Debatte über die Ästhetik von Unterwäsche: Rippware sexy

Tolerant und körperbetont

Opa wusste, was gut war. Zu den ästhetischen und politischen Vorzügen der Rippware.

Der Tod der Großeltern ist an und für sich kein erfreuliches Ereignis, aber leider kaum zu verhindern. Der Schmerz über den Verlust kann jedoch nachhaltig gelindert werden durch ein üppiges Erbe, mit dessen würdigem, lustvollem Verbrauch man den Vorfahren Ehre und Respekt erweisen kann. So fanden sich im Nachlass meines Großvaters einige zeitlos schöne Rippunterhemden, die ich fortan mein eigen nennen durfte – und seither im stillen Andenken mit stolzgeschwelltem Bauch auftrage. Freilich ist dies nicht irgendwelche Ramsch-Trikotage, mit der Opa Willi sich untendrunter kleidete, sondern solide Markenware aus dem Hause Schiesser, wie auch ich sie ob ihrer stilvollen Ästhetik und ihres Tragekomforts schätze.
Der Schweizer Jacques Schiesser gründete die Firma im Jahr 1875 in Radolfzell, wo zunächst an neun Rundwirkstühlen diverse Textilkreationen gefertigt wurden. Schon bei der Weltausstellung von 1900 in Paris gewann der findige Fabrikant dann einen großen Preis für »Abhärtungswäsche aus Ramieleinen« und stellte damit das phallische wie sinnlose Metallornament, mit dem Gustave Eiffel auf der vorhergehenden Pariser Expo zu beeindrucken versuchte, virtuos in den Schatten. Die ganz großen modischen Errungenschaften sollten aber erst noch folgen: 1923 brachte das Unternehmen die Maschentechnik Feinripp auf den Markt, die deswegen so heißt, weil sie fein gerippt ist. Als Material setzte man weiterhin auf Leinen und Baumwolle, nachdem die Brennnesselfaser, mit der während der kargen Jahre des Ersten Weltkriegs experimentiert wurde, sich nicht recht durchsetzen wollte. 1951 erweiterte Schiesser das Sortiment um das erweiterte Rippmuster des Doppelripp, das sich noch harmonischer erweiterten Körpern und ihren etwaigen Muskelpartien anschmiegt. Vor allem zur faltenlosen Bedeckung des Torsos ist diese Maschenware daher ungemein geeignet. Unisex-Unterhosen sind überhaupt erst möglich geworden aufgrund der Elastizität der Rippware, die sich den anatomischen Gegebenheiten anzupassen weiß, wie es sonst nur Elastan oder Latex vermögen.

Das Unterhemd wiederum entfaltet seinen besonderen Reiz vor allem ohne das komplementäre Oberhemd: Nicht nur betont seine Form die Schlüsselbeine aufs Schönste – anders als sein hässlicher kleiner Bruder, das Muskelshirt. Ärmellos und achselfrei verschafft es seiner Trägerin und seinem Träger zudem eine Freiheit, von der man im T-Shirt nur träumen kann. Auch zu einem performativen feministischen Statement befähigt es, schließlich lässt sich als Frau heutzutage die Abneigung gegen das Patriarchat kaum unmissverständlicher ausdrücken als mit einer sichtbaren Achselbehaarung. Ohnedies kann man im engen Leibchen die subversiven Tätowierungen auf den Oberarmen darbieten, um mit Dreiecken, Sternen, Vögeln und Songzitaten den Staat zu zersetzen. Zugegeben, das Kleidungsstück erscheint bisweilen schlecht beleumdet, als Merkmal der grobschlächtigen Unterschicht. Aber eigentlich müsste doch jedweder Linke frohlocken, wenn es einem Modeutensil gelingt, dass sich Bauarbeiter und Rentner, Hipster und Butches, Sportler und Schlagzeuger darauf einigen können. Ja, im Unterhemd begegnet man sich von gleich zu gleich.

Auf Basis der Erfolgsmodelle seiner weißen Ripp­unterwäsche für oben und unten schuf Schiesser also ein Schlüpferimperium mit einem Jahresumsatz von 500 Millionen DM. Doch irgendwann waren einerseits der Machismo des Tangaslips, andererseits schlabberige Boxershorts plötzlich modern und der Rippware haftete das Etikett der Spießigkeit an, weil seine Anhänger sich nicht dem neoliberalen Verdikt der ständigen Erneuerung unterwerfen wollten. Genau dies tat dagegen das Unternehmen: Mit einer hilflosen Neuausrichtung und Rationalisierung fuhr man den Karren vollends vor die Wand. Erst als 2012 der israelische Konzern Delta Galil die Marke kaufte, konnte der Absturz aufgehalten werden. Man besann sich auf den zeitlosen Kern. Rippbekleidung in weiß und schwarz dominiert nun wieder die Produktpalette, die unter dem Slogan »Natürlich. Zeitgeist. Seit 1875« steht. Womit wir wieder bei meinen Großeltern wären.
Wenn eine Ehe 60 Jahre lang hält und das Paar noch in seinen jeweiligen Achtzigern händchenhaltend in der Sonne sitzt, dann muss etwas in der Beziehung funktioniert haben, so dass die gegenseitige Zuneigung nicht verloren ging. Nach meiner Vermutung spielt dabei stilvolle Unterwäsche eine wesentliche Rolle. Somit sei mir mein Großvater hierin ein Vorbild: Mit guter Rippware kann ich sicherlich nichts verkehrt machen, am besten mit einem leichten Duft von Lavendel und Mottenkugeln.