen war. Manche machten sich noch die Mühe, zu beschwichtigen: »Es ist doch nur ein Kinderfest.« Anderen war selbst das zu viel. Ministerpräsident Mark Rutte etwa verkündete in einem Anflug von Fatalismus: »Zwarte Piet ist nun mal schwarz. Da kann ich nichts dran ändern.«
Doch inzwischen beschäftigen Sinterklaas und Zwarte Piet die niederländische Justiz, ebenso wie der traditionelle Umzug Mitte November, bei dem auch dieses Jahr wieder Hunderttausende Menschen die Straßen säumten. Im Juli 2014 befand ein Gericht in Amsterdam, die letztjährige Veranstaltung in der Hauptstadt hätte nicht genehmigt werden dürfen. Die Aufmachung des Piet sei verletztend. Im Berufungsverfahren kassierte das höchste Verwaltungsgericht in Den Haag nun das Urteil. Stadtverwaltungen, so die Begründung, seien nicht befugt, über inhaltliche Aspekte solcher Veranstaltungen zu entscheiden.
Im vergangenen Jahr nahm sich eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen des Themas an. Dass eine supranationale Instanz sich das beliebte Brauchtum vornahm, brachte das Fass zum Überlaufen. Das Gezeter ließ keinen Zweifel, dass empfindliche Punkte berührt worden waren: Tradition, Erinnerung an die Kindheit und zweifellos auch Identität, zumal in einer Gesellschaft, die aus ihrer turbulenten Mig­rationsdebatte vor allem eine Lehre gezogen hat: Dass man angeblich zu lange zu tolerant war.
Ein Ergebnis dieser Diskussionen ist auch der Hass auf »politische Korrektheit«. Als nichts anderes nämlich nimmt es das Gros der weißen Mehrheitsbevölkerung wahr, wenn etwa die Intitiative »Kick Out Zwarte Piet« die Abschaffung der Figur fordert. Man sieht darin ein willkürliches Diktat von »Piet-Hassern«, die darauf aus seien, der Mehrheit den Spaß zu verderben. Ihr Protest gilt als realitätsfern, wenn nicht gar als Angriff auf das gesellschaftliche Definitionsmonopol. Die Empörung darüber beruht auf dem Konsens, das »Kinderfest« sei nicht rassistisch gemeint. Und auf der Annahme, dass Traditionen mehr wiegen als, nun ja, politische Korrektheit.
Außerhalb dieser Übereinkunft lebt es sich alles andere als ungefährlich: Da gibt es den Anwalt Frank King, der die Kläger gegen den Sinterklaas-Einzug in Amsterdam juristisch beriet und sich nach Morddrohungen zurückgezogen hat. King, mit seinen Eltern einst aus der ehemaligen Kolonie Surinam in die Niederlande gezogen, bekam in einer Mail mitgeteilt, man solle ihn wie seine Vorfahren auf ein Sklavenschiff setzen. Für den Fernsehmoderator Quinsy Gario, einer der Exponenten der Anti-Piet-Bewegung, gehören Morddrohungen schon fast zur Sinterklaas-Folklore. Der Social-Media- Shitstorm, dem er auch in diesem Jahr ausgesetzt ist, wimmelt nur so von rassistischen Beleidigungen.
Jenseits von Sentimentalität und Drohgebärden jedoch zeichnet sich inzwischen ein Kompromiss ab, der, wie viele hoffen, den Streit beenden könnte: Zentraler Punkt ist die optische Veränderung von Piet, einhergehend mit sei­ner Umbenennung. In Schulen, Freizeitvereinen und Stadtversammlungen erwägt man seit Monaten, die Figur von ihren kolonialen Accessoires zu befreien. Man diskutiert Käsepieten, Honigwaffelpieten, bunte Pieten, weiße Pieten, Regenbogenpieten. Viele Politiker propagieren diesen Weg, und selbst die »Pietengilde«, eine Vereinigung leidenschaftlicher Lobbyisten für den Erhalt des Sinterklaas-Fests, signalisiert ihr Einverständnis mit dieser Anpassung.
An der Basis aber löst dieser Ansatz einen Aufschrei und neue Unsicherheit aus. Dies erfuhr im Oktober auch die Supermarktkette ­Albert Heijn. Auf die Ankündigung, dass die diesjährige Werbekampagne ohne Zwarte Piet auskommen müsse, erntete sie wütende Reaktionen bis hin zum Boykottaufruf. Und was die Unsicherheit betrifft, verfolgten Hunderttausende gebannt das »Sinterklaasjournaal«, eine tägliche Spezialsendung zur niederländischen fünften Jahreszeit, zugleich Leitmedium des jährlichen Hype. Die zentrale Frage: Welche Farben haben die Pieten?
Die Antwort ist ein Paradestück niederländischer Konsensdemokratie – Polderpiet, wenn man so will. Es begann mit schwarzen Helfern: »altmodisch gesellig«, so der von einem Schauspieler dargestellte Heilige, und ein lautes Aufatmen war im Land zu hören. Doch an den folgenden Abenden wurden nacheinander weiße und »Clown-Pieten« eingeführt. Was für ein Schachzug: populistisch angetäuscht, multikulturell vorbeigegangen! »Die Farbe von Piet ist nicht wichtig«, war die Botschaft. Angesichts der pädagogischen Funktion der Sendung eine klare Ansage. Beinahe hätte man es geahnt: Auch gegen das »Sinterklaasjournal« gab es als Folge einen Boykottaufruf beleidigter Traditionalisten.
Und wie das so ist in Phasen gesellschaftlicher Veränderung: Sicher ist plötzlich nichts und niemand mehr, nicht einmal Sinterklaas selbst. So macht in diesen Tagen ein Aushilfsnikolaus aus Pijnacker Schlagzeilen. Als Begleitung beim feierlichen Einzug in das Städtchen zwischen Rotterdam und Den Haag hatte er je einen blauen, einen grünen und einen lila Helfer auserkoren. Drei von 30, so das bescheidene Zugeständnis an die Kritiker – drei zu viel, so scheint es, denn der Mann, der die Feier in Pijnacker seit 20 Jahren organisiert, fand daraufhin ein anonymes Schreiben in seinem Briefkasten vor. Ein Messer verdiene er in seinen Rücken, der so schwach sei, dass er das ohnehin nicht mehr merke. Sinterklaas will an den bunten Helfern festhalten um nicht einzuknicken gegenüber »ein paar Idioten«. Danach aber überlegt er sein Ehrenamt an den Nagel zu hängen: »Der Spaß ist ein bisschen vorbei.«