Das Regime arbeitet weiter an der Fertigstellung der Bombe

Spiel auf Zeit

Das iranische Regime hat die Existenz seiner Atomanlagen immer erst eingestanden, wenn sie bereits enthüllt worden war. Dass weiterhin im Geheimen gearbeitet wird, kann daher als sicher gelten.

Es gibt gute Gründe, den einst mit Saddam Hussein verbündeten Nationalen Widerstandsrat des Iran nicht für die sympathischste unter den Oppositionsgruppen gegen das islamistische Regime zu halten. Dennoch kann der Organisation ein historisches Verdienst nicht abgesprochen werden. Sie enthüllte im August 2002 die Existenz iranischer Atomanlagen in Natanz und Arak, die das Regime der internationalen Atomenergiebehörde IAEA verschwiegen hatte.
Wäre der Iran ohne diese Enthüllung, auf deren Folgen das Sanktionsregime beruht, bereits im Besitz von Atomwaffen? Die offiziell deklarierte Menge an schwach angereichertem Uran genügt für die Produktion von vier bis fünf nuk­learen Sprengköpfen, ohne die Verlangsamung des Atomprogramms nach 2003 wäre mehr Material vorhanden. Sicher ist, dass das Regime das Prinzip der konventionellen Zündung eines Nuklearsprengsatzes beherrscht und über geeignete Trägerraketen verfügt. Unklar ist allein, ob die Tech­niker alle komplexen Herausforderungen, die sich im Detail beim Bau einer einsatz­fähigen Atomwaffe ergeben, schon gemeistert hätten.
Die IAEA hat nicht die Möglichkeit, eigene Nachforschungen über verborgene Atomanlagen anzustellen. Aufgrund der Erfahrungen in Nordkorea erstellte sie deshalb 1997 das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, das eine Erweiterung der Kontrollrechte beinhaltet. Der Iran hat das Zusatzprotokoll unterzeichnet, aber weder ratifiziert noch angewendet – und dies aus gutem Grund. Nach 2002 folgten weitere Enthüllungen, gefolgt von Eingeständnissen und Inspektionen der IAEA in einigen, Leugnen in anderen Fällen. Jenseits des inneren Kreises der iranischen Machthaber weiß niemand, wie weit das Atomprogramm bereits vorangeschritten ist.
So weist Olli Heinonen, ehemaliger Vizegeneraldirektor der IAEA, in seinem im November veröffentlichten Bericht »The Iranian Nuclear Program« darauf hin, dass »die IAEA bislang nicht in der Lage war, die Vollständigkeit der iranischen Angaben über nukleares Material zu bestätigen, auch die Gesamtzahl der im Iran hergestellten Zentrifugen bliebt unklar«.

Das erhoffte Entgegenkommen des Iran während des Verhandlungsprozesses blieb aus. Auf die bereits 2008 von der IAEA erhobene Forderung, Versuche mit einem für die Zündung von Atombomben geeigneten Sprengmechanismus zu erläutern, antwortete der Iran im April mit der schlichten Angabe, die Tests hätten zivilen Zwecken gedient. Zusätzliche Dokumente wurden im Mai vorgelegt, zufriedenstellend geklärt ist diese Frage jedoch nicht.
Die Militärbasis Parchin, wo der IAEA vorliegenden Informationen zufolge militärische Tests stattgefunden haben könnten, soll weiterhin unzugänglich bleiben. Robert Kelley, Atomwaffenexperte und Mitarbeiter des Friedensforschungs­instituts Sipri, meint, dass die Anlage in Parchin aus technischen Gründen ungeeignet für Nukleartests sei – zumindest gelte dies für das von der IAEA für verdächtig gehaltene Gebäude. Anfang November behauptete der Nationale Widerstandsrat des Iran, es gebe in Parchin ein zweites Gebäude für Tests. Durch Satellitenaufnahmen belegt ist, dass in Parchin umfangreiche Umbau­arbeiten stattgefunden haben, im Oktober kam es zu einer Explosion auf dem Gelände.

Der Westen hat bereits akzeptiert, dass der Iran ein nuklearer Schwellenstaat ist und will nun vor allem durchsetzen, dass eine möglichst lange Reaktionszeit bleibt, wenn das Regime offen den Atomwaffensperrvertrag bricht. Umfangreiche Kontrollrechte sind also unerlässlich – allerdings möglicherweise nicht ausreichend. Denn kontrolliert werden kann nur, wenn Informationen vorliegen. Die westlichen Geheimdienste haben in dieser Hinsicht versagt, und auch der Widerstandsrat weiß nicht alles. Als zivil deklarierte nukleare Forschungsinstitutionen und militärische Einrichtungen im Iran sind eng miteinander verbunden und tauschen Personal aus. Dass eine große Urananreicherungsanlage, die umfangreiche Bauarbeiten erfordert, unentdeckt bleibt, ist unwahrscheinlich. Unauffälligere Entwicklungsarbeiten wie die Konstruktion eines Raketensprengkopfes und Computersimulationen hingegen lassen sich leicht verbergen. Notwendig wäre daher eine Überwachung auch der nuklearen Forschungsabteilungen der Universitäten und anderer nur vermeintlich ziviler Institutionen.
Wenigstens auf der Anwendung des Zusatzprotokolls dürfte der Westen bestehen, doch sagte Anfang November Alaeddin Boroujerdi, der Vorsitzende des außen- und sicherheitspolitischen Ausschusses des Parlaments, es werde keine Ratifizierung geben. Auch andere Äußerungen aus den Reihen der Machthaber (siehe Seite 4) deuten darauf hin, dass nicht ein Vertragsabschluss, sondern ein möglichst langer Verhandlungsprozess das Ziel des Regimes ist. So kann die west­liche Strategie unterlaufen werden, denn die Weiterführung der geheimen Arbeiten verkürzt den Zeitraum zwischen einem offenen Bruch des Atomwaffensperrvertrags und der Fertigstellung der Bombe.