Unsere Tweets

Krisen und Katastrophen bringen nicht immer das Beste im twitternden Teil der Menschheit zum Vorschein. Und so dauerte es auch während der Geiselnahme in Sydney am frühen Montagmorgen nicht lange, bis die wenigen bekannten Tatsachen mit Mutmaßungen und Gerüchten vermischt und anschließend als Fakten verbreitet wurden. Aber tut man nicht sowieso genau das, was Terroristen wollen (nämlich ihnen maximale Öffentlichkeit verschaffen), wenn man unter einem Hashtag wie eben dem aktuellen #Sydney Tweets verfasst? Auf diese Frage twitterte Kurt Kuch, stellvertretender Chefredakteur der österreichischen News, in bemerkenswerter Unkenntnis darüber, dass man, wenn man auf ein Hashtag klickt, grundsätzlich live die Kommentare aller User sieht, egal, aus welchem Land sie kommen: »Ja klar. Die schauen, ob Österreicher darüber twittern.« Und Isabella Daniela (oe24, das ist das Onlineportal der Tageszeitung Österreich) antwortete: »Yep. Absolut. Hab gehört, der gaga-›Kalif‹ liest immer zuerst unsere Tweets.«
Ein Reporter von Sky-News Australia, der live vor Ort war und twitterte, dass die Einsatzkräfte der Polizei sich gerade zurückgezogen hätten, bekam dagegen großen Ärger mit Twitter Usern aus aller Welt – inklusive dem US-Sender ABC-News, dessen Twitter-Account ihm antwortete: »Warum veröffentlichst du Bewegungen der Polizei? Du musst doch die Lektionen von 1972 (während der Geiselnahme von München hatte das deutsche Fernsehen live Bilder von Scharfschützen auf den Gebäuden übertragen) nicht erst 2014 lernen.«
Ein weiterer News-Account, der verbreitet hatte, dass eine der Geiseln gerade getwittert habe, wurde als »Idiot« bezeichnet, der Leben gefährde – während andere User sich ungerührt aufmachten, herauszufinden, welche Angestellten des Lindt-Cafés in Sydney denn alle bei Twitter aktiv sind.