Berlin Beatet Bestes. Folge 269

Den Schutzmann verprügeln

Berlin Beatet Bestes. Folge 269. Leinemann: Piano Skiffle Rock (1972).

Gottfried Böttger saß 40 Jahre lang am Klavier und sah sie das Studio betreten: die Blümchens, DJ Bobos und Dieter Bohlens, die alle kamen, um ihre neuen Produkte zu bewerben. Und immer saß Gottfried nur in der Ecke, schaute zu und spielte am Ende ein bisschen Boogie Woogie. Über alle Moden hinweg blieb er dem Jazz genauso treu wie seiner Festanstellung bei Radio Bremen. Am 14. November ist der 64jährige Böttger als dienstältester Mitarbeiter der Talkshow »3 nach 9«, in Rente gegangen.
Ich sah »3 nach 9« schon als Kind regelmäßig, zusammen mit meinem Bruder und meiner Mutter. Bärtige, qualmende Köpfe vor braun-grauer Siebziger-Jahre-Kulisse, immer klimperte Gottfried Böttger hinten mit. Ohne dass ich es wusste, war er mir aber auch schon in Form einer Schallplatte begegnet. Irgendwie war die LP »Piano Skiffle Rock« von Gottfried Böttgers erster Gruppe Leinemann, erschienen 1972, in unsere Wohnung gelangt. Meine Mutter hatte sie bestimmt nicht angeschafft, denn bei uns zuhause regierten ansonsten Frank und Freddie. Die Jungs von Leinemann waren schon optisch meilenweit entfernt von Sinatra und Quinn. Auf dem Cover trägt Gottfried Böttger eine schwarze Lederhose zu schwarzer Lederjacke und hält einen schwarzen Hund an der Leine. Einer seiner Kollegen trägt einen langen schwarzen Ledermantel, ansonsten zeigt man sich selbstverständlich in Jeans, mit Bärten und schulterlangen Haare. Alle fünf stehen in einem Park, angelehnt an drei blattlose Bäume. Als Kind nahm ich an, sie würden im Hamburger Stadtpark stehen, aber natürlich kann es auch ein anderer Park gewesen sein. In den Stadtpark ging meine Mutter zwar mit uns auch immer, solche Typen hatte ich dort aber noch nie gesehen. Ich konnte mir auch kaum vorstellen, dass meine Mutter die Leinemänner gut gefunden hätte. Und nach Hause eingeladen hätte sie die seltsamen Gestalten sicherlich auch nicht. Irgendwie verunsicherten sie mich. Die Musik stand dabei in Kontrast zu ihrem Look. Es ist ein flotter, wenn auch unaufgeregter Stilmix aus Blues und Jazz-Traditionals, mit viel Waschbrett und Böttgers Boogie-Woogie-Piano – »­Piano Skiffle Rock« trifft es eigentlich ganz gut. Aber auch eine fetzige Version des Soul-Klassikers »Can I get a Witness« ist dabei. Das Stück, damals vom Songschreiber-Team Holland-Dozier-Holland für Marvin Gaye komponiert, hört sich an, als würde Mick Jagger zusammen mit einer Skiffle-Band spielen.
Hatten die Leinemänner 1969 als freche Retro-Rocker angefangen, entwickelten sie sich im Laufe der Jahre mehr und mehr in Richtung Schlager. Beispielsweise veröffentlichten sie 1982 mit »Treffpunkt Berlin« eine lustige Version von Dexy’s Midnight Runners »Come On Eileen«.
Auf »Piano Skiffle Rock« sind noch alle Titel auf englisch, nur ein einziger ist auf deutsch eingesungen. Michael Holms »Barfuß im Regen« brettern Leineman in 30 Sekunden runter, den Text radikal verkürzt: »Barfuß im Regen,/nass bis auf die Haut/und wir tanzen und tanzen und tanzen/Und wenn dann ein Schutzmann kommt,/zieh’n wir ihn nackend aus./Und dann nehm’ wir den Schutzmann/zum Pelzen mit nach Haus«. »Pelzen« kann hier übrigens übersetzt werden als verprügeln.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.