Repression gegen Schwule in Ägypten

Investigativ gegen Schwule

In Kairo schließt das Regime »Sexhöhlen«. Damit werden auch viele Treffpunkte der rebellischen Jugend kriminalisiert.

Die Rechtfertigung ist perfide. Es gehe um die Ursachen der Ausbreitung von HIV in Ägypten, erklärt die Reporterin Mona Iraqi. Eine Ursache hat sie in einem Dampfbad für Männer entdeckt. Das Hamam an der Bab al-Bahr 25 sei eine Höhle der Gruppenperversion, schrieb sie in einer Ankündigung für ihre Sendung.
Ihre Reportage für den regierungsnahen Sender »Kairo und die Menschen« passt zur neuen Welle der Hetze gegen Schwule. Seit General Abd al-Fattah al-Sisi die Macht in Ägypten übernommen hat, häufen sich die Verhaftungen von tatsächlichen und vermeintlichen Schwulen, flankiert von einer Medienkampagne gegen die »Perversen«. In langen Reportagen über Orte des Verderbens fehlen fast nie Namen und Gesichter.
Der Bericht von Mona Iraqi geht darüber noch hinaus. Die Investigativreporterin, die sich mit Filmen über Krankenhausabfälle und verschwundene Fischer in Somalia einen Namen gemacht hat, arbeitete offen mit der Polizei zusammen.
Als sie am Abend des 7. Dezember mit ihrem Kamerateam keinen Einlass in das von ihr als Sexhöhle ausgemachte Bad erhielt, rief sie umgehend die Polizei. Die stürmte kurze Zeit später das Hamam und nahm 30 bis 40 Männer fest. Iraqi filmte, wie die Männer nackt in Gefangenentransporter steigen mussten. Auf ihrer Facebook-Seite erläutert sie, die Kleidung hätten sie nicht anziehen dürfen, weil sie als Beweismittel diene. Dort brüstet sie sich auch der Kooperation mit den Sicherheitskräften: Nachdem sie die »Sexhöhle« entdeckt habe, habe sie die Behörden informiert, aber die seien etwas langsam gewesen und so hätte der Sender die Ausstrahlung verschieben müssen, um der Polizei die Möglichkeit zu geben, den Laden zu schließen.

Es ist die größte Razzia gegen Schwule in Ägypten, seit im Mai 2001 in einer Disko auf dem Schiff »Queen Boat« 52 Männer verhaftet wurden. 23 von ihnen wurden zu mehreren Jahren harter Arbeit verurteilt. Vieles erinnert heute an die Jahre 2001 und folgende. Auch damals kam es gehäuft zu Razzien. Die Polizei setzte verdeckte Ermittler ein, die sich auf Internetseiten als schwul ausgaben, verabredeten und ihre Kontaktpersonen dann am Treffpunkt verhafteten. Der Bericht der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch von 2004 zählte 179 Männer, die wegen »sexueller Ausschweifung« seit 2001 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, unzählige andere seien inhaftiert und gefoltert, aber ohne Anklage wieder freigelassen worden. Schwule konnten sich an keinem Ort mehr sicher wähnen. Das gilt heute wieder.
Auch Alarmismus und Verschwörungstheorien klangen damals ähnlich wie heute. Den Besuchern der »Queen Boat«-Disko wurde vorgeworfen, Teil eines Netzwerks zu sein, das den Koran falsch auslege, um extremistische Ideen in die Gesellschaft zu bringen. Die sexuellen Praktiken seien Teil eines Rituals. Eine Zeitung titelte: »Die Perversen erklären Ägypten den Krieg.«
Einige Theorien der derzeitigen Kampagne muten ähnlich an. Mitte November wurde ein Französischlehrer mit vier anderen Männern im Vorort Helwan verhaftet. Über ihn berichten Boulevardmedien, er habe ein Perversen-Netzwerk betrieben, um Mitglieder für die Muslimbrüder zu gewinnen. Im Bett mit den Verführten habe er beim Sex die Hand zum Vier-Finger-Symbol der Islamisten gehoben. Die bei dem Lehrer sicher­gestellten Beweise: eine Flasche Wein und Kondome.
Die Verbindung zu den Muslimbrüdern scheint eine billige Retourkutsche zu sein. Ende August war ein Youtube-Video aufgetaucht, das eine Gruppe feiernder Männer auf einem Boot auf dem Nil zeigt. Zwei der Männer tauschen Ringe. Mehr ist nicht zu sehen, aber wer auch immer das Filmchen ins Netz stellte, betitelte es als »Erste Homosexuellenhochzeit in Ägypten«. Daraufhin äußerte eine ehemalige Abgeordnete der Muslimbrüder, die Putschisten um al-Sisi wollten mit solchen Schwulenhochzeiten Ägypten verderben.
In den Tagen darauf nahm die Polizei an die 40 Menschen im Innenstadtbezirk Ramsis fest, wo auch Schwule cruisen. Inzwischen stehen acht Männer vor einer Anklage wegen »Ausschweifung« und dem Verbreiten unanständiger Bilder. Homosexualität, die in Ägypten eigentlich nicht strafbar ist, konnte ihnen nicht nachgewiesen werden. Für diesen Nachweis müssen sich Beschuldigte einer Anusuntersuchung unterziehen. Die Ärzte, die die Männer von dem Hochzeitsvideo untersuchten, meinten, keinen homosexuellen Geschlechtsverkehr feststellen zu können.
Doch die Anschuldigungen der Muslimschwester sind nicht Auslöser der Kampagne. Diese begann am 11. Oktober 2013 mit einer Razzia in einem Badehaus. Seitdem gibt es fast wöchentlich Verhaftungen in Hamams, Bars, privaten Wohnhäusern und auf der Straße. An die 100 Menschen wurden bisher verurteilt.
Solche Schikanen gegen Schwule (Lesben sind fast nie Ziel polizeilicher Ermittlungen) gehören keineswegs zum alltäglichen Wahnsinn in Ägypten. Zwischen dem Erscheinen des Berichts von Human Rights Watch im Jahr 2004 und der Badehaus-Razzia 2013 blieb schwules Alltagsleben weitgehend unbehelligt. Wie auch sonst in der arabischen Welt wird zwar offene Homosexua­lität angeprangert, aber Strafverfolgung von privaten Beziehungen ist selten – sogar in Saudi-Arabien schaut der Staat bei Privatpartys weg.

Insbesondere nach dem Sturz von Hosni Mubarak 2011 blühte die schwul-lesbische Szene in Kairo und Alexandria auf. Zwar waren Rechte von LGBT nie Thema, und Mitglieder der Protestbewegung wanden sich bei der Frage, ob sie denn Thema werden können: Das sei zwar wünschenswert, aber zu früh. Doch es gab eine allgemeine Lockerung der Sexualmoral. Junge Frauen nahmen an Demonstrationen bis spät in die Nacht teil. Heterosexuelle Paare küssten sich in der Öffentlichkeit – das ist in Ägypten verboten. Die Polizei blieb in ihren Kasernen. In dieser Atmosphäre konnten sich auch Schwule und Lesben freier bewegen.
Doch das neue Regime von al-Sisi hat mit der Revolution gründlich aufgeräumt: Nicht nur Muslimbrüder, auch Menschenrechtler werden drangsaliert und wandern ins Gefängnis.
Die Schwulen haben sich in Ägypten nie organisiert und Forderungen gestellt. Aber ihre Verfolgung nutzt dem Regime. Die Ägyptische Initiative für Rechte des Individuums (EIPR) und viele LGBT-Medien glauben, es wolle die wirtschaftliche Krise mit Skandalmeldungen überdecken. Tatsächlich fanden etwa die Verhaftungen wegen des Heiratsvideos just einen Tag nach dem längsten Stromausfall in der Hauptstadt Kairo statt. Das Video selbst war da schon ein Jahr alt, aber erst kurz zuvor ins Netz gestellt worden. Eine solche Ablenkung von der wirtschaftlichen Malaise hielt man auch 2001 für die Strategie des Mubarak-Regimes.
Doch anders als unter Mubarak sind nicht nur typische Schwulentreffs Ziel der Razzien, sondern auch viele Orte, an denen Oppositionelle zusammenkommen, darunter auch Schwule, aber nicht nur. Die Boulevard-Website Vetogate nennt für die Innenstadt den Talat-Harb-Platz, das Borsa-Café und das Café im Kino Odeon.
Die Botschaft richtet sich somit auch an die revolutionäre Jugend: Wenn du dort hingehst, haben wir dich im Blick, und wenn wir wollen, landest du nackt im Knast mit dem Vorwurf, schwul zu sein.
Damit trifft das Regime von al-Sisi den Geist der Revolution weit mehr als mit Verhaftungen von Aktivistinnen und Aktivisten: Ohne Treffpunkte stirbt jeder Widerstand. Der einst revolutionäre Tahrir-Platz ist als Treffpunkt schon seit einem Jahr stillgelegt, selbst die Metrostation ist geschlossen.