Rassistische Bürgerwehren 

Bürger wehren sich

Demonstrationen und »Montagsspaziergänge« reichen manchen deutschen Rassisten nicht. Sie gründen Bürgerwehren oder schlagen gleich zu.

Die Gewerkschaft der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern ist beunruhigt. »Dieser Wildwuchs ist sehr, sehr bedenklich«, sagte deren Landesvorsitzender Christian Schumacher kürzlich der Ostseezeitung. Denn landesweit schließen sich Menschen Bürgerwehren an, um Aufgaben der Polizei in die eigenen Hände zu nehmen. Das ­Innenministerium und die Polizei warnen vor dieser Entwicklung. Ein hochrangiger Polizeibeamter aus Mecklenburg-Vorpommern kommentierte in der Ostseezeitung sarkastisch die Lage: »Ich warte nur darauf, dass der erste polnische Pilzsammler erschlagen im Wald liegt.«

Im Zuge der bundesweiten Proteste gegen Flüchtlinge im Allgemeinen und deren Unterbringung in der unmittelbaren Umgebung im Speziellen entwickeln etliche Personen aus diesen Bürgerbewegungen durchaus Militanz. Die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete nimmt ebenso zu wie die Zahl der Anschläge auf deren Unterkünfte. Der bisher schwerste Angriff ereignete sich im mittelfränkischen Vorra. Mitte Dezember brannten dort ein ehemaliger Gasthof, eine Scheune und ein Wohnhaus. In die drei Gebäude sollten Flüchtlinge einziehen. Die bayerische Polizei geht von Brandstiftung mit einem rechtsextremen Hintergrund aus. An den Wänden fanden sich Hakenkreuzschmierereien und die orthographisch holprige Botschaft »Kein Asylat in Vorra«. Zehn Tage darauf randalierten vier Personen im niederbayerischen Großköllnbach vor einer Unterkunft für Asylbewerber. Die Bewohner hörten gegen drei Uhr nachts Geräusche an der Haustür. Den Tätern gelang die Flucht in einem Auto. Kurz vor den Feiertagen zerstörten Unbekannte in Berlin-Marzahn einen Weihnachtsbaum, der auf Initia­tive einiger Anwohner vor einem Flüchtlingsheim aufgestellt worden war. Bereits eine Woche zuvor war an derselben Stelle ein Weihnachtsbaum gestohlen, aber umgehend ersetzt worden.
Anders als in den neunziger Jahren werden solche Taten entweder klandestin verübt oder spontan begangen. Die Täter können nicht, wie beispielsweise bei den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, in einen Mob vor der Flüchtlingsunterkunft abtauchen oder darauf vertrauen, dass die Polizei ein Auge zudrückt. Die klandestine Guerillataktik wird zumeist von gut organisierten Neonazis angewandt, während sich spontane Angriffe häufig aus einer Bierlaune ergeben. So griff in Rottenburg am Neckar (Baden-Württemberg) kurz vor Weihnachten ein der Naziszene zuzurechnender Mann zwei weibliche Flüchtlinge aus Gambia an. Eine der Frauen konnte sich in Sicherheit bringen, während der stark betrunkene Schläger mehrmals auf das andere Opfer eintrat. Die 36jährige trug Verletzungen am Kopf und am Knie davon. Am gleichen Wochenende raste ein Autofahrer in Plöwen (Mecklenburg-Vorpommern) mit hohem Tempo auf zwei Syrer zu, die mit Fahrrädern auf dem Weg zu ihrer Unterkunft waren. Beide Asylsuchende mussten dem Fahrzeug ausweichen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, und kamen mit dem Schrecken davon.
Nach wie vor ist auch der Angriff in der Gruppe sehr beliebt: Im sachsen-anhaltinischen Merseburg traten am frühen Sonntagmorgen fünf Männer auf einen Afrikaner ein. Nachdem die Gruppe zunächst ihn und seinen Freund vor einer Diskothek angesprochen und gefragt hatte, wann die beiden wieder »nach Hause« fahren würden, folgte sie den Männern zu einer Bushaltestelle. Dort attackierten sie den Afrikaner und stießen ihn zu Boden. Die Männer traten mehrfach auf das Opfer ein, schließlich schlug ein Angreifer dem Mann ein Bierglas auf den Kopf.

Auch wenn sie nicht langfristig geplant waren, sondern sich spontan ergaben, verlaufen solche Angriffe äußerst brutal. Die Gefahr für Flüchtlinge, Opfer einer solchen Attacke zu werden, wächst. Befeuert durch die Proteste der vergangenen Wochen fühlen sich offenbar nicht wenige zumeist männliche Rassisten bemüßigt, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Die Organisation von Demonstrationen oder die Teilnahme an ihnen genügt dieser Klientel nicht. Andere haben ­einen Kompromiss gefunden zwischen Symbolpolitik und der Aussicht, handgreiflich werden zu dürfen: Vor allem im Osten der Bundesrepublik wurden in den vergangenen Monaten erste Bürgerwehren gegründet. Hier treffen sich organisierte Neonazis, ihre Sympathisanten, Durchschnittsrassisten und Wutbürger. Neben der regionalen Vernetzung geht von diesen Kreisen außerdem eine Fanatisierung aus.
Vor allem in der Grenzregion zu Polen bildeten sich schon in den vergangenen Jahren einige Bürgerwehren – in manchen Fällen mit staatlichem Wohlwollen. In Brandenburg etwa arbeiten Polizei und solche Bürgerinitiativen auf Grund­lage des Erlasses zur »Kommunalen Kriminalitätsverhütung« (KVV) zusammen. Dass diese Kooperation äußerst problematisch ist, beweist das Beispiel Eisenhüttenstadt. Dort arbeiteten die Ordnungshüter mit der »Bürgerwehr Eisenhüttenstadt« zusammen, zu der nach Angaben von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) Personen gehören, die in der Vergangenheit »mit rechtsextremistischen Aktivitäten aufgefallen« sind. Die geschlossene Facebook-Gruppe der »Bürgerwehr Eisenhüttenstadt« hat dem brandenburgischen Innenministerium zufolge derzeit etwa 600 Mitglieder und wird regelmäßig für die Verbreitung rassistischer Parolen genutzt. In solchen Foren entsteht die neue Graswurzelbewegung. Auch in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) organisierte sich die örtliche Bürgerwehr via Facebook. Der Anlass für die Gründung war nichtig: Ein Mann soll ein Kind nach dem Weg zur Sparkasse gefragt haben. Die Eltern riefen die Polizei, weil sie davon ausgingen, der Mann sei ein »Kinderschänder«. »Diese Gruppe wurde gegründet, wahrscheinlich nur aus Frust, aus Frust auf die Polizei, weil sie sich eine halbe Stunde Zeit gelassen hat. Und dass das zum Selbstläufer geworden ist, mit den 800 Leuten, okay«, sagte der Initiator Maik Eggert, ein ehemaliger Marinesoldat, dem RBB. Mit Schlagstock und Gaspistole bewaffnet läuft die Rostocker Bürgerwehr in ihrer Plattenbausiedlung nun Streife, um den vermeintlichen »Kinderschänder« dingfest zu machen. Doch das ist nur die offizielle Legitimation. »Wir sind für alle Straftaten zuständig«, bekräftige Eggert in der Berliner Zeitung. Derzeit wirbt er auf seinem Facebook-Profil für den ersten Aufmarsch des Pegida-Ablegers in Rostock.

Einigen Protagonisten der Bewegung reicht aber auch ein solches Patrouillieren in der Nacht nicht mehr aus. Zwischen dem 25. August und dem 24. November entzündeten am Berliner Reichstag, dem Paul-Löbe-Haus des Bundestags und der CDU-Bundesgeschäftsstelle bislang unbekannte Täter in vier Fällen Molotowcocktails. An den Tatorten wurden mehrseitige Schreiben einer sich selbst als »Deutsche Widerstandsbewegung« bezeichnenden Gruppe gefunden. In dem Bekennerschreiben beklagen die Täter, dass die »multikulturelle, multiethnische, multireligiöse und multigeschichtliche Bevölkerungskonstellation das Land zerrütten« und letztlich »balkanisieren« werde.