Pegida als Symptom der Spaltung der politischen und sozialen Milieus

Die Mitte tickt rechts

Pegida ist nicht nur ein Problem für die Unionsparteien. Die rassistischen Demonstrationen verdeutlichen die Spaltung der politischen und sozialen Milieus der Bundesrepublik.

Der ehemalige Bundesinnenminister und derzeitige stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Friedrich (CSU), hat in einem Interview mit dem Spiegel eine Verantwortliche für den Erfolg der umstrittensten Protestaktionen des Jahres 2014 ausgemacht: Der »Mitte-Kurs« von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei ein »verheerender Fehler«, der zum Erstarken der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) beigetragen habe.
Vor dem Hintergrund der montäglichen »Abend- spaziergänge« in Dresden und zahlreichen anderen Städten der Republik vermisst Friedrich die Präsenz konservativer Themen und warnt vor einer »Spaltung und Schwächung des bürgerlichen Lagers«. Der rechte Platz in der Union scheint frei. Zugleich gefällt sich die »Alternative für Deut-schland« (AfD), die bei den sächsischen Landtagswahlen Ende August 2014 mit einem erzkonservativen Programm 9,7 Prozent der Stimmen gewinnen konnte, in der Rolle des Advokaten der selbsternannten Retter des Abendlandes. Die sächsische AfD-Vorsitzende Frauke Petry hat die Organisatoren der Pegida nun für Anfang Januar zu einem Gespräch eingeladen.

Führende Vertreter von Politik und Presse reagieren dagegen verstört auf den Protest, der vom stellvertretenden Sprecher der AfD, Alexander Gauland, als »Graswurzelbewegung« bezeichnet wurde. Noch nie haben in der Bundesrepublik Deutschland Demonstrationen in derart kurzer Zeit für eine derart große öffentliche Erregung gesorgt. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) entdeckte beispielsweise bei der »Apo von rechts« (Spiegel) vor allem »Neonazis in Nadelstreifen«. Dabei konnten die Beobachter der Kundgebungen zumindest keine Nadelstreifenanzüge entdecken. Die reflexhafte Zurückweisung der Pegida mit den Redewendungen des hilflosen Antifaschismus verdeutlicht die Krise der politischen Repräsentation. Zwar will die sächsische CDU eine Kommission zur Prüfung der Integrationspolitik einrichten. Und der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, warnte in der Welt vor einer »islamischen Partei« in Deutschland. Doch der weit über Dresden hinausreichende Aufschrei gegen die »Systemparteien« und die »Lügenpresse« setzt den eingeübten Mechanismen von Politik und Publizistik nun Grenzen. In der Bundesrepublik konnte der Unmut über »Flüchtlingsströme« und »Überfremdung« bislang durch die Übernahme der »Das Boot ist voll«-Rhetorik durch Politik und Massenmedien gedämpft werden. Der verbliebene rechte Rest wurde stigmatisiert. Mit dem Auftritt von Pegida wird jedoch ein soziokulturelles Milieu sichtbar, das sich mehrheitlich von dieser Strategie nicht mehr beeindrucken lässt. Nicht zuletzt, weil sich die AfD in ihrer Hochburg Sachsen als parlamentarischer Arm der Bewegung andient und den politisch heimatlosen »Abendländern« Asyl bietet.
Im Interview mit der Jungen Freiheit verriet Pegida-Hauptorganisator Lutz Bachmann seine bisherige politische Orientierung. »Ich bin eigentlich eher der klassische CDU-Wähler«, sagte Bachmann der rechten Wochenzeitung. Das Bekenntnis entbehrt angesichts seines langen Vorstrafenregisters nicht der Komik. Pegida ist jedoch nicht nur ein Problem der Unionsparteien. Die Demonstrationen verdeutlichen die Spaltung der politischen Kultur der Bundesrepublik. In Dresden erhebt der zuvor meist nur latente Widerspruch nun öffentlich die Stimme. Jenseits der klassischen Parteilinien hat auch der digitale Wutbürger die Kampfzone ausgeweitet. In den einschlägigen Internetforen wird bei Themen wie Islam und Einwanderung weiterhin der verbale Hooliganismus kultiviert. Und mit der AfD und Pegida gibt es nun weitere Bataillone für den Kampf um die Parlamente und die Straße. Anfällig für die Anrufung des Ressentiments sind dabei nicht nur die vernachlässigten rechtsbürgerlichen Stammwähler der Union. Auch die Wählerwanderung von der Linkspartei zur AfD ist hinlänglich bekannt. Noch deutlicher wird der partei- und milieuübergreifende Charakter des Protestes anhand von Zahlen, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) anlässlich der sächsischen Landtagswahl veröffentlicht hat. Mit 11,6 Prozent haben nach Angaben des gewerkschaftlichen Rundbriefs Einblick vor allem männliche Gewerkschaftsmitglieder überdurchschnittlich oft die AfD gewählt. »Bürgerlichkeit« ist keine alleinige Frage der sozialen Lage.

Es herrscht ein bizarres Bewusstsein vor, das auch im »19-Punkte-Programm« der Pegida zum Ausdruck kommt. Die dortige Forderung nach einer »dezentralen Unterbringung« von Flüchtlingen findet sich auch bei Pro Asyl. Losungen wie »Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten« könnte jeder Bundestagsabgeordnete der CSU unterschreiben. Punkt 12 (»Pegida ist FÜR sexuelle Selbstbestimmung«) wäre hingegen sicher ein Reizthema. Bezeichnenderweise spielen die Forderungen auf den Kundgebungen keine besondere Rolle, zumal sie auch auf Facebook für heftige Kritik sorgten. Außerhalb des Protokolls ist Bachmann ohnehin wenig zimperlich. Die »Öko-Terroristin« Claudia Roth (Grüne) gehöre »standrechtlich erschossen«, twitterte Bachmann, noch bevor er der organische Intellektuelle der Pegida wurde.
Zahlreiche Kritiker von Pegida zeigen sich darüber verwundert, dass Dresden zum Zentrum der »Islamkritiker« werden konnte, obwohl der Anteil der Muslime in Sachsen 2010 bei insgesamt 0,1 Prozent lag. Dresden hat nach offiziellen Angaben einen Ausländeranteil von 4,7 Prozent. In der Sachsenmetropole wird – unterstützt durch zugereiste »Islamkritiker« aus der gesamten Republik – vor allem die regionale Identität des deutschen Ostens verteidigt. Im Vergleich mit den westlichen Stätten des Protestes zeigt sich ein deutlicher Unterschied. In der alten Bundesrepublik sind die »Abendländer« meist bekannte Aktivisten vom rechten Rand, die ihren Bekanntheitsgrad nicht der Stärke einer bundesweiten »Bewegung«, sondern der Berichterstattung der »Lügenpresse« verdanken. In den westdeutschen Städten erreichen die »Islamkritiker« die Massen gerade nicht.
Bislang erhalten vor allem in Dresden jene politischen Milieus klare Konturen, die Sozialforscher in den vergangenen Jahren beispielsweise in den »Mitte«-Studien der Universität Leipzig analysiert haben. Und diese »deutsche Mitte« tickt rechts. Die Wortführer der Pegida verweigern sich den liberalen Massenmedien. Sie sind Repräsentanten einer medialen Parallelgesellschaft, die nur noch ihrer eigenen Statistik glaubt und sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgewendet hat. Dass Bachmann neben der Bild-Zeitung, für die er auch als Leserreporter tätig war, bislang nur der Jungen Freiheit und der neurechten Blauen Narzisse aus Chemnitz ausführliche Interviews gegeben hat, klärt die politische Ausrichtung der Organisatoren. Ihre mediale »Verweigerung« ist eine Parteinahme, die geradezu sektiererische Züge trägt.

Diese neuen »Systemkritiker« wird die Union schwerlich an sich binden können. Sie wird sie der AfD überlassen müssen, will sie nicht selbst einen radikalen Kurswechsel vollziehen. Die Dezimierung des nationalkonservativen Flügels war der Preis für die »Modernisierung« der CDU.
Phänomene wie Pegida offenbaren die Spaltung der öffentlichen Meinung und liefern die Stichworte für die Politik. Der gegen Flüchtlingsheime gerichtete Protest im sächsischen Schneeberg beweist zudem, dass auch die NPD bei dem Thema auf kommunaler Ebene noch mobilisierungsfähig ist. Die »Zivilgesellschaft« zeigt hier ihre Schattenseiten. Wer aber gegenwärtig in Dresden vollmundig »Wir sind das Volk« ruft, verkennt, dass gegen den Protest der Pegida auch einflussreiche linke und liberale Milieus mobilisiert werden. Das in Dresden beschworene homogene »Volk« existiert nicht. Unionsinterne Kritiker von Angela Merkel wie Hans-Peter Friedrich überhöhen die Macht der Proteste und der neuen konservativen Konkurrenz. Die zuletzt knapp 20 000 Demonstranten der Pegida sind nicht das Abbild der gesamten Dresdner Stadtgesellschaft. Und der Erfolg der AfD in Sachsen steht nicht für den Gesamttrend der Partei, die zwischen der Bundestagswahl 2013 und der Europawahl 2014 in absoluten Zahlen trotz höchster medialer und politischer Aufmerksamkeit nicht zulegen konnte.
Pegida und AfD sind die Lautsprecher der selbsternannten »schweigenden Mehrheit«. Die Union stellt dagegen den sächsischen Ministerpräsidenten und die Kanzlerin, die über die parteipolitisch nicht festgelegten konservativen Milieus hinaus Stimmen gewinnt – und damit seit 2005 unangefochten regiert. Obwohl sie aufgrund ihres »Mitte-Kurses« auf »klassische Wähler« wie Lutz Bachmann inzwischen verzichten muss.