Die verdeckte Ermittlerin Iris P. und die Rote Flora in Hamburg

Auszeit für den Spitzel

Die Enttarnung einer verdeckt ermittelnden Staatschutzbeamtin in Hamburgs ­radikaler Linker deckt auch Rechtsbrüche der verantwortlichen Behörden auf.

Von wegen »Iris Schneider« – im Nachhinein wurde die vermeintliche Linke als Ermittlerin enttarnt, die Hamburgs linke Szene jahrelang bespitzelt hatte. Eine Aktivistin der Roten Flora erkannte die mittlerweile unverdeckt als Polizistin für das Landeskriminalamt (LKA), Abteilung 7, Staatsschutz, arbeitende Iris P. im November 2013 auf einer Veranstaltung zur Prävention islamistischer Betätigung von Jugendlichen. Ein Jahr lang trug eine autonome Recherchegruppe daraufhin Informationen über Iris P. zusammen, die inklusive Adresse und Foto am 3. November auf einem eigens eingerichteten Blog veröffentlicht wurden.

Insbesondere in der Roten Flora als exponiertem Raum für radikale linke Politik und Kultur gehen viele davon aus, dass immer mindestens zwei Spitzel, V-Leute oder verdeckte Polizisten auf das Haus und die Besucher angesetzt sind. »Ihr Abzug aus der Szene als verdeckte Ermittlerin 2006 mit der vermeintlichen Auszeit im Ausland erfolgte geradezu wie aus dem Bilderbuch«, sagt Floriana Rossa über den Fall Iris P. »Dieses Ausstiegsszenario haben wir schon zur Genüge erlebt, das ist nicht das erste Mal. Vor allem, wenn danach im Zeitalter von Internet und Facebook plötzlich konsequent jeder soziale Kontakt abgebrochen wird. Da weiß man dann schon, dass etwas faul ist.« Die Sache sorgte über die Rote Flora hinaus für Empörung. Denn die verdeckte Ermittlerin ging auch zwei längere Liebesbeziehungen ein, erschlich sich Zugang zu Wohnungen und forschte das Privatleben von Linken aus.
Mitte November stellten zwei Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft schriftlich Kleine Anfragen zum Einsatz von Iris P., nachdem die Innenbehörde sich geweigert hatte, Pressevertretern Auskünfte zu erteilen. Die beiden innenpolitischen Sprecherinnen der Fraktionen der Linkspartei und der Grünen, Christiane Schneider und Antje Möller, erhielten zuerst nur rudimentäre Antworten. Dies ging so weit, dass bei der Auskunftsverweigerung gegenüber Möller auf die entsprechende Ablehnung gegenüber Schneider verwiesen wurde: keine Auskunft, »siehe Drs. 20/13573«. Dort heißt es: »Keine Angaben zu ihrer operativen Tätigkeit«.
Erst auf die dritte Anfrage gab es am 28. November Antworten, die über das Eingeständnis des Einsatzes der verdeckten Ermittlerin sogar hinausgingen. Die Liebesbeziehungen werden nicht abgestritten, sondern bagatellisiert: »Das Eingehen auch privater Beziehungen unterschiedlicher Intensität gehört von vornherein zu dem Tätigwerden unter einer Legende im Sinne der §§ 110a, 110c Strafprozessordnung.« Im Übrigen sei die verdeckte Ermittlerin von 2002 bis 2006, bereits kurz nach Beginn ihres Einsatzes, für die Bundesanwaltschaft tätig gewesen, für die operative Führung sei das BKA zuständig gewesen.
Während das Hamburger LKA anlässlich des Mordes des Nationalsozialistischen Untergrunds an Süleyman Taşköprü allen Ernstes auch einen Wahrsager befragte, um die Tat aufzuklären, wurden rund um die Rote Flora also personen­bezogene Daten erhoben und politische Gruppen durchleuchtet – vermutlich unter Beugung der Rechtsvorschriften für den Einsatz verdeckter Ermittler. Mutmaßlich wurden Vorschriften für „nicht offen ermittelnde Polizeibeamte“ angewandt, die sich nur auf eine kurze Situation anwenden lassen, nicht aber auf einen längeren verdeckten Einsatz. So sagt etwa der Anwalt Ralf Ritter, der den ebenfalls betroffenen Sender FSK vertritt: »Die Antwort des Senats legt den Verdacht nahe, dass der Einsatz von Anfang an rechtswidrig war.«
Die Bespitzelung wurde mit dem Verdacht der »Bildung einer terroristischen Vereinigung« nach Paragraph 129a des Strafgesetzbuchs begründet. Der 2002 amtierende Generalbundesanwalt Kay Nehm ordnete damals häufiger politisch motivierte Sachbeschädigungen als »Terror« ein, um örtliche Ermittlungen an sich zu ziehen und die Ausforschung der linken Szene anzuordnen.
»Die Rechtsgrundlage, auf der der Einsatz der Ermittlerin zunächst fußte, kann keineswegs für einen solchen Einsatz herangezogen werden«, sagt Christiane Schneider der Jungle World. »Das ist schlicht rechtswidrig.« Die Rechtspolitikerin betont: »Verdeckte Ermittlungen sind ein tiefer Eingriff in die Grundrechte, deswegen gibt es dafür spezielle Regelungen, die aber für den Einsatz zu Beginn explizit nicht angewandt wurden.« Auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen in der Bürgerschaft bleibt hartnäckig. »Die Hamburger Innenbehörde ist trotz der Abgabe der Ermittlerin an die Bundesanwaltschaft weiterhin in der Verantwortung«, so Antje Möller zur Jungle World.
Zudem arbeitete die verdeckte Ermittlerin von 2003 bis 2006 auch in Redaktionsgruppen des linken Hamburger Radiosenders FSK mit. »Ein schwerwiegender Grundrechtsverstoß nach Ar­tikel 5 GG (›Rundfunkfreiheit‹), wenn polizeiliche oder andere staatliche Instanzen in dieser Weise in die Rundfunkfreiheit eingreifen«, konstatierten Hamburgs Verdi-Landesvorsitzender Berthold Bose und der Verdi-Fachbereichsleiter Medien, Martin Dieckmann, in einem ungewöhnlich harschen Brief an den SPD-Senat und die Bürgerschaftsfraktionen.

Regina Mühlhäuser kennt die getarnte Staatsschutzbeamtin aus ihrer Redaktionsgruppe »re(h)v(v)o(l)lte radio«: »Iris P. hat erstens die Redaktionsarbeit, zweitens die Struktur und Orga­nisation des FSK und drittens queerfeministische Strukturen in Hamburg ausgeforscht.« Mühlhäuser, lange auch Mitglied im Vorstand des Senders, sagt der Jungle World: »Es geht also um die Verletzung der Pressefreiheit, konkret des Redaktionsgeheimnisses, und um die Ausspähung queerfeministischer Lebensformen und Politiken.« Anwalt Ritter stellt fest: »Dadurch werden nicht nur der Quellenschutz und die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit untergraben. Beide sind Grundvoraussetzungen für die Presse- und Rundfunkfreiheit.« Ritter betont: »Es widerspricht auch der garantierten Staatsfreiheit des Rundfunks, wenn verdeckte Ermittler mittelbar oder direkt Einfluss auf redaktionelle Inhalte nehmen. Aufgrund des Einsatzes besteht ein Anspruch des Senders auf Akteneinsicht und auf Feststellung der Rechtswidrigkeit.«
In der damaligen politischen Konfrontation unter dem rechten Innensenator Ronald Schill veranlasste die Staatsanwaltschaft am 25. November 2003 die Durchsuchung der Redaktions- und Studioräume des FSK. Polizisten fertigten eine Grundrisszeichnung der Räumlichkeiten an und kopierten Adresslisten von Redaktionsmitgliedern. Etwa 300 Mitglieder hätten die 80 Redaktionsgruppen des FSK, schätzt Werner Pomrehn im Gespräch mit der Jungle World. »Das FSK ist darauf angewiesen, ein offenes Projekt zu sein.«

Jetzt erst recht offen bleiben, sich von der Polizei nicht in die Abschottung drängen lassen, so ist die Stimmung unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im neuen Transmitter, dem Programmheft des FSK, gibt es mehrere Texte zur Kritik der Bespitzelung. Am 13. Dezember soll wieder ein Einführungstreffen für alle Interessierten stattfinden, zum Konzept des freien Radios, zur Studiotechnik, zur Mitarbeit. Vier Tage vorher wollen Antje Möller und Christiane Schneider im Innenausschuss der Bürgerschaft unbequeme Fragen zum Einsatz von Iris P. stellen. Und Anwalt Ritter will bei der Bundesanwaltschaft Akteneinsicht verlangen.