Die Fotoausstellung »Fette Beute« in Hamburg

Die unfeinen Unterschiede

Die Fotoausstellung »Fette Beute« im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe widmet sich der Ikonographie des Reichtums.

Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ›ungeheure Warensammlung‹,« beginnt Marx den ersten Band des Kapitals 1867. Er zitiert sich selbst und hatte 1859 schon notiert: »Auf den ersten Blick erscheint der bürgerliche Reichtum als eine ungeheure Warensammlung.« Das Bild des Reichtums ist hier abstrakt, ein erster Blick aus der Vogelperspektive der Wirtschaftslehre, die ganz volksökonomisch »Reichtum« als wealth of nations imaginiert; gesellschaftliche Widersprüche, Klassenkonflikte, Elend, Not und Ausbeutung kommen in diesem Bild des Reichtums nicht vor.
Marx macht aus der Vogelperspektive die »Spottvogelperspektive« (Siegfried Kracauer), wirft einen zweiten Blick auf die sozialen Verhältnisse und ihre antagonistische Dynamik: Was als Reichtum erscheint, ist Akkumulation des Kapitals. Und diese ist abhängig von der Arbeit, respektive dem Verkauf der Ware Arbeitskraft. Erst ein zweiter Blick, nämlich Aufklärung im Sinne einer Kritik der Politischen Ökonomie, zeigt, dass die Vorstellungen des Reichtums, die die bürgerliche Gesellschaft sich macht, und die tatsächliche Verfügung über Reichtum in eben dieser bürgerlichen Gesellschaft, sein Genuss, vor allem dann aber die Verwertung des Reichtums als Kapital, verschiedene Angelegenheiten sind. Kurzum: Für die Warenproduzenten bleibt die »ungeheure Warensammlung« mehr oder weniger unverfügbar. Gleichwohl reproduziert sich diese Erscheinung des Reichtums als ungeheure Warensammlung gerade in diesem schillernden, abstrakten Bild als konkrete Ideologie, und das heißt: als notwendig falsches Bewusstsein, dass die Warenproduzenten irgendwie doch auch konsumierend am Reichtum partizipieren. Reichtum in dieser Gestalt bleibt, wie schon der Schatz aus alten Zeiten, ein Versprechen. Die Vorstellungen vom Reichtum, die sich mit der Ausdehnung der Warenproduktion verfestigen und verbreiten, sind Mystifikationen, holen den Himmel ins Diesseits zurück, bieten als Moderne – ganz nach der Parole des französischen Zweiten Kaiserreichs – »Freude und Glanz«, und zwar als Phantasmagorien, die wie Luftspiegelungen aus längst überwundenen Zeiten höfisch-feudaler, prunkvoll-barocker Gesellschaft auftauchen. Der Reichtum wird jetzt opernhaft inszeniert, die »ungeheure Warensammlung« wird nun zumindest dem Anschein nach konkret: auf den Weltausstellungen, die Walter Benjamin »Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware« nennt, und dann vor allem in den Kaufhäusern, von Émile Zola als »Paradies der Damen« bezeichnet.
Es ist das ausgehende 19. Jahrhundert, das mit dieser Inszenierung der Warensammlung beginnt, das die Spezialitäten hervorbringt – und den Luxus, als bürgerliche Form des Reichtums, merkwürdig gekoppelt an den protestantischen Arbeitsethos. »Wer es sich leisten kann«, lautet eine Redensart. Nur der über Leistung ehrlich erworbene Reichtum ist bürgerlicher Reichtum, repräsentiert wie bei den Buddenbrooks den ökonomischen Erfolg der Bourgeoisie par excellence, bleibt relativ diskret, kommt ohne Protz aus und markiert gegebenenfalls auch die Fallhöhe, das bürgerliche Schicksal.
Aber aus dieser Zeit hat auch eine naive Vorstellung von Reichtum überlebt, die so unwirklich und absurd erscheint, dass sie beinahe schon surreal ist: Dagobert Duck, die reichste Ente der Welt, badet in seinem Geld, hortet die Taler-Säcke in seinen unzähligen Speichern, von denen er einen sogar bewohnt, schläft auf Scheinen, duscht mit Münzen aus dem Wasserhahn; er selbst ist sparsam, trägt seit Jahrzehnten denselben Zylinder und dasselbe Jackett. Sein Reichtum entstammt keiner Mehrwertproduktion, keinem Äquivalenttausch, sondern ist gefunden, beschafft, organisiert. Anders als sein Rivale Klaas Klever gönnt er sich nichts, weil es zu teuer ist; seine Investitionen sind aberwitzig und grotesk unwirtschaftlich, und doch bekommt er stets die nächste Million, selbstverständlich als Ein-Taler-Stücke in Säcke verpackt. Dennoch: Dem Bild nach macht Dagobert Duck Unmögliches möglich, er genießt den Reichtum als Reichtum. »Geld stinkt nicht«, sagt man ja. Aber für Onkel Dagobert hat es die synästhetischen Qualitäten, die es als abstraktes Tauschmittel längst verloren hat: Geld und Gold kann er riechen, berauscht sich am Klang der Münzen, bewegt sich im Geld wie ein Fisch im Wasser – Fun ist ein Goldbad.
Dagobert Duck mystifiziert den Tauschwert seiner Schätze zum Gebrauchswert, ja zum einzigen Gebrauchswert. Reichtum wird zum Sinn des Lebens, quasi zur Nahrung schlechthin, aus der jemand wie Dagobert Duck seine Vitalität bezieht. Das ist zwar widersinnig und eben naiv (das magische Wunschbild, dass dem Schatz, wenn er erst einmal gefunden ist, wirkliche eine unschätzbare Energie innewohnt, dass die Edelsteine nur so leuchten und das Gold auf ewig strahlt …), aber es ist nichtsdestoweniger die dem Reichtum inhärente Ideologie, von der jede Illustration, Imagination und Ikonographie des Reichtums schließlich zehrt: Der Reichtum beginnt sich paradox dann zu bewegen, wenn das Bild von ihm stillgestellt wird. Anders gesagt: Reichtum fängt an, lebendig zu werden, wenn das Glück derjenigen, die über ihn verfügen können, in einem Lächeln erstarrt, fixiert wird im Bild der feinen Leute, die stocksteif in die Kamera sehen und in verharrender Pose gewollt lässig und leger ihre teuren Uhren, teuren Autos, teuren Kleider und überhaupt ihr teures Leben präsentieren.
Das Überwältigende des Reichtums braucht ein Antlitz. Schnell können diese Inszenierungen kippen; der Fleck auf dem Hemd, der verschmierte Lippenstift der Dame oder der dann doch leere Blick zum Fotografen, weil man auf diesen nicht vorbereitet war – leicht wird der Reichtum schwer, wirkt er trostlos, fast ­erbärmlich. Die Regenbogenpresse ist für solche Schnappschüsse dankbar, hält sich dafür den Berufsstand der Paparazzi.
Unter dem Titel »Fette Beute. Reichtum zeigen« zeigt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe Fotografien der hässlichen, entwürdigenden Seite des Reichtums: Das Kleid sitzt schief, der Körper wirkt unförmig, die Schminke eklig. Martin Parr hat das in Fotografien seiner Serie »Luxury« (2003 bis 2008) festgehalten. Anna Skladmann hat Kinder des Reichtums fotografiert, hat sie aus dem Schlaf gerissen, um sie brav posieren zu lassen: im Luxuskinderzimmer, der Junge im seidenem Pyjama, stramm stehend, ernst, mit Maschinengewehr im Arm als Zeichen der Macht. Oder das Mädchen, zurechtgemacht als elegante Puppe, wie die Mutter. Bei den in Russland entstandenen Fotos ist vom »Geldadel« die Rede, vom »goldenen Käfig«. Einer der vom Fotografen Jim Gold porträtierten »Superreichen« sagt: »Ich bin in diesem aufreibenden Spiel gefangen, bei dem ich nichts haben darf, das durchschnittlich ist. Ich habe ein super Auto, eine super Frau, ein super Haus.« Alles super, alles außergewöhnlich. Nur das Leben nicht. Das ist, als Spiegel des an sich toten Reichtums, eigentlich banal, überflüssig.
Die Bilder des Reichtums verlängern derart, was für die Warenproduktion allgemein gilt. Die Situationisten haben das registriert, allen voran Guy Debord, der 100 Jahre nach der Niederschrift des »Kapitals« seine »Gesellschaft des Spektakels« beginnt: »Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln«, heißt es 1967. Die Zeitspanne zwischen der Feststellung von Marx – Reichtum als »ungeheure Warensammlung« – und der von Debord – Leben als »ungeheure Sammlung von Spektakeln« – sind genau die 100 Jahre, in denen der Kapitalismus in seiner Präsenz und Repräsentation, also in seiner realen Ideologie und ideologischen Realität vom »mode of production« zum »mode of consumption« sich wandelte. Debord zeigt diese »ungeheure Sammlung von Spektakeln« wenig später in seinem Film zum Buch als Konfrontation von Elend und Reichtum, Krieg und Mode, Tod und Lifestyle. Doch schon damals müssen diese Bilder antiquiert gewirkt haben, denn gerade in der Vorstellung vom Reichtum ist Debord mit seiner »Gesellschaft des Spektakels« in einem entscheidenden Punkt zurück: die so genannte Überflussgesellschaft, der steigende Lebensstandard trotz Krise, nimmt im Verlauf der sechziger und vor allem siebziger Jahre der Warensammlung, der Sammlung von Spektakeln, die Ungeheuerlichkeit. So werden auch die »Images« des Reichtums – gemäß dem Leitbild einer »ordinary culture« – gewöhnlich.
Reichtum als Prunk und Protz wird zum Gemeinplatz, selbst wenn der Reichtum als materielle Größe kaum jemandem zuteil wird. Bilder überhaupt werden machtvoller, ebenso die Bilder des Reichtums – und zwar gerade, weil das, was sie zeigen, auf einmal so gewöhnlich erscheint, nahbar, erreichbar. Insofern gehört der Vorrat an Bildern, deren Darstellungen mit Reichtum assoziiert werden, zum Bereich der Reklame. Es ist Reklame für die Welt, wie sie ist – gleichwohl die Bilder die Welt zeigen, wie sie gerade nicht ist.
Damit fügen sich die Bilder des Reichtums in die allgemeine Ästhetisierung der Politik unter demokratischen Bedingungen – auch und gerade, weil sie sich einer ikonographischen Ordnung bedienen, die sich dem »Demokratischen«, der »Moderne«, dem »Standard« entzieht: In nachgerade bizarrer Weise kontrastiert Reichtum mit einer gewissen barocken Wärme die Kälte und Sachlichkeit der Moderne, setzt dem kühlen Funktionalismus eine glühende, nämlich übertriebene Dysfunktionalität ent­gegen. Der Langeweile entziehen sich solche Bilder des Reichtums oft um den Preis der Lächerlichkeit. Gleichzeitig lässt sich so »Reichtum« als Image vom faktisch Verfügbaren symbolisch entkoppeln. Zu Lebzeiten hat Michael Jackson dafür ein Beispiel abgegeben.
Reichtum wird, als Trugbild der Verklärung des Gewöhnlichen gleichsam, synonym mit Prestige. Der Historiker Daniel J. Boorstin bemerkte dazu schon 1961: »Obwohl das Wort ›Prestige‹ in der Bedeutung, die es im Amerika des 20. Jahrhundert erhielt, neu ist, hat es sich doch nicht allzu weit von seinen etymologischen Ursprüngen entfernt. Es hängt vielleicht mit dem Wort prestidigitate zusammen, was soviel wie Vorführen von Tricks oder Zauberkunststücken bedeutet. Das aus dem Franzö­sischen ins Englische übernommene Wort Prestige stammt letztlich vom lateinischen prae­stigium ab, was Illusion, Täuschung bedeutete und gewöhnlich im Plural gebraucht wurde, praestigiae = Zauberkunststücke … Prestigious …  hieß bis vor kurzer Zeit noch irreführend, betrügerisch oder illusorisch. Lange Zeit hindurch hatte das Wort ›Prestige‹ eine ausschließlich negative Bedeutung … Ein kleiner Rest der alten negativen Bedeutung hat sich in unserem amerikanischen Sprachgebrauch allerdings noch erhalten. Eine Person, die Prestige hat, besitzt eine Art glamor: sie blendet oder verwirrt momentan durch ihr Image.«
Als Prestige inszenierter Reichtum gerinnt zum Superspektakel, unterstützt die Magie dann, wenn selbstverständlich klar ist, dass aller Zauber bloß als gut vorgeführte Show gelingt: Eleganz, Luxus, das Edle und Erhabene gehören selbstverständlich zur Ausstattung der großen Zaubershows von David Copperfield, Hans Klok oder Siegfried und Roy.
Gerade wo die Inszenierung des Reichtums jedoch nicht mit der Inszenierung faktischer Macht einhergeht, sondern in das Reklame­repertoire der gewöhnlichen Warenästhetik der Kulturindustrie gehört, bleibt dem Spektakel-Image des Reichtums tatsächlich nur die permanente, aber redundante Selbstüberbietung. Das Image des Reichtums versucht so schließlich doch noch seine Ungeheuerlichkeit zurückzugewinnen. Das ist die Arroganz des Reichtums, die in den Fotografien von Lamia Maria Abillama (»Ladys of Rio«, Damen mit »ihren« Domesticas) oder Tina Barney (»The Europeans«, machtvolle Familienbilder) eingefangen ist. Oder in den Bildern vom Blog »Rich Kids of Instagram«: »You can’t sit with us« steht als Schriftzug auf dem Smartphone eines jungen Mannes.

»Fette Beute. Reichtum zeigen.« Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Bis 11. Januar