Mouctar Bah im Gespräch das Verfahren im Fall Oury Jalloh, der vor zehn Jahren in Polizeigewahrsam starb

»Das lässt einem keine Ruhe«

In Dessau starb am 7. Januar vor zehn Jahren Oury Jalloh in Polizeigewahrsam. Er verbrannte in seiner Zelle. Diensthabende Polizisten behaupteten, der an Händen und Füßen Gefesselte habe seine Matratze und sich selbst angezündet. Mehrere Prozesse endeten mit Freisprüchen oder lediglich Geldstrafen für die Beamten. Im April 2014 wurde nach einem neuen Gutachten, das privat in Auftrag gegeben worden war, ein neues Ermittlungsverfahren zur Klärung der Todesursache eingeleitet. Die Jungle World sprach mit Mouctar Bah, einem Freund Jallohs, der sich in der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V. für eine Aufklärung des Falls engagiert, über die mühselige Aufarbeitung.

Seit dem Tod Oury Jallohs 2005 fordert die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh von der Justiz die Aufklärung des Todesfalls – bislang ohne Erfolg. Sie protestieren weiter. Was erhoffen Sie sich noch?
Wir erwarten die Wahrheit. Die Staatsanwaltschaft soll Anklage wegen Mordes erheben.
Sie weigert sich seit zehn Jahren, das zu tun. Glauben Sie, dass sich das noch ändern wird?
Wenn ich ehrlich bin: nein. Glaube ich nicht. Aber wir kämpfen trotzdem weiter. Es heißt ja immer, die Hoffnung stirbt zuletzt. Das ist tatsächlich so. Ich habe kein Vertrauen in die Staatsanwaltschaft in Dessau und solange sie mit der Sache befasst ist, wird nichts rauskommen. Aber genau deswegen gehen wir auf die Straße. Wir wollen es denen nicht durchgehen zu lassen.
Der 7. Januar ist der Todestag Oury Jallohs. Was werden Sie tun?
Wir werden wie jedes Jahr demonstrieren: Vor der Staatsanwaltschaft in Dessau, dem Landgericht, am Gedenkstein für Alberto Adriano, der 2000 von Nazis in Dessau getötet wurde, beim Oberbürgermeister und am Ende vor dem Polizeirevier, in dem Oury Jalloh verbrannt ist. Initiativen aus Italien, Frankreich und Belgien wollen an diesem Tag vor deutschen Botschaften Kundgebungen abhalten.
Im vergangenen Jahr haben Sie ein privat finanziertes, außergerichtliches Gutachten zum Brand in Oury Jallohs Zelle vorgestellt. Daraufhin haben große Medien die Mordthese erstmals ernsthaft diskutiert. Was ist danach geschehen?
Kürzlich war die Revisionsverhandlung beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Obwohl den Richtern alle Beweise und Indizien zur Verfügung standen, haben sie den Spruch des Landgerichts Magdeburg bestätigt, das einen Polizisten nur wegen Ignorieren des Feueralarms verurteilt hat. Für uns war es eine Bestätigung, wie dieses System läuft.
Nämlich wie?
Die Justiz weiß, dass ein Leichnam nicht so stark verkohlen kann, wenn kein Brandbeschleuniger benutzt wird. Sie weiß, dass an dem in der Zelle gefundenen Feuerzeug, mit dem er sich selbst angezündet haben soll, keine DNA-Spuren von Oury Jalloh waren und keine Fasern von seiner Kleidung. Und viele solcher Dinge mehr, die im Laufe der Jahre herausgekommen sind. All das wird mit Absicht ignoriert.
Immerhin hat die Staatsanwaltschaft in Dessau nach Ihrem Brandgutachten Ende vergangenen Jahres Ermittlungen wegen Mordes aufgenommen. Das ist doch ein Erfolg.
Leider nein. Diese Ermittlung ist nur eine Show, weil die öffentliche Aufmerksamkeit zu groß ­geworden ist. Es sind dieselben Leute, die schon damals den Prozess geführt haben. Wir wollen ein Verfahren außerhalb Dessaus. Juristen, die nicht vorbelastet sind, sollen in dem Fall ermitteln und verhandeln.
Und jetzt haben Sie ein weiteres Gutachten bestellt?
Ja. Bei einem Gerichtsmediziner im Ausland. Wir haben einen Spendenaufruf gestartet, damit soll ein Pathologe bezahlt werden. Er untersucht, wie lange ein Mensch brennen muss, bis die Leiche aussieht wie die von Oury Jalloh. Genau wie unser Brandgutachten hätte das Gericht auch diese rechtsmedizinische Untersuchung selbst in Auftrag geben müssen. Das hat es aber nicht getan.
Warum, glauben Sie, wird die Justiz sich dann ausgerechnet um Ihr privates Gutachten kümmern?
Unser Ziel ist es, der ganzen Gesellschaft zu zeigen, wie diese Justiz funktioniert, wie ein staatliches Verbrechen vertuscht werden soll.
Sie selbst waren wegen Ihres Engagements im Visier der Justiz und von Neonazis. Hat sich das gelegt?
Nein. Ein Verfahren gegen mich läuft noch, vor zwei Monaten stand ich deshalb vor Gericht. Es ging um die Demonstration in Dessau an Oury Jallohs Todestag 2013. Da wurde ich von der Polizei verprügelt, wurde bewusstlos, hatte eine Gehirnerschütterung und lag vier Tage im Krankenhaus. Trotzdem stehe ich jetzt wegen Widerstands vor Gericht. Solche Schikanen haben nicht aufgehört. Das ist geradezu zu einer Normalität geworden. Ich habe keine Angst mehr davor.
Es gab aber noch kein Urteil?
Nein, noch nicht. Dem Richter haben Unterlagen gefehlt.
Wie haben die letzten zehn Jahre Sie verändert?
Sehr. Ich war mit Oury Jalloh befreundet und hätte mir damals nicht einmal in einem Alptraum vorstellen können, dass einem meiner Freunde so etwas passiert. Oder dass ich einmal solchen Schikanen ausgesetzt sein würde. Ich habe an den Rechtsstaat in Deutschland geglaubt, habe gedacht, man kann hier alles erklären und regeln. Aber das stimmt nicht, jedenfalls dann nicht, wenn es um ein Verbrechen geht, das der Staat begangen hat. Dann werden die Opfer als Täter hingestellt. Dadurch ist mein Vertrauen in den Staat völlig verloren gegangen.
Das Ordnungsamt hatte Ihnen die Lizenz für ihr Telecafé in Dessau wegen »großer charakterlicher Mängel« entzogen, nachdem Sie sich gegen Angriffe von Neonazis gewehrt hatten. Die Lizenz haben Sie später zurückbekommen. Haben Sie sie genutzt?
2010 habe ich die Lizenz zurückgekriegt. Aber ich war nicht mehr in der Lage, das Café wieder zu eröffnen. Ich hätte bei null anfangen müssen. Dafür hatte ich keinen Platz in meinem Leben und keine Kraft. Dann habe ich es gelassen und mich auf die politische Arbeit konzentriert.
Worin besteht die?
Ich arbeite viel mit Flüchtlingen zusammen, es geht um Polizeigewalt und Behördenschikanen. Gerade komme ich aus Nordrhein-Westfalen, da habe ich in acht Städten Infoveranstaltungen zu Oury Jalloh gemacht. Ich habe den Film gezeigt und von dem Fall erzählt. Die Leute waren alle sprachlos. Jugendliche haben mehrfach gefragt, ob das wirklich in Deutschland geschehen ist. Die konnten gar nicht glauben, dass so etwas hier passiert.
Sie sind also Vollzeitaktivist?
Ja, ich mache das jeden Tag. Und das finde ich auch richtig so.
Möchten Sie, dass das so bleibt?
Das ist mein Leben geworden, es beschäftigt mich, egal ob ich in der Badewanne sitze oder mit meinen Kindern spiele. Ich hatte deswegen auch schon Auseinandersetzungen mit meiner Frau. Aber es lässt mich nicht los. Der Alltagsrassismus, die ganzen Manipulationen und Vertuschungen der Justiz, die zwei Gerichtsprozesse, über 100 Verhandlungstage, in denen ich als Nebenklagevertreter gesessen habe. Ich habe gesehen, wie die Justiz in solchen Fällen funktioniert, und das lässt einem danach keine Ruhe. Das wird wohl auch für den Rest meines Lebens so bleiben.
Wenn einem eine solche Auseinandersetzung derart zum Lebensinhalt wird, birgt das nicht die Gefahr, dass die nötige Distanz verloren geht – etwa dafür, den Zeitpunkt zu erkennen, an dem politisch nichts mehr zu holen ist?
Man kann dazu keine Distanz halten, das ist so. Ich mache durchaus andere politische Arbeit. Aber man kann sich von der Vorstellung, dass jemand verbrennt und es passiert nichts, der Täter läuft frei herum, einfach nicht lösen. Es geht nicht nur um die Tötung, sondern auch um die Brutalität, das Verbrennen und um die Ideologie, die hinter der ganzen Haltung der Justiz dazu steht.
Wenn es ein Urteil gegen einen Polizisten wegen Mordes gäbe – was hieße das für Sie?
Es wäre weniger ein Erfolg als eine Lösung für mich, aber vor allem auch für die Familie von Oury Jalloh. Er wurde nach seinem Tod diffamiert: Als Selbstmörder, als Drogendealer, als krimineller Asylbewerber. Ähnlich ist es Mario Bichtemann geschehen, der vor Oury Jalloh in der gleichen Zelle, bewacht von denselben Polizisten, unter ungeklärten Umständen gestorben ist und den man vor allem als obdachlosen Alkoholiker hingestellt hat. Ein Urteil wegen Mordes würde dieses Unrecht ein klein wenig aufarbeiten.
Sie sind bei Ihrer Arbeit auf Unterstützung der Zivilgesellschaft angewiesen. Gibt es da Ermüdungserscheinungen?
Nein, im Gegenteil. Die Unterstützung wächst. Dafür bedanken wir uns sehr. Es ist nicht nur die linke Szene, es ist die ganze Gesellschaft. Allein hätten wir das niemals durchgestanden. Wir bekamen moralische und politische Unterstützung, Ratschläge, Spenden, das war ganz toll. Initiativen wie Afrique-Europe-Interact, No Lager, die Initiative Schwarze Deutsche, die Antirassistische Initiative in Berlin oder The Voice in Jena haben die ganze Zeit zu uns gehalten, dafür werden wir immer dankbar sein.
Die Internationale Liga für Menschenrechte hat Sie 2007 mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet. Seit einigen Wochen stehen Sie jetzt in einer Linie mit dem diesjährigen Preisträger, dem Whistleblower Edward Snowden.
Ja, das stimmt. Ich war auch kürzlich dabei, als die Liga Snowden die Medaille verliehen hat. 2007 war das sehr wichtig für uns, denn ein solcher Preis bedeutet natürlich auch Schutz.
Sie leben noch immer in Dessau. Das dürfte nicht gerade der sicherste Ort für Sie sein. ­Warum bleiben Sie dort?
Ich bin mehrfach von Nazis zusammengeschlagen und von der Polizei schikaniert worden. Aber ich habe keine Angst mehr. Die ist überwunden. Ich bleibe hier, hier ist genug zu tun, mehr als in Berlin.