Alte und neue Konfliktlinien im Nahen Osten

War da was?

Im neuen Nahen Osten spielen die Palästinenser und der israelisch-palästinensische Konflikt nicht mehr die Hauptrolle.

Wenn es eine politische Gruppierung gibt, die zu den großen Verlierern des »Arabischen Frühlings« zählt, dann sind es die Muslimbrüder und ihr palästinensischer, in Gaza regierender Zweig, die Hamas. Von den Hoffnungen, die sich die Hamas einmal machen konnte, als sie noch zu den Nutznießern der arabischen Aufstände zu zählen schien, ist nichts geblieben; seit voriger Woche stehen die Muslimbrüder nun auch einträchtig neben dem IS-»Kalifat« auf der Terrorliste der Vereinigten Arabischen Emirate. Vorbei die Zeiten, als man mit einem zum eigenen Lager gehörenden ägyptischen Präsidenten von der Zukunft träumen konnte. Bruder Mohammed Mursi sitzt im Knast und sein Nachfolger, ein General eher alter Schule, lässt gerade in bewährter Manier des alten Nahen Ostens eine Schneise durch dichtbesiedelte Wohngebiete sprengen, um eine Pufferzone zur Grenze nach Gaza anzulegen.
Neue Konfliktlinien, neue Akteure und veränderte Interessenlagen prägen einen neuen Nahen Osten, dessen Konturen immer deutlicher sichtbar werden. Die Hamas ist dabei wie der ganze israelisch-palästinensische Konflikt, dem sie ihre Prominenz verdankt, marginalisiert, auch mental. Der Angriff Israels auf den Gaza-Streifen im Sommer hat das einmal mehr beweisen. Die mediale Aufmerksamkeit ziehen die PR-Profis des IS auf sich und aus Gaza melden sich auch schon erste Anhänger des »Kalifen«. Und so ist allerorten von Alawiten, Kurden und Yeziden die Rede, von Schiiten und Sunniten, aber kaum noch von Palästinensern. Nur wenn kurzzeitig Bilder von bösen Israelis und ihren Opfern hochschwappen, findet sich noch ein hasserfüllter Mob in europäischen Städten zusammen, der so die eigenen Widersprüche übertünchen kann und dankbar die Wiederkehr des alten Nahen Ostens zelebriert.
Terroranschläge wie die Todesfahrt eines Hamas-Mitglieds über eine Straßenbahnhaltestelle in Jerusalem im Oktober sind, etwas zynisch gesprochen, wie ein Schrei nach Aufmerksamkeit; es geht darum, den großen Zentralkonflikt des alten Nahen Ostens wieder zu befeuern, woran die wichtigen regionalen Akteure aber gerade kein Interesse haben. Der Konflikt um Israel und Palästina liegt nun quer zu den übrigen Kampffronten der Region: Saudi-Arabien, Jordanien und Israel haben gemeinsame Interessen und kooperieren längst im Süden Syriens, wo nicht zufällig Rebellengruppen auf einem stetigen Vormarsch sind, die nicht wie im Rest des Landes von Jihadisten dominiert werden. Im größeren regionalen Kontext eint diese Länder die Gegnerschaft zum Iran und die Auseinandersetzung mit dem Rückzug der USA. Es sind ja nicht nur die Israelis, die in Washington mittlerweile regelmäßig düpiert werden, sondern auch die Saudis. Präsident Barack Obamas diverse Nahost-Initiativen sind so schnell vergessen wie angekündigt.
Dasselbe gilt für die Politik der EU. Wieder einmal meldeten sich gerade »die Europäer« zu Wort, diesmal die europäischen Sozialdemokraten. Ihr Fraktionsvorsitzender im EU-Parlament, Gianni Pittella, hat gerade der Welt erzählt, die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini werde »die EU zu einem führenden Akteur in der Region machen«. Nachdem alle Beteiligten einmal laut gelacht haben, tritt wieder die Realität in ihr Recht. Und das heißt: Akteure wie die Hamas werden nun wieder verstärkt auf Terror setzen, das bedingt die Aufmerksamkeitsökonomie. Doch der alte Nahe Osten wird nicht wiederkommen; eine gute Nachricht ist das trotzdem nicht.