Eine Hommage an die Kassette

Rauschen am laufenden Band

Zu Beginn der achtziger Jahre erlebte die westdeutsche Kassettenszene eine kurze Blütezeit. Die Compilation »Science Fiction Park Bundesrepublik« ist eine Hommage an die Kassette und widmet sich dem schrägen Sound zwischen Punk und NDW.

Ich habe heute nicht mehr Lust als vor zwei Monaten, mich durch den Kassettendschungel zu hören. Ich werde also weitgehend kommentarlos auf­listen, was existiert. (…) So und nun ist Schluss mit Deutschlands gesammelten Autisten. Ich weiß, dass der Casio ein tolles Spielzeug ist, auch ich habe einen, aber ich belästige nicht fremde Redakteure mit meinen Aufnahmen.« Die Kassettenwelle war gerade erst in Schwung gekommen, schon reagierte Diederich Diederichsen in Sounds genervt. Hatte die Hamburger Szenegestalt Alfred Hilsberg nicht gerade ein Jahr zuvor, im Dezember 1980, die Redaktion des wichtigsten Popkulturmediums der Zeit dazu aufgefordert, mehr Kassetten zu besprechen? Zeugt die Compilation »Science Fiction Park Bundesrepublik«, die wichtige Songs der Kassettenszene von damals versammelt, davon, dass Hilsberg noch immer nicht fertig mit den achtziger Jahren ist?
So verwegen die Forderung des Betreibers des Labels ZickZack aus heutiger Perspektive anmuten mag, sie war es eigentlich schon damals. Mit ein wenig Aufwand ließen sich bestimmt 50 der selbsternannten »Kassettentäter« aufspüren, die der Szene zwischen Punk und deutscher New Wave heute noch eine immense Bedeutung zusprechen würden. Und wahrscheinlich hätte man damit einen Großteil der Protagonisten abgebildet. So übersichtlich der Kreis der Eingeweihten zu Beginn der achtziger Jahre gewesen sein mag, die Euphorie um das neue Medium ist auch im Rückblick nachvollziehbar. Entscheidend war nicht, dass die Musikkassette endlich die Möglichkeit bot, Hits aus dem Dudelfunk mitzuschneiden. Die Begeisterung galt dem Emanzipationsschub, den das Medium mit sich brachte. Ein Zugewinn an künstlerischen Mitteln, der spätestens um die Jahrtausendwende etwas in Vergessenheit geriet, weil sich ein ähnlicher, aber noch einschneidenderer Fortschritt vollzog. Das Schlagwort von der Demokratisierung der Produktionsmittel machte die Runde, weil Computer erschwinglich wurden und gecrackte Audiosoftware in ausreichendem Maße zur Verfügung stand. Wie schwerwiegend beide medialen Entwicklungen waren, ließ sich nicht zuletzt an den Reaktionen der Industrie erkennen, die sich vor Umsatzeinbußen und unkontrollierter Verbreitung ihrer Produkte fürchtete. Von der Kampagne »Hometaping is killing music« anscheinend nachhaltig beeindruckt, taufte die deutsche Phonoindustrie ihre 2000 ins Leben gerufene Neuauflage der Kampagne auf den innovativen Namen »Copy kills music«. Hometaping war schließlich eine Praktik aus der grauen Vorzeit, die Audiokassette hatte sich bereits 30 Jahre zuvor als Massenmedium etabliert.
»Science Fiction Park Bundesrepublik« erinnert an eine Aufbruchstimmung, die zuerst in Großbritannien einsetzte. Mitte der siebziger Jahre bildete sich hier eine DIY-Kassettenkultur mit eigenen Labels und Vertriebsstrukturen heraus. Für viele ein Befreiungsschlag und ein Signal. Schließlich entschieden auch in Deutschland die großen Plattenfirmen maßgeblich ­darüber, welches musikalische Material in Umlauf gebracht werden konnte. Vinyl-Presswerke waren an die Major-Labels angeschlossen, es existierte kaum eine Möglichkeit, Kleinstauflagen herzustellen. Die Kassette sollte dieses Machtverhältnis verändern.
Labels wie Kompakt Produkte in Berlin und Klar! 80 in Düsseldorf entstanden, Kassetten mussten nicht in großen Stückzahlen produziert, sondern konnten auf Nachfrage gefertigt werden, die Szene vernetzte sich international. Ende 1980 eröffnete mit dem Cassettencombi­nat der erste deutsche Kassettenladen in Berlin, der zugleich Label und Studio zur Produktion von Vierspuraufnahmen war. Weitere Ladengründungen folgten, die meisten schlossen so schnell wieder, wie sie eröffnet wurden. Geld ließ sich mit dem schrägen Sound zwischen Punk und NDW, wie er nun auch auf Hilsbergs Compilation zu hören ist, nicht verdienen. Mit Tapezines wie Katastrophe sicherlich auch nicht. Einzig ein kleiner Laden in Berlin sollte sich ganze acht Jahre lang halten – ohne sich jemals zu rentieren, versteht sich: »Norbert Hähnel eröffnet am 1. Mai 1980 sein Plattengeschäft für unabhängige Produktionen auf Vinyl und Kassetten. In der Kreuzberger Großbeerenstraße schreibt er mit weißer Farbe in großer Kinderschönschreibschrift ›Scheiß­laden‹ auf die Fenster. Die Begeisterung des Vermieters und der Hausbewohner … hält sich in Grenzen«, erinnert sich der Künstler Wolfgang Müller in »Subkultur Westberlin 1979–1989«. Livekassetten von Einstürzende Neubauten und Die tödliche Doris zählten Frank Apunkt Schneider zufolge zu den Topsellern der Szene. Seinem kundigen Buch »Als die Welt noch unterging« ist zu entnehmen, dass sich einige Tapes ganze 500 Mal verkauften – eine lachhafte Menge, die kaum vergleichbar sein dürfte mit den Verkaufszahlen, die im banalisierten Mainstream der Neuen Deutschen Welle erzielt wurden.
Vieles von dem, was Anfang der achtziger Jahre im westdeutschen Underground produziert und zwischen den Kassettentätern ausgetauscht wurde, dürfte mittlerweile verschollen sein. Kassettenberge verstauben auf Dachböden, verschimmeln in Kellern – viele von ihnen wurden überspielt. Trauern muss man wohl um die wenigsten. Denn die gefeierte Demokratisierung der Produktionsmittel brachte damals wie heute mehrheitlich Schrott hervor. Die auf »Science Fiction Park Bundesrepublik« versammelten Songs gehören ausnahmslos nicht dazu.
Es wäre auch verwunderlich gewesen, wenn ausgerechnet Alfred Hilsberg eine misslun­gene Hommage an die Kassettenszene veröffentlicht hätte. In gewisser Weise besinnt er sich mit dieser Compilation auf die Rolle, die ihm schon damals am Herzen zu liegen schien. Es gab wohl kaum jemanden, der durch seine Arbeit als Journalist, Konzertveranstalter und Labelbetreiber den Kassettentätern zu größerer Aufmerksamkeit verholfen hätte. Hilsberg hat Felix Kubin (Jungle World 46/2013) als Kurator seiner Compilation gewinnen können, der bereits damals in die Szene verstrickt war. Große Worte verwendet der Hamburger Künstler im Booklet von »Science Fiction Park Bundesrepublik«, um die historisch einmalige Situation zu beschreiben: »Das 4-Spur-Kassetten-Studio wird zum Medium des kollektiven Unterbewusstseins, wird Schießscharte, Blitzableiter und magnetischer Zeuge der Angst vor einem drohenden Atomkrieg.« Doch das Lebensgefühl der Zeit lässt sich heute schwerlich nachvollziehen. Daran kann auch eine Com­pilation nichts ändern. Mag die Songauswahl auch noch so gelungen die damalige Zeit repräsentieren, die Musik wird heute vor einem veränderten Hintergrund wahrgenommen.
Kubin hat sich auf die bekannteren Künstler der Szene verlassen, viele von ihnen kehrten im Laufe ihrer Karriere dem Underground auf die eine oder andere Weise den Rücken. Pyro­lator von Der Plan ist vertreten, genauso Holger Hiller von Palais Schaumburg und sogar ein gewisser Tim Renner bekommt seinen Platz – einige Zeit später wird er eine Karriere als Konzernchef und Berliner Kulturpolitiker machen. Die Größe der Songs besteht auch darin, dass sie sagen: Es hätte alles ganz anders kommen können. Viele Lieder wurden vielleicht nur ein einziges Mal so gespielt, wie man sie hier zu hören bekommt. Doch bei aller Unbedarftheit, bei allem Pannenpotential, Ruckeln und Wackeln klingt die Musik stets auf eine beabsichtigte Weise unfertig.
Heute ist man geneigt, dieser Ästhetik nicht nur eine Programmatik zuzusprechen. Großer Aufwand wird seit vielen Jahren betrieben, um den Klang analoger Technik zu reproduzieren und Aufnahmen eine gewisse Patina zu verleihen. Insofern wird die Geschichte von »Science Fiction Park Bundesrepublik« auch heute noch weitererzählt. Das originale Geeiere der Kassette thront jedoch nach wie vor über allen Versuchen, die Unperfektheit zu perfektionieren. Hipster, Nostalgiker und Freaks wissen das, gründen auch in diesem Jahr Kassettenlabels und treffen sich im 51. Jahr der Kassette in ­Läden, um den Cassette Store Day zu begehen.

Science Fiction Park Bundesrepublik. German Home Recording Tape Music of the 1980s (Zickzack/Indigo).